Dienstag, 7. September 2010

Wirtschaftsteil

Geld. Ich brauche Geld. Dringend. Schnell. Aber ich weiß, so geht es nicht. Ich darf nicht danach grapschen. Das bringt nur Klimpergeld. Ich muss etwas anbieten, das Substanz hat. Das für sich selbst steht. Ich weiß, wie man es macht. Ich verfüge über jahrzehntelange Erfahrung als Unternehmer. Erfolgloser Unternehmer. Gerade deshalb habe ich ein Gespür dafür, was „geht“ und warum etwas nicht „geht“. Ich sehe ein neues Produkt oder ich gehe in einen neu eröffneten Laden und ich weiß sofort, das wird was, oder ich schaue die Leute an, die gerade so hoffnungsvoll starten, und sie tun mir leid. Manchmal irre ich mich. Dann freue ich mich für die Leute und habe was dazu gelernt. – Gestern vor dem neu eröffneten Laden auf der Ecke Akazienstraße/ Hauptstraße habe ich gar nicht gleich kapiert, was für ein Geschäft das ist. Irgendwas mit Teller leer essen hatte wochenlang an den verrammelten Fenstern und Türen des runden Flachdach-Vorbaus gestanden, in dem zuvor ein Staubsaugergeschäft und nach der Mieterhöhung eine Starbucks-Filiale war. Ich dachte, da eröffnet jetzt ein Restaurant, aber so sah das nicht aus, was sich gestern hinter den nun blickfreien Schaufenstern tat. - Was ist das denn? So eine Art Edel-Imbiss? Schnell-Restaurant für die zahlreichen Yuppies, die es hier nicht gibt? - Susanne, die gerade aus dem Felsenkeller kam, wusste es auch nicht. Sie hat sich das Konzept schon mehrfach erklären lassen, sagte sie, und hat es immer noch nicht verstanden. - Reingehen. Gucken. Laden voll mit Neugierigen wie wir. Im Raum verteilt Tische. 20 Tische lese ich später (hier und hier); so viele habe ich nicht gezählt. Auf den Tischen dekorativ verteilt Lebensmittel. Über den Tischen Tafeln, auf denen das Gericht abgebildet ist, das mit den Zutaten auf dem Tisch zubereitet werden kann: dazu die Preise, gestaffelt nach der Anzahl der Personen, für die eingekauft werden soll. Am ersten Tisch – Vorspeise - zum Beispiel Rindercarpaccio. Mir fällt sofort ein, dass von der Darmkrebsforschung vor dem Verzehr von nicht durchgebratenem und erst recht von rohem roten Fleisch dringend gewarnt wird. Deshalb wundere ich mich auch, dass es an einem anderen Tisch ein Gericht mit Rinderfilet gibt. Was bleibt vom Filet, wenn man es durchbrät? Ist doch sonst alles so durchdacht hier. Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Es gibt auch Fisch, zum Beispiel Dorade. Es gibt auch vegetarische Gerichte, zum Beispiel Pasta mit ich weiß es nicht mehr. Und hier, schau mal, Susanne! Dessert. "Flüssiger Schokoladenkuchen". Die Schokolade von Rausch. Kennst du? Beste Schokolade in der ganzen Stadt. - Die Idee des Ladens ist "begehbares Kochbuch". Für jedes Gericht liegen Faltblätter aus, auf denen hübsch fotografiert und ansprechend getextet die Zubereitung step-by-step erklärt wird.  – Susanne, kannst du eigentlich kochen? – Typische Susanne-Antwort: Mir schmeckt´s. – Heute hat sie schon eingekauft und weiß, was sie kochen wird. Aber sie kommt bestimmt noch mal her, um sich inspirieren zu lassen und eins der Rezepte auszuprobieren. Alle sollen sich das anschauen und sich mal so ein Essen mitnehmen! - Geschmacksrichtung: Edel-Bistro! Das mögen Viele. Und wer es nicht mag, trotzdem hingehen und sich wenigstens mal den Laden angucken!  Wunderschöner Laden! Wie ein Museum. Museum einer Geschäftsidee. Wenn er nicht reüssiert, sollte der Laden, so wie er ist, konserviert und unter Denkmalschutz gestellt werden. Aber vielleicht täusche ich mich auch mal wieder und das Konzept schlägt ein wie ein glühender Meteorit in der Hauptstraße. Ich werde es beobachten, Und wenn ich mal Gelegenheit habe, für mehr als eine Person zu kochen, werde ich mir auch ein Menü kaufen und es dann - vermutlich mit der Tess - im Schatten meiner Wasserpflanze essen. – Kochhaus heißt der Laden. Akazienstraße 1, 10823 Berlin. Vielleicht wäre er in Charlottenburg oder in den poshigen Teilen von Mitte besser aufgehoben, sage ich zu Susanne, als wir rausgehen. Aber da sind die Mieten ja noch höher.