Dienstag, 14. Dezember 2010

Konkurrenz

Vom Sonntag ist noch zu berichten, dass es am Nachmittag bei der Rückgabe des entliehenen Films zu einer Verständigung zwischen mir und dem Videoworld-Mitarbeiter über meinen Auftritt vom Vortag gekommen ist. - Ich: War das denn so schlimm, was ich zu dir gesagt habe? – Er: Nein. Es war einfach nur der falsche Moment. – Ich: Ich habe ja auch eingesehen, dass ich meine Frage hätte weglassen können. – Er: Es war einfach nur der falsche Moment. – Ich: Dann vertragen wir uns wieder. – Er: Na klar. - Wäre die Verständigung – der Versuch einer Aussprache -, die im Anschluss an die Szene bei Videoworld stattfand, doch nur annähernd so einfach gewesen. Die Aussprache dauerte drei Stunden. Verabredet war, das Gespräch bei einem Spaziergang zu führen. Doch dann hatte die andere Seite sich nicht warm genug angezogen, so dass wir nicht wie von mir geplant zum Friedhof in der Großgörschenstraße gehen konnten, den ich der anderen Seite bei dieser Gelegenheit zeigen wollte. So setzten wir uns ins Café Gottlob und zogen irritierte Blicke auf uns, weil das erste Drittel des Gesprächs von uns sehr erregt geführt wurde und ich dabei mehrfach so laut wurde, dass alle im Café etwas davon hatten. Im weiteren Verlauf des Gesprächs beruhigten wir uns beide und Lüder, der ab 17.30 Uhr hinter dem Tresen arbeitete, musste sich dann schon umständlich am Spülbecken zu schaffen machen und sich weit herunterbeugen, um mithören zu können, worüber wir redeten. Am Ende äußerte die andere Seite: Ich werde das jetzt mal alles auf mich wirken lassen. Und mein Schlusswort beim Abschied war: Das war dann doch ein gutes Gespräch. Wir sollten es fortsetzen. – Ein gutes Gespräch war es, weil ich am Schluss nicht mehr rumgebrüllt habe und die andere Seite damit aufgehört hatte, mir Vorwürfe zu machen. Ob wir das Gespräch fortsetzen sollen - und wollen - und wie das geschehen soll, das muss sich erst noch zeigen. - Meine erste Reaktion nach dem Abschied bestand in dem Gefühl, dass ich das alles am liebsten nicht erlebt hätte. Den Auslöser für das Gespräch nicht und damit auch das Gespräch selbst nicht. Diese Reaktion mag wie mein übertrieben freundliches Schlusswort auf Erschöpfung zurückzuführen sein. Unvermittelt war sie allerdings nicht. Denn das hatte ich mir in den letzten Wochen schon ein paar Mal gedacht: dass es vielleicht besser gewesen wären, es bei dem Bruch belassen zu haben, zu dem es in der Freundschaft mit der anderen Seite vor vier Jahren gekommen war. Doch dazu hätte ich das Versöhnungsangebot, das die andere Seite mir im Frühjahr gemacht hat, ausschlagen müssen – und so bin ich nun mal nicht, dass ich so ein Angebot ausschlage. – Meine zweite Reaktion auf das Gespräch bestand darin, dass ich gestern zweimal versucht habe, über die Aussprache zu schreiben und über Notizen nicht hinausgekommen bin. Deshalb habe ich mir gestern schon überlegt, über das Gespräch, das im Grunde genommen ein unangenehmes Gespräch war, hinweg zu gehen und hier so zu tun, als habe es gar nicht stattgefunden. Dann ist mir aber eingefallen, dass das von der anderen Seite als unfair empfunden werden könnte, wenn ich nicht über das Gespräch schreibe und damit auch verschweige, dass sich die andere Seite einer Aussprache gestellt und welchen Standpunkt sie vertreten hat. In dem Konflikt, über den ich geschrieben habe in Einleitung, Angebot, Nachfrage und Adorno. Geschrieben habe über den Konflikt aus meiner Perspektive. Erzählung meines Erlebnisses einer Enttäuschung und einer Kränkung. Mit einer Person, die ich in dem Text Freund genannt habe; die Person anonymisiert durch Weglassen und Verallgemeinern. Die Person gemacht zu einer Figur im Roman meines Lebens. Kapitel: Freundschaft. Thema: Bewältigung einer Enttäuschung über und Kränkung durch einen Freund. Im Mittelpunkt stehend mein Erlebnis, nicht die Person des Freundes, mein Wahrnehmen eines Freundes. – Das erkläre ich deshalb so ermüdend ausführlich, weil eben das zu einem Konflikt führte in dem Gespräch, der den auslösenden Konflikt – um die nicht gegebene Hilfe und die Umstände des Nichtgebens der Hilfe - in den Hintergrund drängte. So dass es in der Aussprache am Sonntag nur mehr am Rande um meine Enttäuschung und mein Gekränktsein und dessen Anlass ging. In der Hauptsache aber um die Empörung der anderen Seite darüber, dass ich über diese Enttäuschung, Kränkung und ihren Anlass geschrieben hatte und wie - WIE! - ich das getan hatte. Nämlich so, dass sich die andere Seite in der Erzählung vom Erlebnis mit dem Freund als der Freund wiedererkannt hat und entsetzt darüber war, was für ein Bild ich von diesem Freund gezeichnet habe. Von Beginn der Aussprache an fand ich mich daher in einer defensiven Position: desjenigen, der eine für die andere Seite unvorteilhafte Wahrnehmung gehabt hat und diese Wahrnehmung nur aus dem kleinlichen, kläglichen Motiv hatte, dass er nicht bekommen hat, was er wollte. Nachdem wir die darauf zielenden Vorwürfe durch hatten, wechselte das Gespräch in seinem zweiten Teil zu einer kritischen Betrachtung meiner Person, die darauf hinauslief, meine Haltung gegenüber der anderen Seite aus weiteren fragwürdigen Motiven zu erklären. Wie  zum Beispiel einem mir unterstellten Neid auf das glückliche Familienleben der anderen Seite. ... (Passage wegen Diskretion gestrichen) ... .  Mit den Vorwürfen hingegen hatte ich leichtes Spiel. Bis auf den einen Vorwurf: dass ich über mein Erlebnis mit dem Freund geschrieben hatte. Das ist mir erst im Gespräch am Sonntag klar geworden, wie sehr das die andere Seite getroffen hat und treffen musste – nicht nur, dass ich es getan habe, sondern wie ich damit einen Einblick in meine Wahrnehmung der anderen Seite gegeben habe, einen Einblick, der nicht anders als verletzend empfunden werde konnte. Doch was wäre die Alternative gewesen? Hätte ich darauf verzichten sollen, vom Erlebnis meines eigenen Verletztseins zu schreiben, um die andere Seite vor Verletzung zu bewahren, die ihr zugefügt werden konnte, wenn ich schreibend mein eigenes Verletztsein zu bewältigen versuche? Denn nur darum ist es bei meinem Schreiben gegangen, keineswegs darum, die andere Seite zu verletzen. Dass das geschah, war eine unvermeidbare Nebenwirkung, aber nicht die Intention. –  Über dieses Dilemma hätten wir reden können. Aber dazu sind wir nicht gekommen, weil es die ganze Zeit - sozusagen im Subtext des Gesprächs - um etwas ganz anderes ging: Um den zweiten großen Vorwurf: Du fühlst dich mir überlegen. Und um Konkurrenz. Konkurrenz um Überlegenheit. Diese Konkurrenz haben wir in der Aussprache aufgeführt und zwar so, wie wir es schon häufig getan haben: Die andere Seite, die ich so bezeichne, um die Anonymisierung zum Äußersten zu treiben, und die ich jetzt er nenne – die andere Seite, also er, hat mit mir konkurriert darum, wer von uns beiden dem anderen überlegen ist, und ich habe ihn ins Leere laufen lassen, indem ich mich der Konkurrenz verweigert habe. Weil mich Konkurrenz nicht interessiert, wenn es um nichts geht; wenn das Konkurrieren rein olympischen Charakter hat, wie das in einer Freundschaft der Fall ist. Allerdings ist es bei meiner Durchtriebenheit nicht auszuschließen, dass dieses Verweigern des Konkurrierens nur eine besonders raffinierte Taktik ist, Überlegenheit herzustellen, und damit in Wahrheit auch zu konkurrieren. Ich räume das als Möglichkeit ein. Ich bin mir nicht sicher, ob es so ist. Doch das spielt auch keine Rolle bei der Frage, um die es hier geht. Sollen, wollen wir die Freundschaft fortsetzen und wie? - Antwort: Fortsetzen, wenn es uns gelingt, mit der Konkurrenz aufzuhören. Dieses Konkurrieren ist - Ergebnis meiner Gesprächsanalyse - der Grundkonflikt unserer Freundschaft. Den hat es vielleicht unbemerkt von Anfang an gegeben, inzwischen hat er sich jedoch so zugespitzt, dass es besser ist, die Freundschaft zu beenden, wenn uns nichts anderes mehr einfällt, als wie zwei kleine Jungs bei jeder Gelegenheit zu vergleichen, wer den Längeren und wer den Dickeren hat. – Außerdem verspreche ich den Lesern, nie wieder aus Rücksichtnahme auf was für eine Seite auch immer so einen unanschaulichen Text zu schreiben wie diesen. Wenn er also ein Freund sein will, dann soll er bitte auch dazu bereit sein, hier mit seinem Vornamen und als authentische Person - als ganzer Kerl -  in Erscheinung zu treten. Und wenn er dabei ein besseres Bild abgeben will als bisher, dann soll er etwas dafür tun. Statt sich über Wahrnehmungen zu beklagen, kann er sie auch korrigieren. Wenn er nicht als geizig dastehen will, soll er zeigen, dass er es nicht ist. Und wenn er dazu zu geizig ist, soll er zu seinem Geiz stehen.