Freitag, 24. September 2010

Pingelig

Beim ersten Gedanken an Cindy heute Morgen der Schreck: Die hat im ersten Akt Sex mit drei Männern. Nicht, weil das ihre Art ist, sondern aufgrund der besonderen dramatischen Umstände, in die ich sie verwickle. Doch egal warum, sie hat in 23 Filmminuten dreimal Sex. Mit dem Mann, den sie kurz darauf verlassen wird, weil sie entdeckt, dass er auf dem Absprung zu einer andere Frau ist. Mit ihrer Jugendliebe, dem Mann, den sie zufällig wieder trifft und bei dem sie Trost findet. Schließlich mit dem Mann, den sie kurz darauf neu  kennenlernt und mit dem sie ihre nächste feste Beziehung eingehen wird. – Drei Männer. Dreimal Sex. Geht das? Ist das erlaubt? - Den Jugendschutz wird das weniger interessieren, schätze ich. Aber was ist mit den Zuschauerinnen, den Zuschauerinnen? Darf denen das zugemutet werden?  – Ich habe es schon im Ohr, wie die Produzentin darauf hinweist, dass es schließlich auch Zuschauerinnen gibt, die konfessionell gebunden sind: christlich, muslimisch, jüdisch, wiedergeboren. Oder, noch gravierender: Wie viele Zuschauerinnen gibt es, die wie ich lieber nicht darüber reden, wie lange das zurück liegt, als sie zum letzten Mal einem anderen Menschen nahe, ganz nahe gekommen sind. Wie wird denen das ins Gemüt gehen, nun Cindy miterleben zu müssen mit drei Männern in 23 Minuten? – Halten die das aus oder erinnert sie das so schmerzhaft an ihr Leben, dass sie spätestens beim dritten Mann fluchtartig wegschalten? - Andererseits darf man die Zuschauerinnen auch nicht unterschätzen. Die haben schließlich auch ihre Seherfahrungen. Die wissen doch schon, dass das nicht gut gehen kann. Und gerade deshalb legen sie die Fernbedienung erst mal zur Seite und warten darauf, dass das auf die Cindy zurückfällt im zweiten Akt, was sie da getrieben hat im ersten. Dann muss das aber auch bitteschön kommen! Dann muss die Cindy dafür büßen. Obwohl sie eigentlich gar nichts dafür kann. Denn mit den drei Männern, das hat sie ja nur gemacht wegen der besonderen dramatischen Umstände, in die ich sie gehetzt habe. - Später beim Plotten dann wie gelähmt. Keine Einfälle. Habe ich den Tee zu lange ziehen lassen? Bin ich eingeschüchtert, weil ich zu viel an die pingeligen Zuschauerinnem gedacht habe? Oder mal wieder Fundamentalzweifel: Ist mir Cindy im Grunde genommen völlig gleichgültig? Sollte ich mich endlich von den Cindys dieser Welt verabschieden und nur noch von mir und von Leuten erzählen, die ich mir nicht erst ausdenken muss, weil ich sie kenne? Dann müsste ich mich auch nicht mehr  mit den Zuschauerinnen rumreißen, weil die sowieso kein Interesse haben an mir oder den Leuten, die ich kenne. Allerdings gäbe es dann auch nichts mehr zu besprechen mit der Produzentin. Und das wäre ein Verlust. Denn was die sich alles denkt über die Zuschauerinnen und damit wahrscheinlich auch noch richtig liegt, darüber möchte ich unbedingt noch mehr erfahren. Die Zuschauerinnen und ihre Pingeligkeit, mit der sie auf ihren Wünschen, Träumen, Sehnsüchten bestehen, und das mit Recht, denn sie sind nun mal die besten Kunden des Fernsehens und andere gibt es bald nicht mehr - das ist ein Thema, da ist das Leben und nicht bei Cindy und ihren Männern. Aber ohne Cindy nun mal kein Gespräch mit der Produzentin und kein Stoff für eine Geschichte über die Zuschauerinnen. Kein guter Tag.