Freitag, 30. Juli 2010

Kunst

Hoffentlich denkt die Tess nicht, dass ich jetzt krampfhaft meinen Willensakt durchziehe, wenn sie heute und morgen Abend zu mir rüber blickt und sieht, dass es bei mir dunkel ist, weil ich entgegen meiner Gewohnheit den Abend nicht zu Hause verbringe, um ihr nahe zu sein.  Dass ich heute und morgen Abend nicht zu Hause sein werde, hat nämlich nichts zu tun mit meinem Rückzug aus dem Gegenüber-Szenario, den ich ihr gestern Abend, sozusagen mit separater Post, noch mal erklärt habe. Heute Abend schaue ich mir, wie schon seit zwei Wochen geplant, eine öffentliche Durchlaufprobe an der Schaubühne an (Othello). Und morgen Abend werde ich einen Freund  treffen, wenn es klappt. Sicher bin ich mir da nicht, weil es bereits unser dritter Versuch innerhalb eines Vierteljahres ist und daher nicht auszuschließen, dass wir einen weiteren Fehlversuch brauchen, um endlich zu einer Aussprache darüber zu kommen, warum wir uns so schwer tun damit, eine Verabredung zustande zu bringen. Die Verabredung zu dieser Aussprache wird uns bestimmt mühelos gelingen, weil es dann nicht mehr darum gehen wird, ob wir uns bei ihm in der Nähe oder bei mir in der Nähe treffen werden und mit welchem Erlebnisprogramm und Essengehen da oder dort das Treffen verknüpft sein soll, sondern darum, etwas zu besprechen und uns bei dieser Gelegenheit mal wieder auszutauschen. Was uns zurück versetzen wird in die Anfänge unserer Freundschaft vor drei Jahrzehnten, als er noch nicht beherrscht war vom starren Materialismus des Fun und des Fressens und ich noch nicht beherrscht war vom starrsinnigen Beharren auf Formlosigkeit, Spontaneität und Flexibilität, sondern einfach nur spontan und flexibel war, auch in meiner Anpassung an die Eigenarten von anderen, insbesondere von Freunden. ++++++  Woody Allen hat jetzt eine eigene Website.  Die ist in zweifacher Hinsicht enttäuschend für einen Woody-Allen-Fan, wie ich einer bin. Erste Enttäuschung: Es ist letztlich nur eine Werbung für Audio-Versionen der Bücher von Woody Allen. Als solche ist die Website allerdings sehr gut gemacht. In einem Schaufenster werden Zitate aus den Schriften von Woody-Allen eingeblendet und gleichzeitig hört man, wie er die Texte vorliest. Die angenehm minimalistische Präsentation führt dann jedoch schnell zur zweiten Enttäuschung: Durch die rasche Aufeinanderfolge der Pointen kriegt man nämlich mit, wie die Witzigkeit funktioniert – man kann der Witzigkeit sozusagen bei der Arbeit zusehen und bemerkt dabei, was für eine eintönige Art von Arbeit das ist. Klipp-Klapp-Klipp-Klapp. Ich habe dann gar nicht mehr lachen müssen und mir nur gedacht, was für eine Erleichterung des Lebens es ist, wenn man nicht gezwungen ist witzig zu sein. ++++++ Auf WeltOnline steht heute ein  Kommentar  zur Entscheidung eines spanischen Regional-Parlaments, den Stierkampf zu verbieten. Der Autor  gibt darin einen Text von Ernest Hemingway aus dem Jahr 1932 wieder. Ich fand den Text so großartig, als ich ihn heute Morgen las, dass ich ihn hier auch wiedergeben möchte:
Der Stierkampf ist die einzige Kunst, in der sich der Künstler in Lebensgefahr befindet und in der das Maß an Brillanz bei der Ausführung von seinem Ehrbegriff abhängt. In Spanien hat die Ehre eine sehr starke Realität. Der Ausdruck pundonor bedeutet Ehre, Rechtschaffenheit, Mut, Selbstachtung und Stolz in einem Wort. (...) Es ist eine Frage von pundonor , keine Feigheit zu zeigen. Wenn die einmal gezeigt worden ist, wirklich und unmissverständlich gezeigt, ist die Ehre verloren, und dann kann ein Stierkämpfer rein zynische Vorführungen geben, bei denen er seine Bemühungen dosiert und nur sich selbst in Gefahr bringt, wenn es eine finanzielle Notwendigkeit ist, um sein Ansehen zu steigern und Kontrakte zu bekommen. Man rechnet nicht damit, dass ein Stierkämpfer immer gut ist, nur damit, dass er sein Bestes tut. (...) Man rechnet damit, dass er manchmal nicht auf der Höhe ist, aber man rechnet damit, dass er mit dem gegebenen Stier sein Bestmögliches hergibt. Aber wenn er erst einmal seine Ehre verloren hat, kann man nicht sicher sein, dass er sein Bestes geben wird oder dass er überhaupt irgendetwas tun wird, außer, dass er dem Buchstaben nach seiner Verpflichtung nachkommt, indem er den Stier so gefahrlos, langweilig und ehrlich tötet, wie es geht. Wenn er seine Ehre eingebüßt hat, erfüllt er gerade nur noch seine Kontrakte.
Der Text ist aus Hemingway´s Der Tod am Nachmittag. Und ich bin kein Fan von Stierkämpfen. (Wird noch überarbeitet)