Montag, 28. Februar 2011

Überlegen

Vor Ärger zwischendurch auf den Tisch gehauen beim Lesen der SPIEGEL-Geschichte über die Bild-Zeitung. Auf Seite 136 gedacht, jetzt bin ich gleich durch, aber dann geht es immer noch weiter:  noch eine Seite und noch ein bekannter Fall eines Bild-Opfers, das sich tapfer gewehrt hat und noch eine Seite und noch ein Fall eines Tapferen und noch eine Seite – und alles Sachverhalte, die jedem bekannt sind, der die letzten zehn Jahren nicht im Koma verbracht hat. – Sie nennen es Titelgeschichte. – Geschichte? – Das ist Lesestoff. Aber wer braucht den? Wer hat die Zeit dazu? – 1,1 Mio. SPIEGEL-Käufer und –Abonnenten. Da denk mal drüber nach! – Hinterher noch das Interview. SPIEGEL-Reporter Ullrich Fichtner (45) und Bild-Chef Diekmann (46). Klar, hat der was drauf, sonst wäre er nicht schon so lange da, wo er ist. Aber hätten sie nicht einen Interviewer auf ihn loslassen können, der was anderes drauf hat als dünnlippige Strenge und Pampigkeit?  - Auf den Seiten 135 und 136 des langen Artikels wird mit süffisanter Herablassung der Typus des Bild-Lesers als leicht tölpelhafte Erscheinung beschrieben: Das Phantombild eines durchschnittlichen „Bild“-Lesers zeigt weiterhin einen nicht mehr ganz jungen Mann mit eher schwacher Schulbildung und geringem Einkommen. Gemessen an den Inhalten der Zeitung, so steht zu vermuten, dürfte er des Weiteren ein eher konservativer Mensch sein, der Europa nicht leiden kann, mit Ausländern wenig am Hut hat, die Globalisierung fürchtet, lieber RTL als ARD schaut und politisch zum Nicht-Wählertum tendiert. / Die Politik muss  sich, ob sie will oder nicht zum Lieblingsblatt von zwölf Millionen potentiellen Wahlbürgern irgendwie verhalten  … . - Zwölf Millionen, das ist die Reichweite der Bild-Zeitung, wie viele Leute sie lesen, nicht die verkaufte Auflage. - Reichweite des SPIEGEL? Und wie müssen wir uns diesen anderen Lesertypus vorstellen, der je nach Lesegeschwindigkeit 30 bis 40 Minuten für die Lektüre eines Textes aufbringt - nur, um sich in dem bestätigt zu fühlen, was er schon weiß und ohnehin schon denkt?

Anderes Thema und wie angenehm, wenn in einem Artikel etwas passiert, in jedem Absatz was Neues. The Daily Beast: Why Are Men So Angry?  – Junge amerikanische Frauen, in allem bestehen sie auf Gleichbehandlung, but when it comes to sex and dating, they aren´t so sure, da beharren sie auf traditionell weiblichem Rollenverhalten: wollen, dass die Männer den ersten Schritt machen beim Kennenlernen und bei Verabredungen, wollen, dass der Mann die Restaurant-Rechnung bezahlt, ihnen die Tür aufhält, wollen das Spiel spielen so wie es immer gespielt wurde. Aber da machen die angry young men nicht mehr mit. Sie verbringen ihre Zeit lieber mit der Playstation und mit Internet-Pornographie statt mit diesen Frauen, die sie auch sonst nicht verstehen. Offenbar ein großes Thema zwischen jungen amerikanischen Männern und Frauen: Werden die jungen Frauen danach gefragt, behaupten sie, dem nice guy den Vorzug zu geben, aber wenn es gilt, ziehen viele von ihnen dann doch lieber mit dem bad guy los. – Ist das nicht immer schon so gewesen? - Der nice guy für die Versorgung, der bad guy für den Spaß im Leben. – Schlechte Zeiten für die nice guys, wenn die Frauen sich selbst versorgen können. Dann bleibt den nice guys nur noch die Playstation und die Internet-Pornographie. – Natürlich ist das so einfach auch wieder nicht. Und das sind auch nicht meine Gedanken, während ich den Artikel lese. Meine Gedanken gehen, es kann gar nicht anders sein, zu der jungen Frau von gegenüber. Ist die so? – Die ist so. Klar, ist die so. Oder vielleicht ist sie so und dann auch wieder anders. Wie interessant. Aber das weiß ich nicht. Werde es auch nie erfahren. Nenne sie jetzt übrigens auch nicht mehr Contessa oder Tess. Denke jetzt nur noch an sie als an die Frau von gegenüber, deren Namen ich nicht kenne. Vermutlich auch nie erfahren werden. Und weil ich so wenig über sie weiß, gehen meine Gedanken beim Lesen des Artikels bald zu den anderen Frauen – jungen Frauen, älteren Frauen, deutschen Frauen, nicht-deutschen Frauen, Berliner Frauen unterschiedlicher Herkunft. Frauen, die ich kenne, Frauen, denen ich zusehe. Und da muss ich gar nicht darüber nachdenken, das weiß ich: viele von denen haben auch diesen but when it comes to sex and dating they aren´t so sure-Knick in ihrem Persönlichkeitsentwurf. – Aber ist doch nicht schlimm. Darüber kann man reden, darüber kann man streiten, damit kann man zusammen spielen. – Nur lose verknüpft mit dem Vorhergehenden. Nur, weil es mir gerade einfällt. Bizarrstes Erlebnis mit einer Frau in den letzten Jahren. Phallische Frau habe ich immer gedacht, als ich mit ihr zu tun hatte. Frau, die mit mir konkurriert hat wie ein anstrengender Typ in der Kneipe. Kann nicht ausschließen, dass ich es herausgefordert habe. Gewollt habe ich es nicht. I´m a lover not a fighter, hätte ich sagen können. Doch zum Glück war die Liebe nicht so groß. Einvernehmliche Trennung. Tatsächlich war es jedoch so, dass ich mich davongestohlen habe, indem ich ihr den Vortritt gelassen bei der Trennung. Ich habe ihr Überlegenheitsbedürfnis verwendet gegen sie. Sie hat es nicht gemerkt.

Das hatte ich ganz vergessen bei meiner Oscar-Abstimmung letzte Woche. Kategorie Beste Filmmusik. – And the Oscar goes to: Trent Raznor and Atticus Ross, Soundtrack The Social Network. – Einzige Stelle, an der ich mich gefreut habe heute Früh, als ich über die Verleihung der Academy Awards gelesen habe. - Trent Raznor ist der Frontmann von Nine Inch Nails.