Montag, 22. November 2010

Vorlage

Taewoo. Im Text von gestern seinen Namen verlinkt auf seine Website. Beim Googlen seines Namens einen Eintrag Taewoo Kang auf Facebook gefunden. Doch das ist nicht er. Hätte mich auch gewundert. Taewoo, der alte Hochkultur-Stalinist auf Facebook. Stalinist? Habe ich ihn immer mal wieder genannt wegen seine Strenge und seinem Nichtabrücken von seiner Generallinie, auch Grundsätze genannt. Grundsätze wollte ich nicht haben. Er hat welche. Diktatur des Akademismus. Meine Sticheleien deswegen, seit ich ihn kenne. Seit etwa zehn Jahren. Etwa genau so lange sehe ich Arbeiten von ihm und rätsele, warum er nicht selbst guckt für seine Malerei, sondern sich Blicke von anderen nimmt als Vorlage. Abbildungen, die er findet in Zeitschriften oder Prospekten. Zerknitterte Ausrisse, die er zusammengefaltet in der Manteltasche mit sich herumträgt, bis er sie auseinanderfaltet in seinem Atelier und – nach ihnen malt. Natürlich nicht kopiert oder einfach nur abmalt. Er malt nach ihnen. Trotzdem: Als Maler schuldest du uns deinen Blick, habe ich mal zu ihm gesagt und damit für einen Moment meine Zurückhaltung aufgegeben beim Kommentieren von Taewoos Arbeit. Zurückhaltung, weil ich von Malerei keine Ahnung habe. Viel gesehen, aber ich kenne mich nicht aus mit Malerei so wie ich mich auskenne mit Kino oder mit Literatur. Deshalb lieber auch mal nichts sagen, deshalb auch mal eine Frage nicht stellen, weil sie könnte banausisch sein. – Dennoch, als Taewoo erzählt, er habe wieder angefangen zu zeichnen, und das auch nach Vorlagen, frage ich entgeistert: Was? Du zeichnest auch nach Vorlagen? – Achselzucken Taewoos: Wie sonst? - Ich habe es nicht verstanden. Darauf erzählt er von einer Künstlerkollegin, die es auch nicht verstanden hat und etwas sagte, das pointiert hat, was ich auch dachte: Dann kannst du es auch gleich lassen. – Das hat er erzählt und fein gelächelt. Schalkhaft. Unbeirrt. Aber erklärt, begründet hat er seine Arbeitsweise weder da noch bei anderer Gelegenheit. Wenn er sich geäußert hat über seine Malerei, dann allenfalls mit Sätzen wie: Heute habe ich das Bild von gestern übermalt. Oder: Heute gab es keinen Grund zu malen. – Beide Sätze haben sich mir eingeprägt und ich habe jedes Mal an sie denken müssen, wenn ich mal wieder die Arbeit vom Vortag weggeschmissen habe oder wenn es an einem Tag einfach nichts geworden ist.  - Erinnerung an einen Abend vor fünf Jahren, an dem Taewoo in dem Haus in der Kolonnenstraße, in dem er lange sein Atelier hatte, ausgestellt hat. Nur an diesem Abend, acht bis zehn Bilder, kleine Formate. Eine Entwicklung war sichtbar. Wahrscheinlich deshalb hat er die Bilder gezeigt. Am Rande habe ich mitgekriegt, wie die Frau, in deren Raum er ausgestellt hat, auch Malerin, ihn fragte: Und die sind alle nach Vorlagen gemalt? Aus Zeitschriften? - Ja, hat er geantwortet. Kein Wort mehr. Nur wieder das feine Lächeln. Schalkhaft. Dieses Mal mit einer Nuance Trotz. Der Trotz vielleicht auch deshalb, weil von all den Leuten, die gekommen waren - Freunde, Kollegen - kein einziger sich zu den Bildern geäußert hat. Das hat er mir am nächsten Tag erzählt, als ich eine Bemerkung machte über seine Entwicklung und er mit dieser Bemerkung zwar nichts anfangen konnte, sie aber dankbar aufnahm, weil ich der Einzige war, der damit überhaupt was zu den Bildern gesagt hatte. Ende Vorgeschichte.  Heute Morgen finde ich bei der Suche nach Taewoos Website eine zweite Website - der Prozessgalerie - mit einer Präsentation von Taewoo Kang. Das nun wirklich er. Besser kaum zu  treffen das Foto mit dem portrait of the artist als hübscher Junge auch noch mit Mitte 40. Neue Arbeiten von ihm. Und, ich fasse es nicht, ein Text -  ein Text von Taewoo. Er hat sich geäußert zu seiner Malerei. Er hat etwas gesagt und es wurde aufgeschrieben von jemand anderem oder er hat den Text selbst geschrieben. Ich habe ihn schon beobachtet, wie er in ein kleines Notizbuch geschrieben hat. Dass es Gedanken gibt zu seiner Malerei, war mir klar. Dass es vielleicht zu viele Gedanken sind, habe ich ihm immer wieder gesagt (Warum gibst du die Malerei nicht auf und studierst Philosophie?). Aber er hat sie nicht geäußert, die Gedanken über seine Arbeit, nur gezeigt, dass er sie sich macht, mit seinen Gedanken über andere Kunst und mit seiner Derrida-Lektüre und der Heidegger-Lektüre und der Gadamer-Lektüre, sogar Husserl hat er gelesen, wenn ich mich recht erinnere. Doch jetzt haben die Galerieleute ihn rumgekriegt sich zu äußern. Und ich lese mit Spannung:    
Kürzlich ist mir wieder bewusst geworden, dass es sich doch um Licht handeln könnte, in meiner Malerei.
Von Motiven und Anlässen, ein Bild anzufangen, abgesehen. Und auch fern von dem Gedanken der Demokratisierung der Malerei durch die „Moderne“. Das ist etwas länger her.
Meine Perspektive ist eine alltägliche aus meiner Augenhöhe und meinem Augenwinkel gesehen.
Das ist Taewoo. Dass es sich doch um Licht handeln könnte. Die Unangestrengtheit. Das kultivierte Vermeiden von Eifer und Bemühen. Lieblingswort von Ernst Jünger, mit dem Taewoo nichts anfangen könnte, aber das Wort müsste ihm auch gefallen, denn die damit ausgedrückte Haltung ist seine: désinvolture. Oder noch mal anders: Der Dandy, der mit einer Schildkröte an der Leine durch eine glasüberdachte Passage flaniert in Paris, als es die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts war. - Demokratisierung der Malerei durch die Moderne gefällt mir nun wieder, als Formulierung und als Entwicklung. Dauerdiskussion zwischen Taewoo und mir über Pop-Konzepte. Aber wahrscheinlich meint er das nicht so vordergründig. – Ihn danach fragen. – Das mit der Augenhöhe und den Augenwinkeln. Das hört sich für mich an wie Katalogsprech. Kommt mir vielleicht aber auch nur deshalb so vor, weil ich es nicht verstehe. Damit meint er doch wohl nicht, wie er auf seine Vorlagen schaut – die Ausrisse aus Zeitschriften oder Prospekten. Meint er damit den Blick auf sein Bild oder seinen Blick im Bild? – Auch fragen. – Und wenn ich schon dabei bin, ihn auch endlich mal fragen nach seinem mir rätselhaften Verfahren, nach gefundenen Vorlagen zu arbeiten. Ist das eine methodische Achtlosigkeit oder Gleichgültigkeit gegenüber dem Motiv? Gleichgültigkeit deshalb, weil es ihm nicht auf das Motiv ankommt, sondern nur auf die Umsetzung, also auf die Malerei? Wie wenn ich sagen würde, es ist egal, was ich erzähle, mich interessiert nur das Erzählen selbst; was ich lange Zeit tatsächlich auch gedacht habe, doch inzwischen nicht mehr denke. - Methodische Achtlosigkeit oder Gleichgültigkeit, Taewoo, ist es das? – Könnte sein die erste Frage in einem Interview mit Taewoo über seine Arbeit. Interview mit ihm, das ich schon lange vorhabe. Es fehlte nur der Anlass. Jetzt gibt es ihn: Taewoo hat sich erstmals zu seiner Arbeit geäußert. Dann kann er mir jetzt auch ein Interview geben.