Montag, 7. Juni 2010

Rhododendron

Idee ist, im Tiergarten die Stelle an dem schmalen Teich wieder zu finden, wo der Rhododendron so üppig blüht. Das sehen und riechen. Letztes Jahr habe ich die entdeckt, die Stelle, und jetzt finde ich sie nicht mehr. Zwei vergebliche Anläufe und jedesmal komme ich wieder raus am Parkeingang unterhalb des Schleusenkrugs. Beide Male vorbei an einem aasig stinkenden überquellenden Abfallkorb; Park-Party samstags, sonntags keine Leerung. Drumherum auf den Bänken und im Gras am Uferstück junge Menschen, alte Menschen, Kinder, und ihnen allen scheint der Gestank nichts auszumachen. Die haben sich daran gewöhnt, die nehmen den gar nicht mehr wahr? Als sie angekommen sind, da müssen sie es doch gerochen haben. Oder hat sich die Gestankwolke erst ausgebreitet, nachdem sie sich niedergelassen hatten? Zwei Leute, bei denen ich mir vorstellen kann, dass sie hier schon seit Stunden hocken. Eine Frau mit runtergelassenen Strümpfen etwas weiter entfernt, doch immer noch voll im Gestank. Ein Mann mit Hosenträgern in unmittelbarer Nähe des Abfallkorbs. Beide „alterslos“ zwischen 50 und 65, beide bleich und ärmlich und beide tragen sie beige. T-Shirt, Rock, Strümpfe, Schuhe, Hosen, Hemd, beige in beige. – Leute, die beige tragen. – Was ist mit Leuten, die beige tragen? – Die wundern sich über Leute, die schwarz oder bunt tragen? Oder sie sind farbenblind. Oder wenn sie einkaufen gehen in den letzten Tagen des Schlussverkaufes, wenn die Preise den Tiefstand erreicht haben, dann gibt es nur noch die beigen Sachen oder so knallbunte, dass das nicht geht, und dann doch lieber beige. 

Im dritten Anlauf finde ich die Stelle mit den Rhododendren. Alles wie erwartet. Das Rot/Rosa der Blüten, das satte Immergrün der Sträucher. Der Wildwuchs. Die Kühle des Teiches. Fehlt nur noch ein Schwan. Und die Blüten duften nicht (*). – „Rhododendron riecht nicht“, sage ich mehrmals laut vor mich hin, während ich langsam mit dem Fahrrad am Ufer entlang rolle. Und nachdem ich schon mal angefangen habe, laut vor mich hin zu reden, sage ich mehrmals: "Stolz und Lächerlichkeit". Das hat was mit Rainald Goetz bei Harald Schmidt zu tun (**). Das könnte der Titel sein eines Textes über Rainald Goetz bei Harald Schmidt, von dem ich da schon weiß, dass ich den nícht schreiben werde, weil ich das so schnell wie möglich vergessen will, wie der Goetz da war und überhaupt solche Texte nicht schreiben will. Nur der Titel gefällt mir gerade so gut und deshalb sage ich ihn immer weiter vor mich hin. "Stolz und Lächerlichkeit. Stolz und Lächerlichkeit." Obwohl ich keineswegs alleine bin an dem Teich. Und vor zehn Jahren wäre ich noch erschrocken, wenn ich mich dabei erwischt hätte, wie ich in Gegenwart fremder Menschen laut vor mich hin rede. Inzwischen jedoch fühle ich mich so wohl in meiner Haut, dass mir das egal ist. Was könnte ich für ein Leben haben, wenn ich nicht verliebt wäre! Und was könnte ich alles anstellen mit dem Wohlgefühl in meiner Haut. Ich könnte zum Beispiel zu der Stelle mit der Gestankwolke zurückfahren und mich neben den Mann oder die Frau in beige setzen und ein Gespräch anfangen. Über den Gestank und dass er ihnen nichts ausmacht. Und wenn das Gespräch gut läuft, dann vielleicht noch über beige reden und über Leute, die beige tragen. Statt dessen radle ich eilig nach Hause zu meiner sogenannten verwunschenen Romanze und komme gerade noch rechtzeitig zu meiner Sonntagsnachmittags-Melancholie, meiner chronischen.

(*) Rhododendron  duftet „zart bis stark“ (Wikipedia). Diese Eigenschaft kann allerdings durch Kreuzung verloren gehen.
(**) Gesehen am Vorabend auf YouTube. Link.