Mittwoch, 1. September 2010

Tagtraum

Interviews. - Mit wem? - Nicht nur zufällig zustande gekommene Gespräche, sondern richtig mit Ansage: Gibst du mir/geben Sie mir ein Interview? – Worüber? – An bekannten Leuten fällt mir nur ein Diedrich Diederichsen, der in der Pallasstraße wohnt mit seiner Freundin, die ihn um mehr als Haupteslänge überragende Freundin, neben der er gerne mal ganz langsam auf seinem Holländer-Fahrrad herfährt, während sie geht. Das muss man gesehen haben, um es sich vorstellen zu können. - Wohnen Sie nur Ihrer Freundin wegen hier in Schöneberg oder gefällt es Ihnen hier besser als zum Beispiel in Mitte oder Friedrichshain, wo Sie als Analytiker und Vordenker von Hipness doch eigentlich hingehören? – Reicht eigentlich schon als Vorbereitung. Alles andere ergibt sich aus seinen Antworten oder durch ihr Ausbleiben, was auch eine Geschichte wäre, vermutlich sogar die bessere. Interview mit Diederich Diederichsen ist ein Lebensziel von mir. – Sonst keine namhaften Leute. Sonst Menschen aus dem Alltag. Fast alles, was ich hier monologisch mache, könnte ich viel besser im Dialog machen mit den passenden Gesprächspartnern. Auch, wenn es um mich geht. Gerade dann. – Wir hatten früher immer einen ganz freundlichen Umgang. Dann gab es mal einen Missklang, als ich dich unterbrochen habe in deinen sich hinziehenden Ausführungen über die Architektur von Fenstern, indem ich sagte, ich könne dein selbstverliebtes Geschwätz nicht mehr mit anhören; das Wort dumm ist in dem Zusammenhang, glaube ich, auch gefallen. Seither gucken wir aneinander vorbei, wenn wir uns begegnen. Nicht, dass ich mich jetzt aussprechen wollte mit dir; das würde uns wahrscheinlich nicht gelingen. Mich interessiert nur, wie du das damals erlebt hast. Was du über mich gedacht hast. Wie du mich wahrnimmst. Keine Rücksichtnahme. Ich will es wirklich wissen. Und ich quatsche auch nicht dazwischen. – Mann aus dem Hegau. Ihm gehört ein Haus in der Nachbarschaft, das schönste in der Straße. Er ist nur zeitweilig da. Früher kam er mit einem schon etwas älteren Mercedes. Kürzlich habe ich ihn gesehen mit einem hochmotorisierten Geländewagen. Jetzt trägt er auch eine trendgerechte Massiv-Hornbrille, eine schwarze. – Anderer Fall in der Straße, vordergründig auch ein Grußproblem. Ohne dass was vorgefallen ist. Einmal kam er mir entgegen, ich konnte von weitem schon sehen, wie unangenehm ihm das jetzt ist; noch unangenehmer als mir. Denn plötzlich blieb er stehen und wandte sich einem Schaufenster zu, um mir den Rücken zukehren zu können, als ich an ihm vorbeiging. Schaufenster eines leerstehenden Ladens. Habe das später mal nachgeprüft; da war nichts in dem Schaufenster, was er hätte angucken können. Hey! Was ist das? Was haben wir da für eine gegenseitige Abneigung, obwohl wir uns gar nicht kennen? Das plane ich schon, seit ich das Blog schreibe, ein Interview mit ihm. Es hat sich nur noch nie eine Gelegenheit ergeben, ihn anzusprechen. Nicht verwunderlich bei der Energie, die er einsetzt, um mir aus dem Weg zu gehen. Ganz hoher Schwierigkeitsgrad. – Vielleicht noch schwieriger, als ein Interview mit der Tess zu kriegen. Interview mit der Tess? – Ja. Muss sein. Denke ich mir schon seit Wochen. Wenn es keine Hoffnung mehr gibt, werde ich mich um ein Interview mit ihr bemühen. Und wenn das nicht klappt, dann versuche ich ein Interview mit dem Professor zu bekommen, der, wie wir inzwischen wissen, nicht ihr Mann ist, weil er ist der Mann von der Andrea Mulder in London. Weshalb ich ihn vorläufig mal als den Vermieter von der Tess betrachte. Das übrigens ein Plan, wenn ich mein Herbst-Tief überwunden habe. Anruf: Guten Tag, Herr XY. Kann ich bitte mal Ihre Untermieterin sprechen oder Ihre Mitbewohnerin oder Flatmate? Wie immer Sie es nennen wollen. - Mal gespannt, was dann kommt. Die Andrea Mulder kann er mir dann nicht noch mal vorsetzen, wenn sie gerade aus London da sein sollte. Die hat er mir schon als seine Frau vorgestellt. – Ach, es ist noch so viel möglich. Es kann noch so viel passieren.