Sonntag, 27. Juni 2010

Dankbar

Alle, die hier leben, seid dankbar!  - Gewaltige Zeiten. Gewaltiger queerer Widerstand! Transgenialer CSD 2010.  18.00 h Abschlusskundgebung Heinrichplatz. - Immer, wenn es mir gerade gut geht, ist da jemand, der macht, dass es mir gleich wieder schlecht geht. Richtig schlecht.  Deshalb ist das nicht der Text, den ich schreiben wollte, sondern eine Zusammenfassung des Textes, den ich geschrieben hätte, wenn es mir noch so gut gehen würde wie heute Früh und wie gestern, als ich an mein Fahrrad gelehnt am Eingang der Oranienstraße nahe der Bühne stand, die mit blau-weiß-roter Folie geschmückt war und auf der keine einzige Rede gehalten wurde, während ich da stand, etwa eine Stunde lang, während ich Musik hörte, Techno,  und den Leuten zusah, den jungen schwul-lesbischen, und hätte ich nicht zu Hause etwas zu tun gehabt, wäre ich wahrscheinlich als einer der Letzten gegangen.  Ich, der ich Straßenfeste für ein Elend halte, und Geld müsste man mir zahlen für einen Besuch des Bergmannstraßenfestes, das ich “weiträumig umfahren” habe auf dem Weg zum Heinrichplatz und zurück. Hier beste Party seit langem. Viel zu gucken und trotzdem niemand, den man angaffen musste, weil man es sollte, und es gab niemanden, um den ich mir Sorgen machen musste, nicht mal um mich. Eine leere Flasche Freixenet Sekt habe ich gesehen, an einen Bordstein gelehnt. Sonst Biertrinken aus Flaschen. Wasser, Wein (und Sekt?) aus Pappbechern. Viel Essen auf der Hand; die Leute hatten den langen Weg vom Rathaus Neukölln hierher hinter sich (Demo). Soziologisch: Bürgerkinder in Kreuzberg.  Die Leute, die sich schräg gemacht hatten, dezent  schräg, “stylish” schräg. Das besonders auffällig bei den jungen Männern in Frauenkleidern und mit Perücken. Selbst das Make up so unschrill, dass man zweimal hingucken musste, um zu kapieren, wie es gemeint ist.  Vorstellung, dass dieses Kleid vor fünf Jahren in einer Boutique in Wuppertal hing und diese Pumps letztes Jahr noch von der Mama beim Sommerfest des Golfclubs getragen wurden. Vorstellung, wie der junge Mann  mit der Wuppertaler Mama vor ihrem Kleiderschrank stand und sie zusammen die CSD-Garderobe für ihn ausgesucht haben. Vorstellung der Anprobe unter den Augen der Wuppertaler Mama. Wollte ich vorhin noch ausmalen. Fehlt mir jetzt die gute Laune dazu. Die war gestern. Gute Leute. Gute Musik. Gute Party. – Alles, was man wissen muss über die Abgrenzung des  alternativen vom offiziellen CSD  im Artikel aus der taz vom Freitag: Als Frau Butler ablehnte. Merkwürdig in dem Artikel allerdings, vielleicht sogar finster, die Formulierung “Kreuzberger Retrogrille aus den Achtzigern ... Kommerzialismus, Rassismus, ja. ´Das Fernsehen ist schlecht`, ja.” – Was heißt das? – Weiß er schon? Weiß jeder? – Oder - “Retrogrille” – kann man nicht mehr hören? Ist sowieso nicht zu ändern: Macht es so wie ich, ich habe mich aufgegeben und hänge bei der taz ab, wo wir die Leute, die es noch nicht gehört haben, sowieso nicht erreichen?  - Wir bleiben Alle – überall! - Alle, die hier leben, seid dankbar!