Dienstag, 1. Februar 2011

Aufwachen

16.30 Uhr. Wenn es nachher keine Lichterscheinungen gibt in der Wohnung gegenüber, dann hat sie es kapiert: Ich kann Dir meine Liebe nicht mehr geben auf diese Art. Erstaunlich genug, wie lange das ging. Das spricht für Dich, das spricht für mich. Wie wir zusammen von der Liebe geträumt haben zwei Jahre lang und immer wieder neue Wendungen gefunden haben, um sie wach zu halten. In der Virtualität. Was hätte aus uns werden können in der Wirklichkeit mit dieser Liebesenergie! – Ich habe daran geglaubt. Für die Tess war es vielleicht immer schon ein Spiel. - Nein, glaube ich nicht mal. Egal. Traum ausgeträumt. Ich habe ganz zum Schluss erst gemerkt, dass es einer ist. Realitätsschock. Erwachen. Aber kein böses Erwachen. Dazu war die Zeit, in der wir zusammen geträumt haben, zu glücklich. Es ist auch nichts zerstört worden. Noch ist vieles möglich. In der Realität. Wenn auch nicht alles. Denn die Umstände sind nicht so. – In der Zwischenzeit, während des Wartens, ob die Tess nachher ihr Licht einschaltet, Rückblick auf gestern. Da erst lange Licht. Dachlukenlicht, Und Licht im Contessa-Zimmer. Am späteren Abend Licht aus. Reaktion auf mein Posting von gestern? Oder ein anderer Grund? – Wie oft schon habe ich mir solche Fragen gestellt wie gestern Abend. Aber da zugleich auch die Selbstbeobachtung: Es beunruhigt mich nicht mehr. Manchmal nervt es mich sogar. Nicht die Lichtzeichen, ich brauche schließlich nicht hinzuschauen. Mein Achten auf das Licht ist mir lästig – meine Beschäftigung mit nichts als Licht. – 17.05 Uhr. Kein Licht. Das hat noch nichts zu bedeuten. - Während des weiteren Wartens: Frisch erlebt aus Ägypten. Anruf bei Christoph um die Mittagszeit. Er schläft noch, sagt Monika. Heute Früh sind sie mit dem Zug aus Wien zurückgekommen. Dorthin geflogen worden von Kairo, nachdem ihr planmäßiger Flug nach Berlin vorigen Sonntag ausgefallen war wegen Revolutionswirren. Vorher eine Woche Kreuzfahrt auf dem Nil. Luxor. Pyramiden. Monika hat sie sich größer vorgestellt; trotzdem: wenn man sich überlegt, wie die das geschafft haben, diese riesigen Steine da hochzubringen. – Na ja, darüber kann man auch von hier aus staunen. – Aber das weiß man nicht, wenn man nicht dort war: Die Armen - sicher nicht alle, ein Teil der Armen -, sie leben auf den Friedhöfen. Auf den Gräbern stehen Häuschen, Grabmale, eine Art von Mausoleen. Und in den Häuschen wohnen arme Familien, mit Stromanschluss und Fernsehantenne auf dem Dach. Das geduldet von den Eigentümern der Gräber. Haben die dann einmal einen Angehörigen zu bestatten, zieht sich die in dem Grabhäuschen wohnende Familie vorübergehend zurück. Der Boden wird geöffnet. Der Angehörige beigesetzt. Boden wieder geschlossen. Die arme Familie zieht wieder in ihr Grabhäuschen ein. Das alles im Rahmen der Mildtätigkeit, zu der Moslems verpflichtet sind gegenüber den Armen. - Immer wieder haben Monika und Christoph am Nilufer oder in den Städten niedergebrannte Polizeistationen gesehen. Einmal konnten sie stundenlang nicht zurück auf ihr Schiff, weil die Brücke zum gegenüberliegenden Ufer, an dem das Schiff angelegt hatte, besetzt war von Militär und belagert von der andrängenden Volksmasse. Und im Ägyptischen Museum in Kairo haben sie Verwüstungen gesehen durch Plünderer. Die schlimmsten Schäden gab es in der Abteilung mit Ausstellungsstücken aus der Zeit von Tutanchamun. – Die Plünderer, das waren Polizisten, die das Museum zuvor bewacht hatten. Sie haben ihre Uniformen ausgezogen und dann sind sie hergefallen über die Kunstschätze. Um sich zu bereichern? Um ihre Beute später an Touristen zu verkaufen? - Monatliches Einkommen eines Polizisten 40 Euro. – Oder haben sie im staatlichen Auftrag gehandelt, um der Revolution ein hässliches Gesicht zu geben, um die Aufständischen zu diskreditieren vor der Weltöffentlichkeit? Was die – sonst sinnlosen – Verwüstungen erklären würde. – Natürlich waren Monika und Christoph wie auch die anderen Teilnehmer der siebentägigen Nilfahrt auf der Seite des Volkes und haben den Demonstranten zugewinkt, wo immer sie welchen begegnet sind. – Es gibt nichts Erhabeneres als eine Revolution, sage ich. Während Monika gerade eine gesehen hat. – Seit 17.20 Uhr Dachlukenlicht. Ein. Aus. Ein. – Sie hat es nicht kapiert? Sie will es nicht kapieren? Die Tess besteht darauf, dass wir weiter zusammen träumen? - Teeeeeeesssssss! Wach auf! – Mal sehen, was sie morgen macht, wenn sie diesen Text gelesen hat.