Mittwoch, 29. Dezember 2010

Aus

Vor dem Balkonfenster Eiszapfen. Bis zu einem Meter lang. Toller Anblick. Weh mir, wo nehm ich, wenn es Frühling ist, die Eiszapfen, und wo die .. . Kalauer. Keine Symbolik. Nur noch die Assoziation, von einem Eiszapfen erschlagen zu werden, der von einer Dachrinne sich löst und herabstürzt Richtung Bürgersteig. Das aber erst, wenn es taut. Vorläufig ist es dazu viel zu kalt. Viel zu kalt auch, um vom Schneewetter gute Laune zu bekommen. Habe ich aber zu meiner Überraschung doch, zumindest Zeichen davon, als ich es im Penny Markt mit den Zicken des Pfandflaschen-Automaten zu tun kriege und darüber Witze mache mit einer Mitarbeiterin des Supermarkts. Zu Hause beim Rauchen an der spaltbreit geöffneten Balkontür dann gleich wieder die Depression von heute Früh, von heute Mittag, von heute Nachmittag. Wäre ich ständig von Menschen umgeben, wäre meine ständige gute Laune wahrscheinlich nicht zu ertragen für diese Menschen. So aber fühle ich mich heute so schlecht, dass ich zwischendurch mal gedacht habe, dass das doch gar nicht sein kann: dass es mir so schlecht gar nicht gehen kann, wie ich mich fühle. Wirklich schlecht geht es einem, wenn man das nicht mehr denken kann. Wenn es keinen rettenden Gedanken, keine rettende Aussicht gibt. Wenn die einzige Aussicht ist, dass es noch schlechter wird. So dass nur noch Sterben hilft. Womit wir bei Peter sind, der gestern Abend an einer Gesprächsstelle, die ich nicht näher bezeichnen will, mal wieder fröhlich erklärte: Dann sterbe ich eben. - Überhaupt so aufgekratzt war gestern Abend und charmant dabei, als er anrief, dass ich mehrfach nachfragte, ob er betrunken sei. War er nicht. Hinterher hatte ich den Verdacht, dass wir nicht unter uns waren bei dem Gespräch. Dass er mich – ohne mein Wissen – einer seiner zugeschalteten Skype-Freundinnen vorstellen wollte. Vielleicht Caro, einer ehemaligen und wieder neuen Flamme von ihm. Die ist mir von allen die Liebste, hat er neulich erklärt. – Und was ist mit deiner aktuellen Freundin? – Schwierig. Sie macht ihm ständig Vorwürfe. Und außerdem ist es so, dass es mit ihr faktisch aus ist seit Frühsommer. – Was?! – Ja, ja, im Juni hat sie gesagt, sie will keinen Mann mehr haben und seither ist nichts mehr gelaufen zwischen uns. – Dann hat das also beigetragen zu deiner schweren Krise im Sommer? – Kann man sagen. – Und warum erzählt er mir das jetzt erst, dass sie seit Juni kein Paar mehr sind, sondern nur noch Freunde, die täglich telefonieren miteinander und sich beschimpfen? - Wahrscheinlich, weil er es sich lange selbst nicht eingestehen wollte, weil er hoffte, dass es wieder was wird mit ihr. Vielleicht auch, weil wir im Sommer noch nicht so vertraut waren miteinander, wie wir es vor langer Zeit waren und es erst seit ein paar Wochen wieder sind. Zu unserer beider Freude. - Nach dem Telefongespräch mit Peter habe ich dann weiter an die Tess geschrieben. Wieder so ausbruchartig wie am Tag zuvor, als ich ihr auf einmal – zu meiner eigenen Überraschung, aber ohne es hinterher zu bereuen – das Sieben-Tage-Ultimatum gestellt habe. Was ich ihr gestern geschrieben habe, ist der Grund dafür, dass es mir heute so schlecht geht. Denn es könnte gut sein, dass die Einsichten, zu denen ich gestern beim Schreiben an sie gekommen bin, das Ende der Tess-Geschichte überhaupt und in diesem Blog sind. – Wie das denn? – Angefangen hat es mit einem Gefühl der Ernüchterung am Morgen nach dem Post vom Sonntag, als ich empfand, was ich heute in einer Notiz so formuliert habe: diese ganze Liebesgeschichte mit der Tess ist nichts anderes als eine Selbsterregung von mir und sie schaut mir dabei zu. – Schwer vorstellbar, damit weiter zu machen, nachdem mir das so deutlich geworden ist.  – Bleibt die reale Person, die ich Tess nenne. Über die habe ich gestern geschrieben an sie. Erst geschrieben, dass die mich nicht mehr interessiert. Weil sie entweder eine Person ist, die mich verarscht oder das Mausi vom Professor ist. Und da ich nicht verarscht werden will und ich mich für Mausis von Männern, die sich ein Mausi halten, noch nie interessiert habe ... . – Nach dem Absetzen des Posts von gestern habe ich ihr weiter geschrieben und sie um Verzeihung gebeten dafür, dass ich sie als ein Mausi bezeichnet habe. Ich sei nicht wütend auf sie, sondern wütend auf mich, weil ich mich so lange schon mit diesem imaginären, neurotischen Kleinscheiß abgegeben habe (gemeint die Umstände mit dem Professor, die mich nichts angehen und auch nicht interessieren). Und: dass ich gar nicht weiß, ob sie mich interessiert oder nicht interessiert, weil ich sie gar nicht kenne. Dass ich sie aber weiterhin kennenlernen möchte und dass ich erst dann, wenn ich weiß, wer sie ist, mich interessieren kann dafür, wie sie lebt und mit wem und wie es ihr dabei geht. Doch wer unsere Geschichte kennt, weiß so gut wie ich, dass es dazu nicht kommen wird.  - An einem Tiefpunkt heute Vormittag war ich so weit, dass ich den Blog beenden wollte. Doch dann habe ich mich zusammengerissen, weil ich dachte, es wäre zu schade, den schönen Titel aufzugeben und die paar Leute, die den Blog regelmäßig lesen. Hoffentlich nicht nur wegen der Tess, sondern weil sie sich für mich interessieren. Denn ab jetzt ist der Blog nur noch über mich.