Montag, 6. Dezember 2010

Maske

16.20 Uhr. Da drüben stand vor zehn Minuten die Tess und hat sich die nassen Haare gekämmt unter Zuhilfenahme eines scherenartigen Elektroteils, von dem ich nicht weiß, wie es heißt (Brennschere? Zum Locken machen? Was hat sie gegen ihre glatten Haare?). - Jetzt ist sie wieder weg und ich habe noch keine Ahnung, was ich machen kann aus diesem Textanfang. Geschrieben, weil ich den Textentwurf von heute Früh, der mir beim Überarbeiten des Vater-Posts eingefallen ist, lieber aufheben will für morgen und mich jetzt gerne noch ein bisschen amüsieren würde wie vorhin bei Reichelt, als ich den Namensvetter getroffen habe. Er war bei Reichelt wegen der Sonderangebote von Melitta Kaffee (25 Prozent günstiger) und von Jim Beam, statt 13 Euro 99 nur 9 Euro 99. – Du trinkst zu Hause Whiskey? - Ja, beim Fernsehen ganz gerne mal. – Er ist Arte- und 3Sat-Zuschauer; sagt er. - Nun merke ich, dass die Stimmung bei Reichelt weder vermittelbar noch fortsetzbar ist alleine mit mir. Dann eben ernst, mit Tagebuch von heute. Immer noch Beschäftigung mit dem Freund. Die besteht im Hauptteil in meinem Bemühen, ihn aus meinem Kopf raus zu kriegen, und zum anderen Teil darin, dass ich mich ständig an Begebenheiten erinnere, die ihn charakterisieren, und mir in Gedanken schon Texte zurechtlege, so dass ich mich nur hinsetzen müsste, um loszuschreiben. Das würde ich auch tun, wenn ich die Texte schreiben könnte als Aufführungen eines anonymen Charakters - wenn sie nicht gelesen werden könnten vom Freund selbst oder von den wenigen Leuten, die ihn erkennen, als Texte, mit denen ich mich abreagiere gegen ihn. Das will ich aber auf keinen Fall. Weder mich abreagieren noch den Eindruck erwecken, ich hätte noch etwas mit ihm auszufechten. Es ist alles gesagt und getan. Nur die Erinnerungstexte werden nicht geschrieben. Schade darum. Vielleicht später mal. – Und sonst? Über den Blog: Das ist keine gute Idee, dass ich künftig Nachrichten bearbeiten will für hier (JMStV). Ich weiß auch gar nicht mehr, wie ich mir das im Einzelnen vorgestellt habe. Ich muss nicht das Quasijournalistische des Blogs verdeutlichen. Ich muss nur das De-facto-Journalistische (Alltagsjournalismus) schärfer umreißen. Wenn Nachrichten, dann soll das Biest Nachrichten produzieren. Mal sehen, wie das geht. - Über die Tess: Dass sie hier mitarbeiten könnte (JMStV), das hingegen ist meine beste Idee seit langem. Wie? - Vieles ist möglich. Und wenn ihre Mitarbeit nur darin besteht, dass sie mit mir über den Blog redet und mich sozusagen berät. – Dann hätten wir etwas, über das wir sprechen können und in dem wir eine Gemeinsamkeit finden, ohne uns mit dem Liebespaarthema beschäftigen zu müssen, an dem wir bislang gescheitert sind, habe ich heute Morgen notiert. Geschrieben unter eine andere Notiz: Es geht um Aufmerksamkeit, nicht um Zustimmung. Ich will mich nicht abgeben damit, was nötig ist, um Zustimmung zu bekommen. Ich will meine Sache machen, unbeirrt von Zustimmung oder Ablehnung. Und ich will, dass mir dabei so viele Leute wie möglich zugucken. – Dazu muss ich die Leute bringen, dass sie mir zugucken. Aber nicht durch die Art, wie ich schreibe, und nicht durch das, was ich schreibe. Das mache ich so, wie ich es will. Und dass ich das mache und wie ich das mache, das ist es, wobei sie mir zugucken können.  – Das ist nicht so abgehoben wie es erscheint. In meinem Leben mache ich das schon seit Jahren so. Nicht unterwegs sein, um anderen zu gefallen. Am Anfang gar nicht so einfach, das hinzukriegen: sich die Maske vom Gesicht zu reißen, die uns aufgesetzt wurde in unserer Kindheit (*). Aber wenn sie runter ist, die Maske, dann will man nichts anderes mehr. Auch wenn man dann, wie mir passiert, alleine dasteht. Doch - in dem Fall zum Glück - bin ich immer weniger originell, als ich denke. Heißt: Es gibt mit Sicherheit noch andere, die so unterwegs sind. Ich muss sie nur finden. Geduld! – Ich habe mich allerdings immer schon gefragt, wie das in einer Liebesgeschichte gehen soll, es nicht aufs Gefallen anzulegen. Ob das überhaupt geht. - Die einzige Liebe, die mir begegnet ist, seit ich ohne Maske unterwegs bin, ist die Geschichte mit der Tess. Das ist keine glückliche Liebesgeschichte. Aber auch keine unglückliche. Die Tess hat – das bitte einfach mal hinnehmen – mehr von mir gesehen als jeder andere Mensch. Trotzdem ist sie immer noch da. Das ist alles, was ich mit Bestimmtheit über diese Geschichte sagen kann. Fortsetzung folgt.

(*) Die Formulierung ist von David Lynch. Aus einem Interview, in dem er über seine Erfahrungen mit Transzendentaler Meditation gesprochen hat.