Mittwoch, 3. November 2010

Texten

Wenn ich in den letzten fünf Jahren nichts anderes gemacht hätte, dann hätte ich am Montagvormittag zu dem Brasilienthema vier Seiten entworfen, sie am nächsten Tag überarbeitet und die verbleibenden drei Seiten am Mittag der Auftraggeberin gemailt. So bin ich heute gerade mal – fast – fertig geworden mit dem Entwurf und überarbeiten werde ich ihn morgen. Ich muss mich erst wieder an diese Art von Schreiben gewöhnen. - Soll ich? - Texten. Das ist im schlimmsten Fall wie heiße Luft in Tüten verpacken oder wie Locken auf einer Glatze drehen (Karl Kraus), auf jeden Fall ist Texten wie Malen nach Zahlen. Malen nach Zahlen an einem wackligen Tisch. Die Zahlen, das sind die Informationen und Aspekte, die alle unbedingt rein müssen in den Text. Und der Tisch wackelt, weil es dann auch noch Aspekte gibt oder Umstände, die besser nicht erwähnt oder wenigstens nicht so herausgestellt werden sollen, wie es bei kritischer Betrachtung eigentlich sein müsste. Im Falle des Wirtschaftsbooms von Brasilien ist das die Tatsache, dass der Binnenmarkt vor allem deshalb so brummt, weil die Regierung seit acht Jahren mit Sozialprogrammen unermüdlich Geld in die Elendsquartiere pumpt, indem sie zum Beispiel den Familien Prämien dafür bezahlt, dass sie ihre Kinder in die Schule schicken. Womit einerseits die unschöne Folklore der Straßenkinder in den brasilianischen Städten beendet wurde, andererseits aber das Bildungsniveau keineswegs gestiegen ist. Doch das kann man ändern. Mit noch mehr Geld für die Bildung. Und Gelder sind vorhanden. Brasilien ist reich. Im Land erstrecken sich Zuckerrohrplantagen auf einer Fläche von gut 70.000 Quadratkilometern, 200 Millionen Rinder grasen auf Weiden, hat SPIEGELONLINE erst neulich nachgezählt. Und unter Brasiliens Bergen schlummern gewaltige Eisenerzvorräte. Nicht auszudenken, was passiert, wenn die alle aufwachen. - Entschuldigung. - Riesige Erdölvorkommen lagern (?) außerdem noch in der Meerestiefe vor der Küste Brasiliens. Nur Industrie gibt es noch nicht so viel, um die Rohstoffe im Land zu verarbeiten, statt sie zu exportieren, zum Beispiel nach China, das wichtigster Handelspartner Brasiliens ist. Wenn die Brasilianer industriell etwas aufziehen, dann allerdings mit Erfolg. Das Unternehmen Embraer ist weltweit drittgrößter Flugzeughersteller nach Boeing und Airbus. – Reich. Fruchtbar. Riesig. Bald wird Brasilien laut Prognosen der Weltbank in die Liga der fünf größten Wirtschaftsmächte aufgestiegen sein (SPON). Die Brasilianer haben also allen Grund, ein großes neues Selbstbewusstsein zu haben und guter Stimmung zu sein. Und darüber schreibe ich, über das Selbstbewusstsein und über die Stimmung. Nur so viel kann man da auch nicht drüber sagen. Das Land vibriert. Die Menschen sagen, jetzt sind wir dran. Wir sind kein Dritte Welt Land mehr. Wir müssen nicht mehr ins Ausland, um Geschäfte zu machen. Die Leute aus dem Ausland kommen zu uns, um Geschäfte hier mit uns zu machen, sagt die Auftraggeberin. Zeigen, dass die gute Stimmung berechtigt ist, kann man noch. Nur darf man da nicht so genau hingucken. Siehe oben: Wackeln des Tisches. - Wackeln des Tisches auch deshalb, weil es keine richtige Absicht gibt, die wir mit dem Text verfolgen. Die Auftraggeberin will einfach nur was zu dem Thema auf ihrer Website stehen haben, damit sie goooglebar ist auf das Stichwort Brasilien hin. Dann höre ich noch bei ihr raus, dass sie als Brasilianerin sehr stolz ist auf ihr Land und die gute Stimmung im Land teilt. Ein Grund mehr, nicht so kritisch hin zu sehen. Aber warum schickt sie mir dann die URL von Fecomercio (einer Art Industrie- und Handelskammer)? Und das, obwohl sie weiß, dass ich kein Portugiesisch verstehe? Denkt sie, dass ich mich der Google-Übersetzungsfunktion bedienen soll? Und ist ihr klar, was mich da erwartet?
Der Survey of Consumer Debt und Default (Peic), von der Föderation des Handels mit Gütern, Dienstleistungen und Tourismus des Landes São Paulo (Fecomercio), der im Oktober verzeichnete durchgeführt, dass 50% der Haushalte in São Paulo sind verschuldet von denen 16% haben Konten in Verzug, und 7% berichteten sie waren unfähig, die Zahlungen zu ehren. Oktober Ergebnisse sind vergleichbar mit denen im September, wenn die Anteile 51%, 15% bzw. 7% beobachtet.
Ich könnte süchtig werden nach dieser Art von Text. Hier noch die Passage mit meiner Lieblingsstelle; das mit den Frauen und den Autos:
Ein weiterer Indikator, dass die Aufmerksamkeit zog, war das Verhalten in Bezug auf die Finanzierung von Autos, die 8% der identifizierten Arten von Schulden erreicht. Unter den befragten Familien sagten, sie ergriffen hatte, und dass die Finanzierung für das Auto kauft, gibt es die hohe Verschuldung des weiblichen Publikums, dass die Inzidenz 32% erreicht, gegenüber 6% der männlichen Publikum. "Es zeigt, dass Frauen suchen mehr Mittel für die Fahrzeuge als Männer, als Alternative zum Kauf dieser Waren", sagt Della Rosa. Seit mehr Männer nutzen die Broschüren als Zahlungsmittel als Frauen: 31% im Vergleich zu 9% betragen.
Aus all dem schließe ich, dass Verschuldung ein - wie es nennen? - Phänomen ist in São Paulo, weiß jetzt aber nicht so recht, wie sich das auf die gute Stimmung auswirkt. Deswegen entscheide ich mich dafür, die Studie im Text nicht zu berücksichtigen und sie nur hier zu verwerten. Jetzt ist nur noch das Problem, dass in Brasilien 2014 die Fußball-Weltmeisternschaft stattfindet und 2016 die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro sein werden. Das ist der Auftraggeberin am Ende ihres Briefing-Papiers noch eingefallen, dass wir darauf hinweisen sollen, dass die Brasilianer sich auf diese Ereignisse freuen, weil sie sich dann der Welt präsentieren können mit ihrem Selbstbewusstsein und ihrer guten Stimmung. Soll ich das so hinschreiben? - Das geht doch nicht. Ich beschließe, darüber eine Nacht zu schlafen , in der Hoffnung, dass mir morgen eine Lösung dafür einfällt, dass das am Ende dasteht, ohne dass es so angeklebt aussieht wie eine Pappnase. Malen nach Zahlen. An einem wackligen Tisch. Es zeigt, dass Frauen suchen mehr Mittel für die Fahrzeuge als Männer, als Alternative zum Kauf dieser Waren.