Dienstag, 2. November 2010

Heikel

Website neobooks - wir entdecken die bestseller von morgen. Text von Leo Sitke (Pseudonym), Titel: Flozirkus (sic! Flo von Florian). Auftrag einer Freundin: Soll ich mal lesen und was dazu sagen. Hat ihr Mann sich gewünscht. Wir haben uns nie richtig kennengelernt. Nur im Vorbeigehen uns mal die Hand gegeben. Belastetes Verhältnis. Grund liegt lange zurück und spielt hier eine Rolle, wird von mir aber verschwiegen, auch wegen der Bewahrung der Anonymität, also des Pseudonyms. Doch weil der Grund so lange zurückliegt, wird es langsam mal Zeit, dass wir unser Verhältnis entspannen, und ich würde ihn auch gerne mal näher kennenlernen. Erstens überhaupt und zweitens, weil er eine interessante Persönlichkeit ist, Manager auf ziemlich hohem Niveau; jemand, der was zu erzählen hat. Nur nicht in dem Text, wie ich finde schon nach einer halben Seite. Als Vielleser, wie ich einer bin, seit ich lesen kann, liest du eine halbe Seite und du weißt, das ist es oder das wird vielleicht noch was oder das wird nichts. Deshalb hätte ich eigentlich schon nach einer halben Seite aufhören können. Habe ich aber nicht, weil ich dachte, da kommt vielleicht noch was, woran ich irgendwas Gutes finden, auf das ich mich beziehen kann, wenn ich ihm den gewünschten Kommentar schreibe. Und: Ich hatte was falsch verstanden, ich nahm an, es sind nur sechs Seiten, es ist nur der Anfang des Romans. Dann ist das aber der ganze Roman, der auf der Website steht – 126 Seiten mit Epilog und witzigen Illustrationen. Und das macht es mir noch viel schwerer. Was für ein Aufwand! Wie viel Mühe hat er sich da gemacht und Zeit damit verbracht und das wichtig gefunden und Erwartungen daran gehängt. Wann hat er das geschrieben?   Reingestellt hat er es am 6.10.2010. Unwahrscheinlich, dass er das erst jüngst geschrieben hat. Oder doch? Er hat das zuvor bestimmt einem Verlag angeboten. Abgelehnt. Was mache ich jetzt? - Gucken, ob mir vielleicht doch noch jemand eine Mail geschrieben hat und danach das Laptop ausschalten für heute. Dann geht mir ein Satzfetzen durch den Kopf: merke, dass Sie als jemand schreiben, der Sie nicht sind ... . So verbiestert? So ernst? - So bin ich, das wird sich so schnell auch nicht wieder ändern. Deshalb los - und vorweg an die Freundin:
Liebe XXXXX, habe eben in dem Text von Deinem Mann gelesen  - unter unguten Voraussetzungen, gebe ich zu, weil ich in einem Zustand stiller Verzweiflung und damit auch völliger Humorlosigkeit bin. Daher auch meine ungeschmeidige Reaktion. Überlege Dir, ob Du sie ihm weiterleiten willst. Ich würde ihn ja nun wirklich gerne mal kennenlernen. Aber das ist kein guter Schritt dahin.  - Dann weiter an den Mann: Lieber XXXXXXXX, bei Flozirkus merke ich, dass Sie als jemand schreiben, der Sie nicht sind, und das ist sehr anstrengend zu lesen. Haben Sie das Interview mit Ernst Wilhelm Händler in der ZEIT von letzter Woche gelesen? Er beklagt, dass in der deutschen Gegenwartsliteratur die Themen Macht und Geld so gut wie nicht vorkommen - platt gesagt, dass es kein literarisches Erzählen über die Geschäftswelt gibt. - Wie viel lieber würde ich von Leo Sitke einen Text lesen zu diesem Thema, mit einer Stimme erzählt, die seine eigene ist.  - Ich gebe allerdings zu bedenken, dass ich Ihren Text in einem Zustand völliger Humorlosigkeit gelesen habe und bitte deshalb um Verständnis für meine spröde Reaktion. Ich habe auch nicht genug gelesen, um mich zum Plot äußern zu können. Mit dem Jargon haben Sie allerdings auch einen sehr hohen Schwierigkeitsgrad gewählt. Neben Mark Twain und Salinger weiß ich niemanden, der das so hingekriegt hat, dass es nicht weh tut.  -  Hab ich nicht noch was Erfreuliches, Ermutigendes? - Ich habe noch einen Satz zur Erzählstimme, dass das nämlich das Schwerste überhaupt ist, seine eigene Stimme zu finden beim Schreiben, aber wenn die Mühe des Schreibens für etwas gut ist, dann ... nein, hör auf! Willst du den Mann belehren, der ist zwei Jahre älter als du. Das Zitat aus dem Al-Pacino-Interview fällt mir ein. Al Pacino (mittlerweile auch schon 70), der am Broadway ab Sonntag den Shylock spielen wird und im Interview Marlon Brando zitiert mit einer Weisheit zur Schauspielerei: In movies, when they say, ‘Action,’ you don’t have to do it. - Gilt auch für´s Schreiben. Und nicht nur für´s literarische Schreiben. Für jede Art von Schreiben. Kann ich mir also auch mal merken. Deshalb steht es jetzt auch hier. Denn gegenüber dem Mann der Freundin ist das Zitat prätentiös. Deshalb habe ich es weggelassen  und meinem Kommentar nichts mehr hinzugefügt. Aber ich mache jetzt etwas anderes. Ich weise hiermit hin auf: Leo Sitke, Flozirkus. Bitte anklicken und lesen! Macht auch Spaß in dem Text zu navigieren = zu blättern; hübsche Animation. Und vielleicht macht ja auch der Text Spaß. Vielleicht bin ich einfach nur verdorben durch mein lebenslanges Viellesen. Und vielleicht ist der Plot, zu dem ich gar nicht vorgedrungen bin, richtig gut. Wenn es so ist, dann bitte nicht nur eine Bewertung abgeben auf der Website, dann bitte auch Rückmeldung hier! Damit noch mehr Leute angeregt werden, den Text von Leo Sitke zu lesen.
Die Kommentarfunktion ist übrigens jetzt wieder offen. Samstag wollte ich sie schließen, weil sie ohnehin nicht genutzt wird, da habe ich gesehen, dass sie gar nicht freigeschaltet war. Beim Umzug des Blogs nach Biest zu Biest hatte ich vergessen, die Grundeinstellung (Zugang nur für registrierte Nutzer) so zu ändern, dass sie offen ist für alle, auch für anonyme Kommentatoren. Ja, dann! habe ich da gedacht. Nein, habe ich nicht gedacht, dass es deshalb keine Kommentare gibt. Ich weiß nicht mehr genau, was ich gedacht habe. Es hat auf jeden Fall dazu geführt, dass ich die Kommentarfunktion auf offen für alle eingestellt habe.