Sonntag, 12. Dezember 2010

Einfluss

Es ist nichts Unerwartetes passiert gestern. War aber trotzdem viel Schönes dabei. Später dann noch Anruf von Peter. Aktueller Stand bei ihm, dass sein Sohn nicht vorbeigekommen ist, um für ihn den Wochenendeinkauf zu machen, und auf Nachfrage Peters sich auch nicht anders besonnen hat. So musste der alte Vater in zwei Paar übereinander getragenen Wollsocken und Sandalen (er kriegt seinen rechten Fuß nicht in einen Schuh hinein) durch den Schneematsch und die Pfützen humpeln, um seine Besorgungen selbst zu machen. Der Sohn zeigt anscheinend mit Bedacht Härte dem Vater gegenüber. Peter sagt, dass er ihn versteht, stimmt mir aber zu, als ich Mutmaßungen darüber anstelle, dass der Sohn jetzt wahrscheinlich auch unter dem Einfluss der mütterlichen Freundinnen (Freundinnen seiner verstorbenen Mutter) steht und es nicht auszuschließen ist, dass die ihn aufhetzen gegen seinen Vater. - Peter: Das sind Feministinnen. Die eine übrigens Professorin. Die andere TV-Regisseurin. – Lesben? – Nein, kann man nicht sagen. - Sie leben nur zusammen? – Ja. – Wir haben dann das Thema wegen der uns gemeinsamen Sprunghaftigkeit nicht weiter verfolgt, obwohl es schon interessant gewesen wäre zu ergründen, wie es kommt, dass die beiden Frauen den Sohn bestärken in einer Haltung, die beschrieben werden kann nicht nur als überfällige Lösung vom Elternhaus und als sich absetzen vom (selbstverschuldeten) Elend des Vaters, sondern auch als Hartherzigkeit - wenn man den Fall von Peter aus und mit Mitgefühl für ihn betrachtet. Meines hat er, weil ich ihn mag. Der Sohn mag seinen Vater in seiner gegenwärtigen Lebensphase offenbar nicht. Warum soll er das verbergen? Bei der gelungenen Vorgeschichte der beiden wird das bestimmt auch irgendwann wieder anders sein. Einkaufen gehen für den Vater könnte der Sohn allerdings schon, solange Peter so schlecht zu Fuß ist, denke ich. Der Sohn sieht es anders. Seine mütterlichen Freundinnen bestärken ihn vermutlich in dieser Sicht. Und Peter war endlich mal wieder draußen und konnte schon mal üben für die kommende Woche, wenn er jeden Tag raus muss zu verschiedenen Arztterminen und gleich am Montag zu einen Termin bei einem Psychotherapeuten. Wird er sich mit dem einig über Bedingungen und Aussichten einer Therapie seiner zusammengebrochenen Persönlichkeit, wird er nicht in die Psychosomatische Klinik gehen. Obwohl seine über die ganze Welt verstreuten Freundinnen (Australien, Ecuador, Wien, Neustadt/Weinstr.), mit denen er täglich über Skype kommuniziert, ihn beschwören, den zweimonatigen Klinikaufenthalt auf sich zu nehmen – und ihm hoffentlich die Freundschaft kündigen, wenn er nicht tut, was sie ihm raten. Denn diese Freundinnen sind ein Gespensterhaufen und Teil deiner Illusionen über dich selbst, sage ich zu Peter. Vergiss sie und konzentriere dich auf deine aktuelle Freundin, die ist real. – Die ist aber auch eine Borderline-Persönlichkeit, sagt Peter. – Na und? Du hast immer nur Frauen mit einer Macke gehabt und das mit der Borderline-Störung kann schließlich auch besser werden unter deinem unermüdlichen Einfluss. – Doch da ist er nicht so optimistisch, zumindest heute nicht. Und ich gebe an der Stelle mal zu, dass ich nie länger als fünf Minuten verstanden habe, was eine Borderline-Störung ist – es immer nur so lange verstanden habe, wie es dauerte, um es nachzulesen und dann zu denken: Aha, verstehe. Doch wenn der Begriff irgendwann wieder auftauchte, war ich semantisch wieder völlig blank. Ohne Vorstellung. Vielleicht würde sich das ändern, wenn Peter mich mal mit seiner aktuellen Freundin bekanntmachen würde. Aber das will er nicht oder traut er sich nicht. Vermutlich wegen ihrer Borderline-Störung. – Nun bin ich gar nicht zu meinem Eigenen gekommen. Erlebnisse von gestern. Das Schöne verschweige ich wegen Heimlichkeit ohnehin. Nur soviel: Es war mit der Tess, die nicht nur zauberhaft ist, sondern auch eine richtig tolle Person. Das habe ich schon immer geahnt. Jetzt weiß ich es und möchte noch viel, viel mehr davon. Fortsetzung folgt.