Donnerstag, 25. November 2010

Thanksgiving

Bitte hinnehmen, dass ich es für mich behalte, was das für ein Experiment war gestern. Es ist zu intim. Und darum ging es auch in dem Experiment: um Intimität. Darum, Intimität herzustellen auf eine sehr eigenwillige Art. Alles, was die Tess und ich machen, ist eigenwillig. Eigenwilligkeit ist das, was uns verbindet. Das Experiment war kein Erfolg. Es war ein Anfang. Das beste Ergebnis des Experiments war das Gefühl, es gemacht zu haben. Das Experiment zusammen gemacht zu haben, hat die Nähe und Intimität hergestellt, die uns im Experiment selbst nicht geglückt ist. – Doch heute, sozusagen bei der Auswertung des Experiments, ist etwas passiert – was und wie ist Teil der Heimlichkeit –, das mich so geärgert hat, dass ich das Experiment jetzt nicht mehr fortsetzen will. Nicht aus Trotz oder Beleidigtsein, sondern aus der beim Ärgern gewonnenen Einsicht, dass es nicht geht, weil es mit der Tess keine Gemeinsamkeit für mich gibt und deshalb auch keine Nähe, keine Intimität geben kann. - Erinnerung: Gestern auf den Tag genau vor einem Jahr haben wir uns gegenüber gestanden in dem McGeiz-Laden in der Hauptstraße (siehe Brief). Vorher hatte es so etwas wie eine Verabredung gegeben. Nachdem sie mich dann auf der anderen Straßenseite bemerkt hat, ist sie in den Laden hinein gegangen, um mir die Möglichkeit zu geben, sie anzusprechen dort. Ich bin ihr gefolgt. Ich bin zu ihr hingegangen, habe sie von der Seite angeguckt, habe mir eingebildet ein Unsichersein, ob sie es ist, habe mich verwickelt in dieses Unsichersein und bin wieder gegangen. Sie hat da gestanden und, als ich zu ihr trat, mich nicht angeschaut, sondern auf ein Warenregal geblickt; sie hat auch nicht gelächelt, um mir ein Erkennen zu signalisieren und mich zu ermutigen; sie stand da mit der verschlossenen Miene, die ich schon vorher an ihr gesehen hatte. An der hätte ich sie eigentlich erkennen müssen. Aber es ging gar nicht um Erkennen. Was uns gehindert hat, sie gehindert hat, mich gehindert hat, war Unsicherheit, meine Unsicherheit, ihre Unsicherheit. Die hat uns beide unfähig gemacht, das Wenige und Selbstverständliche zu tun, das notwendig gewesen wäre, um Hallo zu sagen und gemeinsam schnell den bescheuerten Laden zu verlassen, den sie ausgesucht hatte für diesen Moment. - Ein Jahr später, gestern, zur gleichen Tageszeit, gab es wieder eine Verabredung. Die hatte nichts zu tun mit einer Jahrestag-Sentimentalität. Es war Zufall, dass es der gleiche Tag, die gleiche Zeit war. Es hatte sich durch Ereignisse in der letzten Woche ergeben, dass es zu dieser Verabredung gekommen ist. Die Idee zu der Verabredung hatte ich. Den Anstoß dazu hat sie gegeben. – Von Erinnerung bis Anstoß ... gegeben, das ist eine Passage aus dem Text, den ich heute Vormittag geschrieben habe über das Experiment von gestern. Unsicherheit als Erklärung für die Verrücktheit unserer Unfähigkeit zueinander zu kommen. Nachdem dann das passiert war, was dazu geführt hat, dass ich das Experiment nicht mehr fortsetzen will, habe ich das hier geschrieben: Es könnte sein, dass die Tess und ich uns einfach nicht verstehen. Dass wir kein Verständnis für einander haben, und das fängt schon an bei der Körpersprache. Dass wir zwei Leute sind, die einfach nicht können miteinander. Das wäre dann auch eine Erklärung dafür, warum wir zu einem Kennenlernen nicht in der Lage waren: ihre und meine unbewussten Reflexe haben es verhindert - um unser Überleben zu sichern. – Aber warum ziehen wir uns dann so an und hören nicht auf damit, es zu tun? – Das ist das Rätsel. Wir beide sind das Rätsel. Nicht sie ist ein Rätsel, wie ich es mir immer eingeredet habe. Die Tess ist so einfach und so durchsichtig wie ich. Und was sie sich wünscht, das weiß ich inzwischen, ist gar nicht so verschieden von dem, was ich mir wünsche. Vielleicht ist es sich sogar sehr ähnlich, was wir uns wünschen, und deshalb ziehen wir uns so stark an. Aber wir können nicht miteinander. Warum sie nicht mit mir kann, das muss sie wissen. Dass ich nicht mit ihr kann, liegt daran, dass sie herrschen will. Das ist ihr Plot: herrschen zu wollen. Ob das generell ihr Plot ist, das weiß ich nicht. Auf jeden Fall ist es ihr Plot mir gegenüber. Und das geht nicht. Ich bin nicht beherrschbar. Keine Frau, kein Mann, niemand kann mich beherrschen. Von meiner Katze habe ich mich beherrschen lassen. Aber das war ein Spiel. Ich habe es zugelassen, und wenn es mir zu viel wurde, habe ich sie kurz angebrüllt. – Darf man seine Katze anbrüllen? – Natürlich nicht. Streng verboten! Aber ich habe es gemacht. Darauf hat sie mir einen verächtlichen Blick zugeworfen mit der Botschaft: Mit was für einem Gemütsproll habe ich es hier zu tun! und dann hat sie sich arrogant abgewandt und sich in ihre Welt zurückgezogen, bis sie was zu fressen brauchte und dann war wieder alles gut. Ende Abschweifung. Und die ist selbstverständlich kein Kommentar zur Tess. Mein Neuestes: eine Episode mit einer Abschweifung beenden (siehe gestern das mit dem Barbour). – Thanksgiving. Heute wird in den USA Thanksgiving gefeiert. Ich weiß nicht, ob es ihr etwas bedeutet, aber da sie nun mal Amerikanerin ist: Happy Thanksgiving, Tess! - Und das noch: Bei der Morgenlektüre habe ich gelernt, dass es an Thanksgiving den Brauch der shout outs gibt. Der besteht offenbar darin, dass man beim Thanksgiving-Essen aufsteht wie zu einem Toast und einen Dank ausspricht, nicht für den Truthahn oder was sonst noch zum Essen auf dem Tisch steht, sondern einen Dank an eine Person, die am Tisch sitzt oder die heute nicht bei uns sein kann.– Obwohl ich als Europäer keinen Anteil am Thanksgiving-Mythos habe, hier mein shout out: Danke, Tess! Für unsere Geschichte. Und für den Blog. Ohne Dich würde es ihn nicht geben. - Und gleich noch ein shout out: Dank an alle, die den Blog lesen.