Freitag, 6. August 2010

Bericht

Gestern Abend, das war so: Text mit dem Titel "Ruven". Die Lyrik mit dem Erschießungskommando. Teil 2 sollte sein: Beobachtung vom Morgen. Der Professor auf dem Weg Richtung U-Bahn. Hellgrauer Anzug, gebügeltes weißes Hemd, leuchtend rote Krawatte, Rucksack. Und Beobachtungen, die ich gemacht hatte in der Wohnung gegenüber. Beobachtungen am Rande. Denn schon die ganze Woche bemühe ich mich, meist erfolgreich, das Gegenüber-Szenario nicht stattfinden zu lassen, indem ich es ignoriere; so wie ich auch nicht mehr an die Tess schreibe. Nun hatte ich die Beobachtungen aber mal gemacht. Sie gehörten zum Tag, also auch in den Blog. Was ich gegenüber gesehen hatte, konnte ich allerdings auch so lesen, dass die Tess will, dass ich sie anrufe. So habe ich es mir dann auch eingebildet und dazu habe ich mir eingebildet, dass das ein Erfolg meines Nichtschreibens an sie ist, dass sie jetzt will, dass ich sie anrufe. Für den Blog war es außerdem besser, was zu tun, anstatt Beobachtungen zu erzählen. Also Anruf. Am Telefon (ach, doch nicht verreist) Professor: XY. – Hallo, Herr XY. Wolfgang Gensheimer. Kann ich bitte mal Ihre Frau oder Ihre Freundin sprechen? – Ja. (Ruf in den Raum) Telefon! Wolfgang Gensheimer. – Es meldet sich (Name wegen Diskretion erfunden): Andrea Mulder. – Ich: Wolfgang Gensheimer. Wissen Sie, wer ich bin? – Sie: Nein. – Ich: Ich bin der Mann, der Ihnen schreibt. – Sie: Ich habe aber keine Briefe von Ihnen bekommen.  – Ich: Dann wird es jetzt kompliziert … . –  Wurde es aber gar nicht. Vom ersten Ton von Andrea Mulder an, war mir klar, dass sie nicht Tess ist, deshalb habe ich sie auch reflexartig mit Sie angeredet. Meinen weiteren Text habe ich nur noch gesagt, weil mein Verstand nicht so schnell ist wie meine Intuition und ich mir ganz sicher sein wollte, dass sie nicht Tess ist. Das war ich dann spätestens nach ihrem zweiten Satz. Als unzweifelhaft war, dass das kein amerikanischer, sondern ein leichter süddeutscher Akzent ist, den sie hat. Und über diese von mir ausgesprochene Erkenntnis kamen wir dann ins Gespräch. Dabei war sie sehr aufgeschlossen, sehr kommunikativ.  Sie ist die Frau von Herrn XY, hat sie mir erklärt. Sie haben neben ihrer Wohnung noch diese kleine Wohnung auf der Etage (Contessa-Zimmer). Die vermieten sie an amerikanische Studentinnen, die sie vermittelt bekommen über eine Institution, Name vergessen. Die letzte Studentin, die da wohnte, ist ein halbes Jahr da gewesen und jetzt weg. Wenn ich ihr schreiben, wenn ich Kontakt mit ihr aufnehmen möchte, wenn es etwas weiter zu leiten gibt von mir an sie, dann können "wir" das gerne tun. Und ja, kein Problem, wenn ich weitere Fragen habe, kann ich sie gerne noch mal anrufen. Allerdings, so lange ist sie nicht mehr da. Sie muss ja dann auch mal wieder zurück nach London. - Das mit London musste sie mir nicht weiter erklären. Das hatte ich mal recherchiert. Eine Andrea Mulder, Dr. Andrea Mulder, arbeitet da und da und das und das in London. Klar war nur nicht, dass die Frau, die früher in der Wohnung gegenüber  wohnte und immer mal wieder auftaucht und mit der ich nun redete, die Andrea Mulder ist, die auf dem Klingelbrett steht und auf dem Anrufbeantworter genannt wird. Dass Andrea Mulder also nicht die Frau ist, die ich Tess nenne. Was ich auch nie so recht glauben wollte, zum Schluss aber doch annahm, ohne ganz davon überzeugt zu sein, und deshalb zum Glück die Tess auch nie so angeredet habe, wenn ich an sie schrieb. - Letzten Endes war nichts in diesem Telefongespräch wirklich überraschend. Außer, wie verständnisvoll Frau Mulder war mir gegenüber und: dass sie sich als Frau vom Professor bezeichnete. Was alles heißen kann und in jedem Fall bedeutet, dass die Tess nicht die Frau vom Professor ist, sondern allenfalls seine Freundin oder Geliebte ist oder war, denn sie ist ja nun weg. Wenn es stimmt, dass sie weg ist. Die Frau, die ein halbes Jahr da gewohnt hat, obwohl ich sie schon seit mehr als einem Jahr da drüben sehe. Mir eingebildet habe, sie zu sehen? Sie verwechselt habe? Mit wem? Mir alles nur eingebildet habe?  - Auch das keine Überraschung. Denn Verwirrung gehört nun mal zu dieser Geschichte wie der Zauber zur Tess. Und trotzdem war ich nach dem Gespräch völlig benommen. Die gleiche Fassungslosigkeit wie damals, als ich mit meinem Brief an die Tess so dumm dagestanden habe. Und dabei: das sichere Gefühl, manipuliert worden zu sein. In etwas hinein gelaufen zu sein, das auf mich gewartet hat. Wiedererkennen eines Stils. Einführung in die Politikwissenschaft. Gut gemacht. Aber richtig gut gemacht ist es es nur, wenn man es nicht merkt. Inszenierung. Falle. Deshalb gestern der unglücklich gewählte Ausdruck Inszenierungsfalle; Falle hätte gereicht. War es eine? Weiß ich nicht. Bin nicht reingetappt. Es gibt “unumstößliche Wahrnehmungen”, weiterer unglücklich gewählter Ausdruck.  Gemeint: Fixpunkte von Tatsächlichem, selbst im Gegenüber-Szenario hat es die gegeben und davor sowieso.  An die halte ich mich, wenn ich nächste  Woche beginne, die ganze Geschichte der Tess zu erzählen.