Mittwoch, 30. Juni 2010

Interviews

6 Uhr 45. Hallenbad am Heidelberger Platz. Ich sitze am Beckenrand und entwirre die Gummibänder meiner Schwimmbrille. Kühler Lufthauch in meinem Rücken. Es zieht. So sehr, dass ich Mühe habe, den Spruch mit der Hechtsuppe wegzulassen, als ich zur Schwimmmeisterin sage, dass irgendwo etwas Größeres offen zu stehen scheint, was besser geschlossen werden sollte. Ich drücke mich nicht so geschwollen aus. Doch da es früher Morgen ist und ich morgens immer ganz besonders redselig bin, füge ich in meiner munteren Art hinzu: dass es ja reicht, dass die Wassertemperatur gesenkt wurde, da muss es nicht auch noch ziehen. – Die Schwimmmeisterin antwortet, dass die Wassertemperatur keineswegs gesenkt wurde; dass sie so ist wie sie immer war: 27 Grad. – Die Wassertemperatur ist vor 14 Tagen um ein Grad gesenkt worden, um Energie zu sparen. entgegne ich und mein Ton wird dabei schärfer, als ich es will. Die Schwimmmeisterin schüttelt den Kopf und setzt eben zu ihrer Gegenrede an, als passiert, was in solchen Momenten nur sehr selten passiert: Eine dritte Person interveniert und klärt auf. Es ist der sehr entspannte Kollege der Schwimmmeisterin. Er sagt, dass die Wassertemperatur über Sommer um ein Grad von 28 auf 27 Grad gesenkt wurde und in den Wintermonaten wieder "hochgefahren" wird.  - Die Schwimmmeisterin steht dumm da und tut mir kein bisschen leid deswegen. Ich sage zum entspannten Kollegen, dass ich überhaupt kein Problem habe mit den 27 Grad, und dass ich zwei Hallenbäder kenne, in denen die Temperatur niedriger, im einen sogar deutlich niedriger ist. Womit ich allerdings Probleme hätte, was mich sozusagen auf die Palme bringt, füge ich hinzu, das sind Leute, die allgemein bekannte Tatsachen bestreiten. Und das bringe mich u.a. deshalb auf die Palme, weil ich einfach nicht verstehe, warum sie das tun.   – War ich schlecht gelaunt heute morgen? – Überhaupt nicht. Es war nur mal wieder - wenn auch in einer harmlosen Variante - die Situation, mit der  ich in den letzten Jahren immer wieder konfrontiert bin: dass Leute gesicherte oder evidente Sachverhalte vehement bestreiten und dabei  ihr Gegenüber (mich) zum Idioten erklären, der aus der Luft gegriffene Behauptungen aufstellt. – Grassiert da ein neuer Verhaltenstypus? Ist das gesamtgesellschaftlich? Oder erlebe nur  ich das? Ziehe ich das an mit meiner vielleicht als hochmütig oder als unterschwellig aggressiv empfundenen Art des Auftretens? Strahle ich etwas aus, was eine Person wie die Schwimmmeisterin in den Widerstand gegen mich treibt  - treiben muss?  Oder hat sie es einfach nicht gewusst, dass die Temperatur gesenkt wurde, weil sie die letzten vier Wochen in einem Strandkorb auf Norderney gesessen hat?  Aber wie kann sie dann behaupten, dass es immer schon 27 Grad waren, da es doch vorher jahrzehntelang 28 Grad waren? – Etwa nach der 25. geschwommenen Bahn habe ich eine Idee: Ganz freundlich - deutlich erkennbar aus menschlichem Interesse, nicht um weiterzustreiten - werde ich sie fragen, warum sie sich so darauf versteift hat, dass es schon immer 27 Grad waren. Während ich weiter schwimme, beobachte ich sie und sehe sie dabei immer mit dem entspannten Kollegen oder einer mittlerweile dazu gekommenen Kollegin. Ich überlege, wie ich sie am geschicktesten ansprechen und zur Seite nehmen kann. Doch als ich später aus dem Becken klettere, hat sie die Halle verlassen. – Das ist eine richtig langweilige Geschichte und wie alle meine Geschichten auch noch ohne Pointe. Aber allen Lesern, die bis hierher durchgehalten haben, verspreche ich, Ihr habt Euch nicht umsonst gelangweilt. Denn während ich auf dem Nachhauseweg durch den Volkspark radle, habe ich eine Eingebung (Mittwoch: Buddha-Tag): Ich muss mich mehr um die anderen Menschen kümmern.  Ich muss raus aus dem Selbstgespräch. Auf die Leute zugehen. Mit den Leuten reden, Alles, was ist, muss angesprochen und ausgesprochen werden. Meine Fragen müssen gestellt und von den Betroffenen beantwortet werden. Nicht von mir. Interviews, sowieso das Zweitschönste, was ich kenne - wo ich gehe und stehe, werde ich ab jetzt Interviews machen.