Montag, 24. Januar 2011

Gutes

Brief an Claudia. Da sie nicht Online ist, lege ich ihr Kopien von Texten aus dem Blog bei. Kommentiere die Geschichte mit dem Hamburger (hierhier, hier). Den Satz, den seltsamen, unverständlichen Satz: Ich kann nur vor mir warnen.  – Dass der spielerisch hingeschrieben war, aber auch zu verstehen ist als ein Ausdruck des Erschreckens und des schlechten Gewissens, das ich hatte, als ich erfahren habe, dass der Hamburger gestorben ist. So ein schlechtes Gewissen, dass ich verschwiegen habe, was zur Feindschaft zwischen mir und dem Hamburger geführt hat. – Nach jahrelangem freundlichen Umgang hatte es auf einmal Reibereien zwischen uns gegeben und ich hatte ihm dabei zu verstehen gegeben, dass ich mit einer Art von ihm, die ich als buchhalterisch und kleinlich empfand, nichts anfangen konnte. Eines frühen Morgens kam ich nach dem Schwimmen in den Laden – damals hatte das Hallenbad in der Hauptstraße noch geöffnet, und da ich vor dem Schwimmen nicht frühstücke, war ich völlig ausgehungert, und deshalb einmal wieder unterwegs wie ein offenes Klappmesser. Die Angestellte des Hamburgers war da, er nicht. Zigaretten, Lottospielen. Irgendwas über 10 Euro. Ich hätte gerne bargeldlos gezahlt. Ging nicht, weil, wie die Angestellte erklärte, der Chef das nicht akzeptiert bei so kleinen Beträgen. Also zahlte ich mit meinem Rest Bargeld und schraubte mich dabei in einen Zorn hinein. In drei, vier Jahren wird es nur noch bargeldlos geben, behauptete ich. Und dann wird Ihr Chef gar nicht anders können, als mitzumachen. Wenn er das noch erlebt, fügte ich hinzu. Und fügte außerdem noch hinzu: Der Gesündeste ist er ja nicht. – Autsch! – Mir war sofort klar, dass sie ihm das weitererzählen würde. Und fortan wartete ich auf eine Gelegenheit, es wieder gutzumachen. Die kam erst Monate später. Ich bezog mich dabei nicht auf die böse Aussage über seine Lebenserwartung. Denn von mir hatte er die schließlich nicht gehört. Stattdessen versuchte ich, den aktuellen Streit, den wir in diesem Moment hatten, zu schlichten, indem ich erklärte: Ich drücke mich manchmal überspitzt aus. Aber das sind nur Worte. Wenn ich etwas gegen Sie hätte, käme ich nicht in Ihren Laden. – Außerdem habe ich noch gesagt: Wir sind uns nicht grün. Das kommt vor. Aber deswegen müssen wir uns doch nicht hassen. – Versöhnungsangebot. Ausgestreckte Hand sozusagen. - Wollte er nicht annehmen. Er wollte mir weiter böse sein. Deshalb war ich ihm dann böse. Wir wurden Feinde. – Es gab dann noch etwas anderes. Zwei Vorfälle. Etwas, das er vielleicht nur gemacht hat, um mich vorzuführen – um mich reinzulegen, um es mir zu zeigen. Ich habe es gemerkt. Ich habe es mir nicht gefallen lassen. Und ich behalte es für mich. Wegen: de mortuis nil nisi bene. Über die Toten nichts, es sei denn Gutes. Nicht aus Ehrfurcht vor dem Tod oder vor den Toten, sondern aus Fairness. Weil sie sich nicht mehr wehren können. – Inzwischen habe ich erfahren, dass er den Laden schon vier Monate vor seinem Tod verkauft hatte und er dem neuen Eigentümer abgehandelt hatte, das Geschäft noch bis Jahresende weiter führen zu können. Der neue Eigentümer hat es ihm zugestanden, weil er so an dem Laden hing. - Das hat man ihm nicht angemerkt. Auch andere Leute hatten Reibereien mit dem Hamburger, hat mir der neue Eigentümer erzählt. Trotzdem, und wenn ich das sage als langjähriger Feind, dann ist das kein Schmus: Er fehlt mir. Und das werde ich bestimmt noch lange denken.