Donnerstag, 31. März 2011

Merkelland

Als ich den Supermarkt betrete, wechseln die Leute vom hinteren Teil der Warteschlange gerade zur zweiten Kasse, die in diesem Moment geöffnet wird. Sofort bildet sich an der zweiten Kasse eine Schlange von einer Länge, die das Öffnen einer dritten Kasse erforderlich macht, wenn es hier um Kundenfreundlichkeit geht. – Wegen der zwei langen Warteschlangen an den beiden Kassen nehme ich mir extra viel Zeit für meine paar Einkäufe. Aber dann lässt es sich nicht mehr aufschieben, ich muss mich anstellen. Die Warteschlangen sind unterdessen noch länger geworden. Eine Verkäuferin stellt in meiner Nähe einen Wagen mit Waren ab. Als mir klar wird, dass sie nun nicht zur dritten Kasse geht, um sie zu öffnen, weise ich sie auf die Länge der Warteschlangen hin. Sie blafft mich an, indem sie mir erklärt, sie habe keine Kasse (also keine Geldkassette mit Geld, also sie ist nicht eingeteilt als Kassiererin). Damit muss ich mich zufriedengeben und das hätte ich auch getan. Aber sie meint nun, mich beruhigen oder wegen meiner Ungeduld zurechtweisen zu müssen, indem sie behauptet, dass die Warteschlangen doch gar nicht lang seien und ich schon in einer Minute dran käme. – Weil das nicht stimmt, erwidere ich: Das können Sie Ihrem Kind erzählen. – Ich gebe zu, das ist eine äußerst schwache Replik. Aber gerade, weil sie so schwach ist, weder feindselig noch aggressiv. Ich wäre nur gerne ein zufriedener Kunde. – Die Mitarbeiterin hat nun genug von mir und ich von ihr. Da wendet sich ein vor mir stehender älterer Mann mit einer lustigen roten Baseballkappe an mich: Sie haben eben zu wenig Personal hier, sagt er. – Na und, sage ich, dann müssen sie eben mehr Leute einstellen. – Worauf er sich als Pädagoge zu erkennen gibt: Aber da dürfen Sie nicht die Verkäuferin anmachen, sagt er. Ich gebe zu bedenken, dass ich die Verkäuferin ganz sachlich angesprochen habe und überhaupt kein Problem mit ihr habe. Wenn es ein Problem gibt, füge ich in scharfem Ton hinzu, dann sind Sie das. – Ich komme zum Glück nicht mehr dazu, das weiter auszuführen. Denn in dem Moment bemerke ich den Filialleiter, der gerade mit einer Geldkassette unterm Arm zur dritten Kasse eilt. – Sehn Se! sage ich zu dem Pädagogen mit der Basecap, ohne mir ganz im klaren darüber zu sein, was ich damit sagen will, und wechsle schnell zu der dritten Kasse. Dabei lasse ich einem Mann und einer Frau mit Baumsetzlingen in weißen Leinensäcken den Vortritt, komme trotzdem auf die zweite Warteposition und bin jetzt ein zufriedener Kunde. Schwungvoll lege ich zwei Warentrenner vor und hinter meinen Einkauf auf das Warenförderband. Während ich in Gedanken immer noch bei dem Mann mit der roten Baseballkappe bin: Duckmäuser, Arschkriecher, sachzwangverblödeter Schleicher, denke ich und werde dabei immer vergnügter. Von sachzwangverblödeter Schleicher komme ich zu Merkelwähler und Merkelland.  Und dann bin ich auch schon dran und freue mich, dass ich bei Aldi bin.

Mittwoch, 30. März 2011

Augenhöhe

Frühling Tag 10. Frühlingsgespräch mit der Nachbarin. Getroffen beim Verlassen des Hauses, als sie auch gerade losging mit ihrem und einem befreundeten Hund. Beide Hunde schwarz. Der schönere Hund ist der von der Nachbarin. Er ist aber auch ein Gangster. Als solcher bei ihr in den richtigen Händen: Wenn du das noch ein Mal machst, dann hau ich dir auf deine abgeschnittenen Eier, sagt sie zu ihm nach einer schweren Verfehlung im Straßenverkehr, und ich freue mich. Später sagt sie mal Stier-Sport für Stierkampf. Und da freue ich mich auch. Auf den Stierkampf kommen wir, als sie erzählt, dass sie schon reichlich Niederlagen erlebt hat, aber: Dann bin ich wieder aufgestanden. Ich bin eben ein Stier. Dann soll der Torero noch mal kommen. Und beim nächsten Mal fliegt er um. - Angefangen hat unser Gespräch damit, dass ich ihr erzählt habe, wie schlecht es mir gestern gegangen ist. Von Stunde zu Stunde wurde es schlimmer und das einzig Gute an dem Tag war die Hoffnung, dass es heute besser wird, aber überzeugt war ich davon nicht. Ob sie solche Tage auch kennt, habe ich sie gefragt. Kennt sie. Und gerade jetzt ist so eine Zeit, da kann es einem leicht passieren, dass man traurig wird, wenn man die Paare sieht auf der Straße, wie sie rumknutschen. – Dann ist sie also alleine? – Ja. - Und auf der Suche? – Ja. - Mann oder Frau? – Mann. – Und wie lange schon alleine? – Gefühlt, schon immer. – Und faktisch? – Seit etwa vier Jahren. – Die Nachbarin ist 42. Sie hat eine kleine edel gebogene Nase und Augen, die lachen können. Sie denkt und redet schnell und kleidet sich so, dass es mir auffällt und ich ihr heute endlich mal ein Kompliment machen möchte deswegen. Ich hoffe, sie hat es so empfunden. Sie kleidet sich, dass es wie Ironie über Mode ist, sage ich und sie schaut mich darauf von der Seite an und sagt: Aha! – Die Nachbarin ist eine große gertenschlanke Frau. 1 Meter 86 groß. Das weiß ich so genau, weil ich sie gefragt habe. Denn ihre Größe spielt eine Rolle bei ihrer Partnersuche. Sie will nur einen Mann, der so groß ist wie sie oder größer. Nicht, weil sie etwas gegen kleine Männer hätte, überhaupt nicht, sondern weil es mit kleinen Männern nicht gut geht. Irgendwann verkraften die den Größenunterschied zu ihr nämlich nicht mehr, werden deswegen vielleicht noch gehänselt von ihren Freunden und dann sind sie weg. Deshalb besser ein Mann auf Augenhöhe oder darüber. – Da komme ich schon mal nicht in die engere Wahl, denn ich bin nur 1 Meter 80 groß. Trotzdem frage ich mich zwischendurch, ob wir ein Bewerbungsgespräch miteinander führen. Amüsantes Gespräch, schnelles Gespräch. Fliegende Themenwechsel. So macht das Reden Spaß. Aber Fragen stelle nur ich. Sie will nichts über mich wissen. Und als ich erwähne, dass ich 58 bin, da ist sie überrascht. – Warum? Hat sie mich für älter gehalten? – Nein (sie zögert, als würde sie überlegen, was die richtige Antwort ist). Eher für Anfang 50, sagt sie. – Was? Anfang 50! Ich mit meiner alten Raucherhaut?! – Sie räumt ein, dass sie Leute in meiner Altersgruppe nicht so gut schätzen kann. Im Stillen schließe ich aus ihrer schmeichelhaften Fehleinschätzung, dass sie mich nie richtig angeguckt hat. Also kein Bewerbungsgespräch. Nur ein Interview. Thema: Menschen im Frühling. Frühling in Berlin. - Ihre Freundin hat der Nachbarin vorhergesagt, dass sie 2011 einen Mann finden wird. Würde mich wundern, wenn das nicht klappt.

Dienstag, 29. März 2011

Lutscher

Die gern gesehene Sonderschullehrerin hätte ich heute beinahe übersehen auf der Hauptstraße, wenn sie nicht so auffällig weggeguckt hätte. Mir entgegen kommend hat sie den Hals verdreht, als hätte sie eine ganz wichtige Entdeckung gemacht in dem Kramladen, an dem sie gerade vorüberging, und in dem Plunderladen nebenan muss sie gleich auch noch was entdeckt haben. – Liegt etwas gegen mich vor? Oder wollte sie verhindern, Opfer eines überfallartigen Interviews zu werden? – In dem Fall ist sie das Risiko eines Halsstarrkrampfes unnötig eingegangen. Weil ein überfallartiges Interview hatte heute niemand zu befürchten. Nicht mal Hallo hätte ich gesagt, wenn sie hergeguckt hätte, gerade mal gequält gelächelt hätte ich und danach gleich wieder stumpf vor mich hingeblickt. Nichts sehen, nichts hören und bloß nichts sagen – heute nicht und den Rest der Woche auch nicht. So ein Tag ist das heute.

Gestern war Peter endlich beim Hausarzt mit den MRT-Bildern. Ergebnis: Der Knubbel ist ein geschwollener Lymphknoten. Auf mehr wollte sich der Arzt zunächst nicht festlegen. Er muss sich die Bilder später noch mal genauer anschauen. Nach Ende der Sprechstunde wird er Peter anrufen. – Oh! denke ich. Sage aber nichts, muss ich auch gar nicht, Peter denkt auch so schon das Schlimmste. – Ich versuche gute Stimmung zu machen. Lobe ihn dafür, dass er hingegangen ist und den Termin nicht wieder verschoben hat. Sage, wenn du ein Kind wärst, würdest du als Belohnung jetzt ein kleines Geschenk kriegen. – Einen Lutscher? fragt Peter. – Gute Idee, antworte ich. Ich denke mir als Belohnung einen Lutscher für dich aus. – Da ist es gegen 13 Uhr. Peter hat in der Nacht vor Aufregung und Angst vor der Diagnose kaum geschlafen. Die Wartezeit bis zum Anruf des Arztes will er rumbringen, indem er sich über Nachmittag hinlegt, um den versäumten Schlaf nachzuholen. Das gelingt ihm und ich mache es kurz: Anruf des Arztes gegen 18 Uhr. Entwarnung! Kein Lymphdrüsenkrebs. Der Lymphknoten ist geschwollen. Nur geschwollen. Der Arzt empfiehlt, dass Peter beim HNO-Kollegen eine Biopsie machen lässt, um ganz sicher zu gehen. Doch jetzt schon kann Peter sich mal fragen, ob es nicht konstruktivere Möglichkeiten gibt, mit seiner Lebenskrise umzugehen, als sie körperlich abzureagieren mit Darmproblemen, Nasenbluten, Lymphknotenschwellung und Krebsangst. Mehr als drei Monate war er überzeugt davon, Krebs zu haben, den hochaggressiven Halsknubbelkrebs, bei dem man es sich schenken kann, ihn diagnostizieren und behandeln zu lassen, da es sowieso keine Rettung gibt und man sich die verbleibende Lebenszeit nicht von Ärzten verderben lassen sollte. – Das denke ich, sage aber kein Wort darüber, weil ich mich freue und will, dass er sich auch freut. Doch er reagiert auf die gute Nachricht wie ein mäkliger Kunde. Wieso hat er überhaupt noch Lymphknoten am Hals? fragt er sich. Er dachte, die hätten sie ihm alle entfernt damals, als sie ihm den Zungenbodenkrebs wegoperiert haben.

Seinen Lutscher bekommt er trotzdem. Der Lutscher besteht aus zwei Teilen. Einer roten und einer grünen Hälfte sozusagen. Rote Hälfte: Ich rege an, dass Peter ein neues Fotoprojekt beginnt (*) und lade ihn ein, die Fotos hier im Blog zu veröffentlichen. Nicht als Illustration meiner Postings, sondern für sich stehend. Wenn er will, kann das eine Bildgeschichte sein, mit der er seine Geschichte selbst weitererzählt. Denn - grüne Hälfte - ich schreibe ab jetzt nicht mehr über ihn. Nichts mehr über ihn und seine Lebenskrise. Ende des Peter-Erzählstrangs. Ab jetzt muss er es nicht mehr ertragen, morgens um drei zu lesen, was ich alles über ihn denke. Ab jetzt kommt er im Blog nur noch als mein Gesprächspartner vor.

(*) Ein befreundeter Rechtsanwalt und Kunstfreund war so begeistert von Nackte Wände, dem letzten Fotoprojekt Peters, dass er ihn gefragt hat, ob er damit einverstanden ist, wenn eine Auswahl der Fotos bei der nächsten Langen Nacht der Museen in Mannheim in der Alten Feuerwache ausgestellt wird. – Peter war einverstanden. Aber da war es auch so, dass ich mich mehr gefreut habe als Peter, der murrte, er sei doch kein Künstler, er sei Sozialarbeiter. - Wie ein mäkliger Kunde.

Das noch: Peter hatte heute zum ersten Mal seit Wochen kein Nasenbluten.  -  Sonderbar.

Montag, 28. März 2011

Üben

Frühling Tag 8. Heiter bis die Sonne hinter den Wolken verschwindet gegen halb drei. Nichts los im Volkspark bei dem Wetter. Keine Chance für Raubüberfälle auf wehrlose bekiffte Schulkinder. Es ist noch zu kühl, um sich scharenweise nach Schulschluss auf den Rasen  zu setzen und sich die Hucke voll zu kiffen. Eine Großmutter hockt auf einer Parkbank und bläst Seifenblasen für den feisten Säugling im Kinderwagen, der das ungerührt zur Kenntnis nimmt. Ein etwa sechzehnjähriges Mädchen sieht hinreißend aus in seinem schwarzen Outfit mit ganz viel Wolle dabei und ist eher ein Fall für einen street style photographer als für ein überfallartiges Interview. Denn das könnte zu Missverständnissen führen, auf die ich mich heute nicht einlassen will. Deshalb nur Übungen. Beim Verlassen der Bibliothek in der Brandenburgischen Straße eine mir bekannte Person aus Schöneberg, die sich gerade bereit macht, um aufs Fahrrad zu steigen. – Wo kommst´n her? – Bank. – Welche Bank? – Da drüben (deutet auf eine Filiale der Deutschen Bank). - Und wo gehste hin? – In meine Kneipe. – Deine eigene Kneipe? – (nickt) Leonard am Stutti. Kneipe und Restaurant. – Wo am Stutti? – Da, wo früher das Klick war (Kino). – Bin ich in den 70er Jahren oft gewesen im Klick. – Wir alle, sagt er und fährt los. Kneipen-Roland. Langweilig. Nicht sein Fehler. Übung. - Verdacht, dass das Unternehmen überfallartige Interviews scheitern könnte gar nicht an mir, sondern am Mangel an geeigneten Interviewpartnern. –Na, das kann ja wohl nicht sein bei 3.450 900 Menschen in der Stadt.– Falscher Stadtteil? – Das schon eher. –Wilmersdorf. Sigmaringer Straße. Interview mit einer Litfaßsäule. Es geht um eine Plakatekombination, die mir gestern schon aufgefallen ist an einer anderen Litfaßsäule. Ich ziehe mein kleines Sony-Aufnahmegerät aus der Tasche und lese ihm die Plakate vor. Plakat für ein Buch: Krimi-Highlight. – Sie beseitigt die Spuren des Todes. Sie ist ein Cleaner – und sie ist in Gefahr. Abbildung des Buches: Elisabeth Herrmann, Zeugin der Toten. – Das Plakat darunter schmaler: Ausstellung. Der Friedhof der Zukunft. Neue Wege des Abschiednehmens. – ORTE, DIE GUT TUN. Ausstellung in der Parochialkirche,  Klosterstraße 66-67, 10179 Berlin; U-Bahnhof Klosterstraße, S+U-Bahnhof Alexanderplatz. - Ich würde zu gerne mal wissen, was sich da jemand gedacht hat bei der Anweisung an die Plakatkleber, die beiden Plakate in dieser Kombination zu kleben. Eine solche Anweisung muss es geben, denn an einer Litfaßsäule in Schöneberg habe ich die gleiche Kombination gesehen. Oben das Krimi-Highlight über die Entsorgung der Überreste von Gewaltverbrechen. Darunter die Ausstellung über innovatives Beerdigen. Ich komme nicht dahinter. Aber was immer die Person sich gedacht hat, es funktioniert. - Meine Aufmerksamkeit wurde erregt. Und das ist die Antwort auf die gestellte Frage. – Schließlich nur noch rasch zu Penny und danach zu Aldi. Vor dem Eingang die Frage: Gibst du mir einen Euro? – Während ich drinnen an der Kasse stehe, beobachte ich den Mann, dem ich keinen Euro gegeben habe, wie er weitere Passanten anspricht. Mann Mitte 30. Gut gekleidet, im Stil des kunstvollen Verarmens. Feine Gesichtszüge. Kein Säufergesicht. Je länger ich ihn betrachte, desto mehr sieht er aus wie ein arbeitsloser Schauspieler, dem seine Hartz-Grundversorgung nicht reicht und der das Betteln vielleicht auch als Übung betreibt. – Ich beschließe, ihn zu fragen, ob er mit seinem Spruch Erfolg hat. – Als ich auf ihn zugehe, sagt er gleich wieder: Gibst du mir einen Euro? – Ich stelle ihm meine Frage. Er sieht mich verwundert an: Was für ein Spruch? – Na, Ihre Frage: Gibst du mir einen Euro? Haben Sie damit manchmal Erfolg? – Er: Nein, überhaupt nicht. Aber was soll ich machen? Soll ich sagen, ich verprügele dich, wenn du mir keinen Euro gibst. – Reflexartig trete ich einen Schritt zurück und überlege, ob ich ihm den Tipp mit den Raubüberfällen auf bekiffte Schulkinder geben soll, entschließe mich dann aber, wortlos wegzugehen. Für die Raubüberfälle ist er nicht hart genug.

Sonntag, 27. März 2011

Neugierig

Frühling Tag 7. Wäre es nach mir gegangen, hätte der schöne Mann, der aussieht wie Georges Moustaki in seinen besten Tagen, auf der Carl-Zuckmayer-Brücke  gestanden, mit dem Rücken zum Schöneberger Rathaus, lässig angelehnt an die Brüstung, alleine oder mit Leuten, mit denen er so redet, als ob er eine Art Meister für sie wäre, und ich hätte ihn angesprochen: Ich sehe Sie jetzt schon seit Jahren im Frühling und Sommer hier stehen. Und letzten Sonntag habe ich mir vorgenommen, dass ich Sie das nächste Mal, wenn ich Sie sehe, ansprechen will, um herauszufinden wer sie sind. – Sinngemäß. Bestimmt wäre mir spontan eine weniger umständliche Ansprache eingefallen. Oder ich hätte mich einfach nur zu den Leuten, mit denen er redet, dazu gestellt und zugehört. Vielleicht nur zugehört, und wenn ich genug gehört gehabt hätte, wäre ich wieder gegangen. Weil sich vielleicht gezeigt hätte, dass er auch nicht annähernd so interessant ist wie er aussieht und dass er nur ein schöner Mann ist, dem es in seinem Leben nicht gelungen ist, aus seiner Schönheit etwas anderes zu machen, als sich bei gutem Wetter sonntags auf die Carl-Zuckmayer-Brücke zu stellen und sich bewundern zu lassen. Kann sein, kann aber auch ganz anders sein. Heute wollte ich es herausfinden. Er war nicht da. Obwohl er immer da steht bei Sonnenschein und milder Außentemperatur wie heute, war er heute nicht da. Das gibt es auch, dass er mal nicht da steht, obwohl es eigentlich sein Tag und sein Wetter ist. Aha! - Egal. Der Frühling hat erst begonnen. Der ganze Sommer liegt noch vor uns. Der Sonntag wird kommen, an dem ich meine Neugier befriedigen kann. Doch ganz so einfach ist es nicht. Da ich nun wieder ganz mir überlassen bin, meinen Eindrücken und meinen viel zu vielen Gedanken, bekommt ein Vorfall eine Bedeutung, alleine dadurch, dass ich mich mit ihm beschäftige. Obwohl es mich nichts angeht. Obwohl ich mir dabei wie ein Spießer vorkomme und es auch bin. Aber ich habe nun gerade mal nichts anderes, womit ich mich beschäftigen kann, und ich bin neugierig. Vorfall: Auf dem Weg zur Carl-Zuckmayer-Brücke sehe ich in der Straße, deren Namen ich nicht nenne, Robert, der in Wirklichkeit nicht Robert heißt. Sehe, wie er auf dem Balkon steht und zu mir herschaut. Einem Paar mit Kinderwagen ausweichend verliere ich ihn für einen Moment aus den Augen. Als ich wieder zu dem Balkon schaue, ist er weg. Nach drinnen gegangen. Der kommt bestimmt gleich wieder raus, um mich zu begrüßen, denke ich. Doch als ich das Haus erreiche, in dessen Parterre er wohnt mit Cynthia, die in Wirklichkeit nicht Cynthia heißt, ist die Balkontür geschlossen, die bei schönem Wetter immer offen steht, wenn die beiden zu Hause sind. – Hä?! – Ich weiß, dass ich ein anstrengender Gesprächspartner bin, weil ich sehr ausführlich rede und ausschließlich über das, was mich interessiert. Aber das hat ihn noch nie gestört und seine Freundin Cynthia, die bestimmt dazu gekommen wäre, wenn wir uns begrüßt hätten, sie schätzt das Gespräch mit mir. Das weiß ich. – Was ich inzwischen häufiger erlebe, seit ich blogge, das ist, dass mir Leute aus dem Weg gehen, weil sie nicht in meinem Blog vorkommen wollen. Aber das kann auch nicht der Grund dafür sein, warum Robert mir die Balkontür vor der Nase zugeschlagen hat. Ich habe ihn und Cynthia, obwohl wir uns regelmäßig zufällig auf der Straße begegnen, noch nie im Blog erwähnt. Ich hatte sogar schon den Eindruck, dass die beiden sich deshalb von mir missachtet fühlen. Schließlich sind sie als Paar eine markante Erscheinung im Kiez, und da wir uns regelmäßig begegnen, sind sie ein Bestandteil meines Lebens, welches das Thema meines Blogs ist, und daher müssen sie es als eine Zurücksetzung empfunden haben, dass ich sie noch nie erwähnt habe. - Wenn sie den Blog lesen und das tun sie. Das weiß ich. Wahrscheinlich nicht täglich. Aber vielleicht gerade heute wieder und vielleicht ist das der Grund, warum Robert nach drinnen gegangen ist, als er mich kommen sah, und gleich auch noch die Balkontür geschlossen hat für den Fall, dass ich stehen geblieben wäre, um nach ihnen zu rufen, wie ich es schon manchmal getan habe. Denke ich, während ich weiter zur Carl-Zuckmayer gehe, um dort ein überfallartiges Interview mit dem schönen Mann zu machen oder mich einfach nur unter seine Bewunderer zu mischen. Und je länger ich darüber brüte, dass Robert oder Cynthia oder sie beide meinen Post von gestern gelesen haben, desto sicherer bin ich mir, dass das der Grund dafür war, dass Robert sich vom Balkon zurückgezogen hat – und dass ich richtig liege mit meiner Vermutung über die die beiden. Die Vermutung, die der Grund dafür war, weshalb ich die beiden nie im Blog erwähnt habe, obwohl sie so markante Erscheinungen sind und ich die beiden mag; sie noch mehr als ihn. Denn hätte ich über die beiden geschrieben, dann hätte ich auch über diese Vermutung schreiben müssen. Aber die Vermutung ist nun mal nur eine Vermutung und es ist eine solche Vermutung, dass ich die beiden nicht so ohne weiteres darauf ansprechen kann. Weil ich kann ja schlecht fragen, ob es so ist, wie ich denke: dass Cynthia anschaffen geht und damit das Leben der beiden finanziert? – Was geht mich das an? Die beiden fragen mich ja auch nicht, womit ich mein Leben finanziere. – Und selbst, wenn ich so indiskret wäre sie zu fragen, würden sie meine Vermutung auf jeden Fall bestreiten. Deshalb habe ich nie gefragt, aber weil ich die unbestätigte Vermutung nun einmal habe, die beiden also undurchsichtig für mich sind in ihrer Existenz, habe ich nie über sie geschrieben. Jetzt habe ich es getan und ihnen falsche Namen gegeben, um ihre Anonymität zu wahren. Ich habe die Vermutung nun ausgesprochen. Sie werden es lesen. Sie werden von nun an wissen, dass ich sie aus Rücksichtnahme nicht im Blog erwähnt habe. Und wenn Robert oder sie beide sich gemeint gefühlt haben sollten bei meiner Phantasie über die Bettlerin und ihren Mann, der sie Anschaffen Gehen schickt, dann aus gutem Grund, weil ich dabei tatsächlich an sie gedacht habe. So wie ich bei Robert und Cynthia immer an die Prostituierte und ihren Zuhälter Bob in der Erzählung Modern Saint # 271 von Tama Janowitz (*) gedacht habe, der, während sie anschaffen geht, zu Hause sitzt und Kant und Heidegger liest und auch sonst das Gegenteil dessen ist, was man sich unter einem Zuhälter vorstellt. Was für ein Paar die beiden! Tolles Paar! Sympathisches Paar! Wie Robert und Cynthia auch ein sympathisches Paar sind. Und wenn sie anschaffen geht  – ich urteile darüber nicht. Ich bin nur neugierig. Und hätte der schöne Mann heute da gestanden, wo er immer steht, hätte ich nie ein Wort darüber verloren.
(*) Tama Janowitz, Slaves of New York (1986)

Samstag, 26. März 2011

Kurzfassung

Frühling Tag 6. Drinnen ist es besser auszuhalten als draußen. Nicht wegen der 7 ° bei Nordostwind und wenig Sonne. Wegen der Leute, die unterwegs sind. Die meisten so uninteressant und hässlich, dass ich es gar nicht beschreiben möchte. Am schlimmsten ist es in der Goltzstraße und der Umgebung des Winterfeldmarktes. Während es in der Hauptstraße so ist wie immer. Daher nehme ich an, dass es sich bei den Leuten in der Goltz und in der Umgebung des Winterfeldmarktes in der Mehrzahl um Wochenendtouristen handelt. Die einzige interessante Person, die ich bemerke, ist die junge Bettlerin. Sie sitzt in der Hauptstraße in einer schattigen Ecke auf einer Bank und macht eine Zigarettenpause. Wäre das nicht eine gute Gelegenheit gewesen, um mit ihr ins Gespräch zu kommen? – Zwei Euro für Ihre Lebensgeschichte! Kurzfassung. – Nein. Lieber nicht stören. Sie sieht gerade so entspannt aus und deshalb gleich weniger elend als sonst. Das Elende kommt anscheinend auch von ihrem Gehetztsein, das sie nun abgelegt hat für die paar Minuten, während sie ihre selbstgedrehte Zigarette raucht. Neulich bin ich an ihr vorbei gegangen, als sie gerade jemanden anbettelte, der darauf unwillig den Kopf schüttelte. Worauf sie sich hektisch zu mir wandte und sofort wieder die Grimasse gezogen hat, die sie aufsetzt, wenn sie um 50 Cent bittet. Noch bevor sie den Mund aufmachen konnte, habe ich auch den Kopf geschüttelt. Ich hatte kein Kleingeld in der Tasche, und selbst wenn ich welches gehabt hätte, hätte ich ihr nichts gegeben, weil mir gerade nicht danach war. Damit hat sie es also auch noch zu tun: den Launen ihrer Klientel. Ihrer Klientel im Dreieck Akazienstraße und Hauptstraße Richtung Kleistpark. Da scheint sie jeden Nachmittag unterwegs zu sein. Vielen Leuten inzwischen bekannt wie mir. Ist das ein Vorteil? Und was hetzt sie so? Mit ihrer Not kann sie doch auf ein dafür zuständiges Amt gehen. Oder hetzt sie eine Sucht, die man ihr noch nicht ansieht, weil sie noch so jung ist? Keine 22 ist sie und alles an ihr sieht immer wie frisch gewaschen aus. Vielleicht bettelt sie gar nicht für sich (allein). Vielleicht gibt es einen Mann, der sie losschickt. Er würde sie auch zum Anschaffen Gehen schicken, aber das will sie nicht. Das will sie auf keinen Fall. Da gehe ich lieber betteln. Du wirst sehen, ich schaffe das. Ich kriege das Geld zusammen. Das ist eine gute Gegend da. Die Leute mögen mich und ich habe sogar schon ein paar Stammkunden. Die muss ich gar nicht mehr fragen. Wenn die mich sehen, greifen sie schon in die Tasche. Und heute, da habe ich auf der Bank gesessen, wo ich immer Pause mache, und da ist einer hergekommen, der hat mir schon mal statt 50 Cent einen Euro gegeben. Einmal auch nichts. Aber heute hat er mir zwei Euro geben wollen, wenn ich ihm meine Lebensgeschichte erzähle dafür. Kurzfassung reicht ihm, hat er gesagt. – Mann: Du hast doch gar keine Lebensgeschichte. – Sie: Das habe ihm gesagt. Ich habe keine Lebensgeschichte. – Mann: Und er sein Geld gleich wieder eingesteckt. – Sie: Nee. Die zwei Euro, die habe ich mir schon vorher geben lassen. - Ende Phantasie. Mit Sicherheit alles ganz anders. Und trotzdem was gelernt. Bloß nicht nach ihrer Lebensgeschichte fragen, wenn ich mit der Bettlerin ins Gespräch kommen will.

Freitag, 25. März 2011

Todesangst

Peter. Gestern konnte er die Bilder von der MRT abholen in der Apparate-Praxis in der Eisenacherstraße, um sie seinem Hausarzt zu bringen, damit der sie interpretieren kann und es endlich eine Knubbel-Diagnose gibt. Termin beim Hausarzt war gestern Vormittag. Am Nachmittag Anruf Peters. Keine Diagnose. Sein Therapeut, bei dem er einen Termin nach dem Hausarzt haben sollte, hat den Termin vorverlegen müssen. Und weil der Therapeuten-Termin für Peter wichtiger war als der beim Hausarzt, hat er den Hausarzt-Termin auf nächste Woche verschoben. – Was?! Dir war der Termin beim Therapeuten wichtiger als der Termin, bei dem du endlich eine Diagnose des Knubbels bekommen hättest, wegen dem du in ständiger Todesangst lebst? – Während ich mich deswegen nicht mehr einkriege, sagt er unter anderem: Er habe nicht ständige Todesangst. So groß sei seine Angst also auch wieder nicht. – Was nicht stimmt. Seine Angst ist so groß, dass er sich eine andere als eine Diagnose, die seine schlimmsten Erwartungen bestätigt, gar nicht vorstellen kann. Dass er also in dem Termin beim Hausarzt nicht die geringste Chance gesehen hat, dass ihm seine Todesangst genommen wird. – Und dann sagt er noch: Ich sage dir jetzt nur noch die Wahrheit. – Da hätte ich aufhorchen müssen. Denn, wenn ein Lügner sagt, er sagt die Wahrheit, dann muss man sich nur vergewissern, in welchem Zusammenhang er das sagt, und man weiß, welche seiner Aussagen gerade gelogen war. – Wegen meiner Fassungslosigkeit über seine Prioritätensetzung – Termin beim Therapeuten wichtiger als der Arzttermin zur Knubbel-Diagnose – ist mir das jedoch nicht gleich klar geworden. Erst beim Weiterreden habe ich bemerkt, wie unwahrscheinlich das ist, dass der Therapeut den Termin kurzfristig vorverlegt hat. Dass Peter sich also schon wieder gedrückt hat. Dass er den Termin beim Hausarzt abgesagt hat, weil er die Hosen voll hatte davor zu erfahren, was mit dem Knubbel los ist. Wenn es überhaupt einen Termin beim Hausarzt gegeben hat. – Ich halte Peter das entgegen. Er streitet es ab. Allerdings ohne nennenswerte Gegenwehr, und als ich sage, dass ich mich inzwischen nur noch über ihn schieflachen kann, da lacht er mit. – Mit Schieflachen meine ich, dass ich mich nicht mehr empöre über seine Lügerei und mich auch nicht mehr verarscht fühle von ihm deswegen. Meinetwegen kann er soviel lügen wie er will. Ich werde immer besser darin, seine Lügen zu durchschauen. -  Weil wir nun über das Lügen sprechen und danach über eine Frau in Schifferstadt, kommen wir wieder einmal nicht dazu, darüber zu sprechen, warum er sich vor dem Arzt-Termin gedrückt hat. Denn das ist seine Sache. Und er will, dass das seine Sache bleibt. Deshalb die Lügerei. Mit ihr wehrt er sich gegen meine Versuche, ihn abzubringen von seiner Sache. Deshalb spricht er jetzt lieber über eine Frau aus seinem Telefonverzeichnis – Frau, die er aus Mannheim kennt, die mittlerweile in Schifferstadt lebt und dort einen Kosmetik-Salon hat und mit der er zur Zeit schmerzlich-süße Jugenderinnerungen auffrischt – in denen er sich genüsslich rumwälzt wie ein von der Leine losgerissener Hund in einem Stück Aas. Ende Abschweifung. - Seine Sache: Er ist überzeugt davon, dass es sich bei den Knubbeln um Krebs handelt. Dass er daran sterben wird. Aber er will – ja, was? – keinen Arzt ranlassen, weil der ihm die letzte Gewissheit geben könnte? Und damit das Todesurteil spräche? – Oder weil Arzt und Diagnose auch bedeutet: Behandlung, Klinikaufenthalt, Chirurgie, Anästhesie, hinterher vielleicht noch Chemo- oder Strahlentherapie, alles in allem Einschränkung seiner Freiheit und Minderung seines Wohlbefindens? Wohlbefinden?  Und – noch mal – bei all dem berücksichtigt er nicht, dass er von dem Arzt auch erfahren könnte, dass der Knubbel (inzwischen eigroß) nicht bösartig ist, entfernt werden muss, aber sterben werden Sie daran nicht, Herr Peter. Da haben Sie ganz andere Möglichkeiten. – Worauf der Arzt das MRT-Bild zur Seite legt, um sich noch mal den Ausdruck vorzunehmen mit den Blutwerten Peters und dann über Peters Leber zu sprechen und, ja auch: die Gutartigkeit dieses Organs. Wie viel die Leber verzeiht, wie regenerationsfähig, und wie verhandlungsbereit sie ist, wenn man ihr ehrlich gemeinte Angebote macht. Wenn man sich also nicht einredet, nur zwei Gläser Wein pro Tag zu trinken, sondern tatsächlich jeden Tag nach dem Einschenken des zweiten Glases die Flasche ganz weit von sich wegstellt. Besser allerdings noch, wenn man wegen der Schwere des Leberschadens eine Weile ganz auf Weißwein verzichtet. Obwohl man aus einer Weingegend kommt, es seit ungefähr 45 Jahren keinen Tag ohne Wein gab, das Trinken ja auch ein Trost ist, man Angst davor hat, wie beim letzten Klinikaufenthalt, ins Delirium zu fallen nach drei Tagen ohne Alkohol. Obwohl man das also unbedingt verhindern will, weil man es sich auch gar nicht erklären kann, denn man hat doch nie mehr als eine Flasche Wein am Tag getrunken. War nie betrunken. Weiß gar nicht, wie das geht. Hat nie einen Kater gehabt. Weiß gar nicht, wie sich das anfühlt. Hat im Grunde genommen gar kein Alkoholproblem. Kann es sich gar nicht erklären, weshalb der Gamma GT Wert viermal so hoch ist wie er .. . - Ich höre auf. -  Nicht wegen der Skype-Gespenster, die Peter nun wieder zuflüstern werden: Warum lässt du dir das gefallen, wie der über dich schreibt? - Auch nicht, um ihn zu schonen. Wüsste ich, dass es hilft, würde ich ihn noch viel mehr quälen. Aber es hilft nicht. Ich höre auf, weil es genug ist. Weil ich ihm nicht helfen kann, indem ich über ihn schreibe. Ich kann ihm nur helfen, indem ich ihm zuhöre und ihm Mut mache. Davon kann ich erzählen. Von mir. Wie ich ihm Mut mache und ihm zuhöre. Wie mich dabei die Wiederholungen nerven, wie ich inzwischen schon einige Male ausfällig gegen ihn geworden bin wegen dieser ständigen Wiederholungen. Und trotzdem telefoniere ich täglich mit ihm. Will ihn nicht im Stich lassen. Habe auch niemanden anderen, mit dem ich telefonieren könnte. Wüsste auch niemanden anderen, mit dem ich so viel lachen kann wie mit Peter. Kenne niemanden, der so offen über sich spricht wie er. – Widerspruch, ich weiß. Aber er kann das: offen und zugleich verlogen sein. Nicht nur deshalb habe ich ihm in dieser Woche schon zweimal gesagt, was für eine reiche Persönlichkeit er ist. Um ihn aufzubauen, habe ich es ihm gesagt, aber es auch wirklich so gemeint. Er ist eine reiche Persönlichkeit. Was nicht ausschließt, dass er morgens um drei Uhr eine Mail schreibt zum Thema Impotenz, die so daneben ist – und das nicht nur in ihrer Wortwahl -, dass ich von jedem anderen, der so etwas schreibt, mich innerlich auf Nimmerwiedersehen verabschieden würde. Von ihm nicht. Er darf das. Nicht, dass ich es ihm verzeihen würde – es ist unverzeihlich, sein Genital als Lümmelchen zu bezeichnen, Härte sprachlich mit Krupp-Stahl zu verbildlichen und Lust bei unvollständiger Erektion als halbgar zu charakterisieren. Unverzeihlich! Aber ihm lasse ich das durchgehen. Bei ihm denke ich, darauf kommt es doch gar nicht an. Er macht mich nachsichtig, tolerant, großzügig, hilfsbereit zuverlässig, loyal. Und zu ihm kann ich so sanft und liebevoll sein, wie ich mir wünschte, dass zu mir auch mal jemand so wäre.

Donnerstag, 24. März 2011

Bastelarbeit

Frühling Tag 4. – Großer Mann kommt mir entgegen. Fast halb so breit wie groß. Keine Übertreibung. Jacke ausgezogen; von dem bisschen Frühlingssonne schon ins Schwitzen geraten. Jacke über den Rucksack gehängt. Holzfällerhemd. Rechte Hand am Rucksackriemen. In der linken Hand ein Pizzakarton; dicker Pizzakarton, da passen zwei Pizzen rein; von einer Pizza wird so ein Mann nicht satt. Sympathisches Gesicht. Der Speckwulst am Hals überwachsen von einem schütteren Mehrtage-Bart. Blick hinter dem Mann her. Wie breit der ist! Die Jeans müssen eine Sonderanfertigung sein – X²L – oder aus den USA mitgebracht, wo es viele solche Leute gibt – und man kultiviert sein kann alleine schon dadurch, dass man nicht übergewichtig ist, denke ich später. Doch jetzt erst mal ein Stück weiter: Vor dem nepalesischen Restaurant Mount Everest, neben dem Yogi-Haus. Da drei Mädchen, südosteuropäischer oder türkischer Herkunft, und ein Junge gleicher Herkunft und in ihrem Alter; wahrscheinlich Schüler der nicht weit entfernten Riesengebirgs-Oberschule. Zwei Mädchen sitzen auf einer Bank mit dem Rücken zu einem der draußen aufgestellten Tische. Das eine Mädchen beugt sich vor und zieht am Mundstück einer Wasserpfeife, die vor ihr auf dem Boden steht. Klassische Wasserpfeife mit Behälter für das Wasser, Schlauch und Mundstück. Haben sie die aus dem Restaurant? Kann man sich dort eine Wasserpfeife bestellen so wie zum Beispiel in der Lounge neben dem Café Berio in der Maaßenstraße? Da gehen die also nach der Schule zu dem Restaurant, bestellen sich eine Wasserpfeife und rauchen die? Oder ist das Kiffen, was die da gerade machen, mit einer klassischen Wasserpfeife? Kultiviertes Kiffen von Oberschülerinnen, die das Inhalieren des Rauches anders nicht vertragen als mit Wasserpfeife, denke ich, während ich an der Ampel stehe Eisenacher/ Beltzigerstraße und schon umkehren will, um zu fragen. Lasse es dann aber lieber, weil ich in Eile bin, und das ist bestimmt besser so, nicht gefragt zu haben. Denke ich mir, nachdem ich mir vergegenwärtigt habe, wie das Mädchen sich runtergebeugt hat, um am Mundstück der Wasserpfeife zu ziehen. Heimlich tuend. Um sich den Blicken Vorbeigehender zu entziehen. Warum sollte sie das tun, wenn sie nur Tabak raucht aus der Wasserpfeife? Alt genug, um in der Öffentlichkeit zu rauchen, ist sie schließlich. Also war das Kiffen und wenn ich gefragt hätte, dann hätten die Schüler sich vielleicht von mir bedrängt gefühlt und es wäre zu einer unguten Szene gekommen. Dann hätte ich jetzt allerdings auch mehr zu erzählen. So nur noch das von Günter und von dem Blumenladen. Günter kommt aus der Haustür neben dem Eingang zum Felsenkeller. Ich sage: Wir haben schon lange nicht mehr miteinander gesprochen. – Er sagt: Du weißt ja, wo du mich treffen kannst. – Damit meint er den Felsenkeller, in dem er der Wirt ist. – Mein Blick fällt auf das Schaufenster des Felsenkellers. Darin hat schon alles Mögliche gestanden. Seit ein paar Wochen steht darin ein Modellbau eines Blumenladens. Sehr liebevoll gemacht. Mit verschiedenen Blumensorten in winzigen Eimern und an der Decke im Laden hängt ein Kronleuchter. – Hat Michaela das gefunden oder du? frage ich. Sage gefunden, weil ich annehme, dass das Modell ein Fundstück vom Flohmarkt ist. – Weder noch, antwortet Günter. Das ist von einem ehemaligen Gast. Der geht nicht mehr in die Kneipe, sieht nicht mehr fern und liest nicht mehr Zeitung. Und da er nicht aus Langeweile zu Hause alleine saufen will, bastelt er. – Wie ich! sage ich erstaunt. Ich gehe auch nicht mehr in die Kneipe und sehe nicht fern. Zeitung lese ich zwar noch, aber ich bastele auch. – Womit ich das Schreiben des Blogs meine. Aber das erkläre ich Günter nicht, obwohl er mich ungläubig anschaut, als ich sage, ich bastele auch. Denn dann müsste ich ihm erklären, was ein Blog ist und was es mit meinem Blog auf sich hat, und dazu habe ich heute Nachmittag überhaupt keine Lust, denn es gibt Spannungen im Verhältnis zwischen mir und dem Blog. So dass ich schon überlegt habe, ob ich im Posting von heute einen kritischen Dialog anzetteln soll, um mal alles rauszulassen, was sich an Unmut angesammelt hat zwischen mir und dem Blog. Fiktiv der Dialog, versteht sich. Doch schon besser so, dass ich den breiten Mann gesehen habe, die kiffenden Schülerinnen mit ihrer Wasserpfeife, die sie morgens in die Schule mitnehmen (das muss man sich mal vorstellen!), und dass ich nun auch noch Günter getroffen habe und mit ihm über das Modell des Blumenladens im Schaufenster reden konnte. Nachdem Günter wegen läutendem Telefon nach drinnen gegangen ist, schaue ich mir das Modell noch mal an. Mein Eindruck, dass das ein Flohmarkt-Fundstück ist, kommt daher, dass das Modell auf alt gemacht ist. Nur etwas zu groß geraten ist es, vielmehr zu breit. Wenn man das maßstabgetreu in echt umsetzen würde, dann wäre die Front des Blumenladens so breit wie eine Shell-Tankstelle. Oder übertreibe ich? – Hingehen und selber mal gucken! Tolle Bastelarbeit! Im Schaufenster vom Felsenkeller, Akazienstraße 2. Und wenn jemand das Modell des Blumenladens im Schaufenster fotografiert und mir das Foto digital zuspielt, veröffentliche ich es hier im Blog.

Mittwoch, 23. März 2011

Dumm

Kein guter Tag. Zum ersten Mal zucke ich zusammen, als ich perlentaucher.de lese, Heute in den Feuilletons, und zum Abschnitt Süddeutsche Zeitung komme: "Die dümmste Abstraktion, die es gibt, heißt: das Leben," teilt SZ-Feuilletonchef Thomas Steinfeld an die Adresse seines Kritikerkollegen Georg Diez mit … , steht da, lese ich und fühle mich auch gemeint. Denn das Programm meines Blogs lautet schließlich: Ich veröffentliche mein Leben. Wie stehe ich nun da, wenn das Leben nur eine Abstraktion ist und die dümmste überhaupt. Leider ist der Artikel nicht verlinkt. Ich werde also später in die Bibliothek gehen müssen, um ihn in der Papierausgabe der SZ nachzulesen. Zum Glück gibt es bald danach noch einen anderen Schreck, der mich auf andere Gedanken bringt. Aber ruhiger werde ich dadurch nicht. Denn, wenn der hochgelehrte Thomas Steinfeld erklärt: Leben = dümmste Abstraktion, dann wird da schon was dran sein. Was? Alles Grübeln hilft nichts. Ich komme nicht drauf. Was eben daran liegt, dass ich dumm bin. Leicht zu erkennen daran, dass ich meinen Blog thematisch auf eine Abstraktion gebaut habe, welche die dümmste überhaupt ist. Kein guter Tag. – Endlich habe ich den Artikel von Thomas Steinfeld vor mir. Erste Seite des SZ-Feuilletons, links, zweispaltig über die ganze Seite. Ganz große Sache. Die Überschrift des Artikels habe ich nicht vergessen, ich habe sie in meiner Aufregung gar nicht bemerkt, und nachdem sich die Aufregung gelegt hatte, ungefähr am Ende der ersten Spalte, da habe ich nicht mehr darauf geachtet, weil ich spätestens da den Artikel nicht mehr ernst nehmen konnte. Nicht, weil an dieser Stelle etwas steht, das mich an der Hochgelehrtheit von Thomas Steinfeld hätte zweifeln lassen. Im Gegenteil, reichlich Hochgelehrtheit, inklusive Schopenhauer-Zitat und Formulierungen wie angelegen sein. Aber die ganze Hochgelehrtheit, die langen zwei Spalten ein einziger Rumpelstilzchen-Anfall gegen den Kollegen Georg Diez von SPIEGEL-ONLINE, der sich unterstanden hat auf etwas hinzuweisen, was nun als Entdeckung nicht neu ist: dass der deutsche Literaturbetrieb, ein System der Stipendien und Preise ist, das noch jeden Schriftsteller kleingekriegt hat (…) die subventionierte Verhinderung von Literatur: Sie treffen sich, sie geben sich Preise, sie schlafen miteinander, sie spucken sich an und schlitzen sich die Stirn auf. So entsteht ein Betrieb, wo sich alle andauernd gegenseitig ihrer Bedeutung versichern. – Ist das die Stelle, die Thomas Steinfeld so böse auf Georg Diez macht, dass er ihm an keiner Stelle seines Artikels die Ehre einer Namensnennung zuteil werden lässt, wie der Perlentaucher bemerkt? Während Georg Diez übrigens nur ein einziges Mal in seinem Artikel den Begriff Leben benutzt: Man wird Schriftsteller, Lektor oder Kritiker. Und stakst mit dem gleichen dünkelhaften Denken durchs Leben, das sie einem auf der Universität beigebracht haben: die deutsche Literatur gehört zum Weltkulturerbe. – Und Thomas Steinfeld gehört zum deutschen Literaturbetrieb und verteidigt ihn deshalb mit Hochgelehrtheit nur so um sich spuckend, keifend, beißend gegen die Polemik des Kritikerkollegen. Aber warum ist er denn so wütend, der Steinfeld? Noch mal: das ist doch nicht neu, das ist doch ein Aufguss von Gemeingut, was der Diez geschrieben hat. Es erschließt sich mir nicht, auch nicht nach zweimaligem Lesen des Diez-Textes daraufhin, ob sich eine Bemerkung darin findet, von der der Literaturbetriebsangehörige Steinfeld persönlich so getroffen war, dass er auf der ersten Seite des Feuilletons der neben der FAZ wichtigsten deutschen Tageszeitung einen zweispaltigen Artikel schreibt, der aufgebaut ist auf dem Satz: Die dümmste Abstraktion, die es gibt, heißt: das Leben. - Was muss da menschlich und betrieblich passiert sein, dass der hochgelehrte Mann so einen Satz schreibt? Wie wird der sich jetzt fühlen nach dieser Entgleisung? Und warum beschäftige ich mich damit, statt mich um mein Thema zu kümmern? Bestes, schönstes Thema überhaupt: Leben!

Dienstag, 22. März 2011

Augen

Frühling Tag 2. Zum Nachdenken und Besorgungen machen weite Fußwege durch die Stadt. Auch bei größter Zurückhaltung lässt es sich dabei nicht vermeiden, dass mir Frauen entgegen kommen. Darunter junge Frauen. Auch alleine unterwegs. Und mir schutzlos ausgeliefert. Meinen Blicken und der Bedrohung ausgesetzt, dass ich mich nicht begnügen könnte mit Blicken. Dass ich sie im Vorübergehen anspreche, womöglich noch verbalerotisch. Würde ich nie machen. Verbalerotisch schon gar nicht und auch sonstwie nicht. Ich habe nämlich mindestens genau so viel Angst vor denen wie die vor mir. Angst nicht vor Frauen überhaupt. Nur vor fremden jungen Frauen, die mich interessieren. Zum Glück passiert mir das nur etwa alle zehn Jahre, dass eine fremde junge Frau mich interessiert. Und da es mir gerade erst vor zwei Jahren passiert ist, hat die fremde junge Frau, die in der Nachmittagssonne am Fußgängerüberweg in der Spichernstraße steht, nichts zu befürchten. Ich nehme sie nicht mal richtig wahr, während ich an der Ampel warte. Kriege nur mit, dass da eine junge blonde Frau steht, und bin in Gedanken. Schon seit dem Viktoria -Luise-Platz beschäftigt mit der Frage, wie ich damit umgehen soll, dass die fremde junge Frau, für die ich mich seit zwei Jahren vergeblich interessiere, mir nicht aus dem Kopf geht. Soll ich das einfach geschehen lassen? Oder soll ich Maßnahmen dagegen ergreifen, frage ich mich. Die Gedanken an sie verdrängen? Denn so lange werde ich nicht mehr leben, denke ich in meiner kleinlichen Art, dass ich meine Gedanken verschwenden kann an eine Zielperson, deren Unerreichbarkeit nach zwei Jahren als erwiesen gelten muss. Als die Fußgängerampel auf Grün schaltet, bin ich mitten in diesem Grübeln. Deshalb ist es auszuschließen, dass meine Körpersprache der jungen blonden Frau in Aussicht stellen könnte, dass ich sie gleich belästigen werde. Dennoch schlägt sie die Augen nieder, als sie auf mich zukommt. Jetzt erst und nur wegen ihres Augenniederschlagens fällt sie mir auf. Nur deshalb mustere ich sie im Vorübergehen. Nachlässig hochgesteckte Haare, blasses hübsches Gesicht, blassfarbene Jacke und Hose, beigegetönte Krokoleder-Stiefel. - Pfff! denke ich. So verwegene Paar Schuhe und dann schlägt sie die Augen nieder vor einem Kerl wie mir, der vielleicht aussieht wie ein Wüstling, aber erkennt sie das denn nicht, wie lange das schon her ist? – Während ich weiter grüble darüber, wie ich mein Denken verwalten soll  mit Rücksicht auf meine restliche Lebenszeit, läuft – quasi in der zweiten Gedankenspur – eine Routine ab, also etwas, das mir nicht zum ersten Mal durch den Kopf geht. Ich frage mich, was ich mich schon bei ähnlichen Begegnungen wie eben mit der blassblonden Frau gefragt habe: Was mögen diese Frauen mit Männern wie mir bei ähnlichen Begegnungen schon erlebt haben?  Ob die Männer sie im Vorübergehen verbal bedrängt haben und ob die Frauen nun durch das Niederschlagen der Augen verhindern wollen, dass ihnen das jetzt wieder passiert. Das würde ich zu gerne mal herausfinden. Wobei nicht auszuschließen ist, dass das Niederschlagen der Augen etwas anderes bedeutet. Vielleicht sogar das Gegenteil von Vermeiden, wie jemand denken könnte, der einer paradoxalen Psychologie anhängt. Wenn das so wäre, dann würden die betreffende Frauen das natürlich nie zugeben. Aber da ich das für unwahrscheinlich halte, da ich eher darauf tippe, dass sie schon unangenehme Erfahrungen gemacht haben beim Vorübergehen an Männern wie mir, werde ich diese Erfahrungen um eine bizarre Erfahrung bereichern: indem ich bei nächster Gelegenheit eine solche Frau fragen werde, warum sie vor mir gerade die Augen niedergeschlagen hat, obwohl ich durch nichts ihr in Aussicht gestellt habe, dass ich mich für sie interessiere. Sondern jetzt erst interessiere ich mich - nein, keine Angst! Nicht für Sie. Für den Grund, warum Sie gerade den Blick gesenkt haben.

Montag, 21. März 2011

Werbung

Aktion zum Frühlingsanfang. Gutschein von Google über 75 Euro. Gutschein, der mir zugesandt wurde, damit ich meinen Blog bekannt machen kann mittels einer Google-Anzeige. Vorgestern mir einen Anzeigentext überlegt, gestern die Anzeige geschaltet. Um die Möglichkeit nicht ungenutzt zu lassen. In Wirklichkeit verspreche ich mir nichts von der Google-Anzeige. Mein Blog wird bekannt über die Leute, die mich kennen, und wenn ich ihn schreiberisch dahin bringe, wo ich ihn haben will, dann wird er aus diesem kleinen Kreis von Leuten heraus sich durch Weiterempfehlung verbreiten. Abwehr deshalb gegen die Verkaufsdenke, die mit der Anzeige ins Spiel kommt. Wie sich dann jedoch beim Schalten der Anzeige – Einrichtung eines AdWords-Kontos, Erstellen der Kampagne – gezeigt hat, aber doch eine nützliche Erfahrung. Für die zielgruppengenaue Platzierung der Anzeige auf Websites braucht es ein Angebots- und Suchprofil, das definiert wird durch eine Reihe von Schlüsselwörtern (Keywords),  die eine Verbindung herstellen zwischen Anzeige und Website-Inhalten. Zwanzig Keywords, empfiehlt AdWords. Und bei mir ist es jetzt 21.30 Uhr. Ich muss noch den schwachen Text vom Nachmittag überarbeiten, den ich heute Früh so schwach nun auch wieder nicht finden sollte. – Schlüsselwörter? – Wegen Diskretion gegenüber meinem Überfordertsein durch die Aufgabe in diesem Moment lasse ich mal weg, was ich eingegeben habe - nur, um es hinter mich zu bringen und mich endlich um meinen Post kümmern zu können. Über Nacht hat es mich dann aber gepackt. Gleich nach dem Aufstehen notiere ich mir andere Schlüsselwörter. Wobei auch Aussagen formuliert werden können wie zum Beispiel veröffentlichen meines Lebens. Ich erweitere die Liste und dabei zeigt mir AdWords sofort, wie brauchbar die Keywords oder Aussagen sind (Trefferchance). Das mit dem Leben veröffentlichen ist gut, auch Roman meines Lebens ist gut und Narzissmus ist auch gut. Aber bei meiner Selbstverständigungsformel Zeitung über mich, Zeitung von mir wird angezeigt: Geringes Suchvolumen = damit ist nicht viel zu holen in der Google-Werbewelt. Leider gilt das auch für die Aussage, die es am besten trifft: Unausgesprochenes aussprechen und, wie nicht anders zu erwarten, gilt es auch für investigative Poesie. – Poesie? – Wie komme ich denn darauf? In meiner Selbstverständigung über den Blog ist dieser Begriff bislang nicht vorgekommen, weil mit dem, was sich damit verbindet, will ich so wenig zu tun haben wie mit dem Begriff Literatur und was sich damit verbindet. Aber für die Keyword-Liste, dachte ich, als eine Annäherung an das, was ich mache, denn Journalismus ist es nun mal nicht … . – Vergiss es. Geringes Suchvolumen. Ich muss ein Wording (Wortlaut) finden, das besser in die Welt passt – die Internet-Werbewelt. Mir wird klar: Ich habe ein neues intelligentes Spielzeug, die Keyword-Liste für meine Google-Anzeige. Die werde ich weiter verbessern in den nächsten Tagen. Das ist nicht nur gut fürs Geschäft, das hilft mir auch dabei, dem Blog wieder mehr Orientierung zu geben. Verloren gegangen, seit der Roman meines Lebens kein Liebesroman mehr ist. – Von investigative Poesie komme ich auf investigatives Drama. Da wird AdWords wahrscheinlich wieder abwinken. Schade, denn das trifft es, was ich in scheuen Ansätzen schon mache und noch viel intensiver betreiben will. – Das habe ich schon gemacht, als ich mir Filmplots ausgedacht habe, Geschichten, die Menschlichkeit explorieren/ erkunden/ ausforschen. Durch das Anzetteln von Konflikten Unausgesprochenes, Unliebsames, Peinliches zum Vorschein zu bringen. Nicht um Menschen vorzuführen, sondern um sie menschlicher zu machen – um sie zu versöhnen mit ihrer Menschlichkeit und miteinander. Theorie der Komödie.  Così fan tutte. Schaut, so machen es alle! – Jetzt will ich mir nichts mehr ausdenken. Ist auch nicht nötig zum Anzetteln. Reicht, wenn ich meinem charaktereigenen Hang zum Dramatisieren folge. – 12 Euro 50 dafür, dass Sie die zwei Gummiflecken auf die Absätze geklebt haben? Wie lange haben Sie dafür denn gebraucht? – Das kann sie so nicht sagen, die Schusterin in der renommierten Schusterei am Bayerischen Platz, weil das sind mehrere Arbeitsschritte, erklärt sie. - Arbeitsschritt ist kein Zeitbegriff, entgegne ich bissig. – Sie: Ich bearbeite mehrere Paar Schuhe gleichzeitig. Außerdem habe ich Ihnen das schon gesagt, was es kosten wird, als sie mich letzte Woche danach gefragt haben. – Daran können Sie sich noch erinnern? frage ich erstaunt und denke, Scheiße, da habe ich jetzt keine Berechtigung mehr, sie runterzuhandeln, wie ich es mir vorgenommen hatte, und deshalb lenke ich ein: Sie bearbeiten also die Schuhe partienweise in mehreren Arbeitsschritten? – Sie: Alte Beläge runterreißen. Neue Beläge aufkleben. Schleifen. Und reich werde ich dadurch nicht. – Ich: Da hätte ich nichts dagegen, wenn Sie reich würden. – Haha! Launiger Gesprächsausklang. Aus dem Konflikt ist nichts geworden. Kein gutes Beispiel. Nur, um mal zu zeigen, wie einfach anzetteln geht. Der Alltag ist voll mit Konflikten, die nur ausgelöst, zugelassen, durchgehalten werden müssen. Geld im übrigen ein großes Thema. Nicht zu fassen, wie tabubelegt das ist, welche Verklemmtheit da herrscht, instrumentalisiert von den Habenden und Preistreibenden. Anderes großes Thema Lügen, Verlogenheit. Davon bald mehr. – Und der Text der Anzeige? – Den verrate ich, wenn ich demnächst von meiner Frühlingsaktion berichte.

Sonntag, 20. März 2011

Trost

Drama mit Peter. Freitag soll er zur Biopsie wegen Knubbel. Beim Telefonieren am Abend davor merke ich, er fängt schon wieder an rumzueiern. War er gar nicht am Montag bei der MRT? – Je länger ich nachdenke darüber, desto sicherer bin ich mir: Er hat sich wieder gedrückt. Er lügt wieder rum. – Freitag bestätigt sich das. Wieder die Nummer vom Januar: Die Bilder bei der MRT sind nichts geworden. Heute musste er deshalb noch mal hin zur MRT. Biopsie nächste Woche. – Und ich habe jetzt die Schnauze voll von dir, Peter. Wir können Freunde bleiben, wir können unser Gespräch fortsetzen. Aber an deiner Krankengeschichte nehme ich keinen Anteil mehr. Erzähl es mir, falls du doch irgendwann noch mal eine Diagnose kriegen solltest. Und wenn du stirbst, sag mir bitte auch rechtzeitig Bescheid … . – Ende. Er hat aufgelegt. Auch recht. Verdammte Lügerei. Mich kann er verarschen. Doch dass er auch noch die Leser verarscht, die seiner Geschichte im Blog folgen, das lasse ich nicht zu. Ende des Peter-Erzählstrangs. – Bevor er aufgelegt hat, sagte er: Wenn du mir nicht glaubst, dann hat es keinen Sinn. – Nicht die Worte, der Ton, in dem er sie sagte, geht mir nicht aus dem Kopf. Was, wenn ich ihm Unrecht tue? Wenn er sich am Montag wieder gedrückt hat, sich dann aber am Freitag durchgerungen hat und da war zur MRT? – Gestern Abend Mail von ihm: So wie ich angenommen habe. Montag, gelogen; Freitag war er da. – Ich schreibe ihm versöhnlich zurück. Kurz darauf ruft er an. Weint, so wie ich ihn noch nie habe weinen hören. Mit ganz heller Stimme. Ich höre den kleinen Peter, den Peter vor dem Stimmbruch. Es rührt mich nicht. Es ist aber auch nicht so, dass ich es abstoßend finde dass es mir unangenehm ist. Er heult sein ganzes Elend raus. Viel Elend, großes Elend. Elend und Todesangst. Ich verstehe ihn, trotzdem sage ich, was ich noch nie gesagt habe: Dass er sich zusammenreißen soll. – Sage das nicht mit diesen Worten. Benutze seine Worte von neulich: Er soll seinen Mann stehen. – Leicht gesagt. Doch heute macht er es. Als wir mittags telefonieren, hat er sich wieder gefangen. Er redet zum ersten Mal offen darüber, dass er seit Monaten gekniffen hat, wie er es nennt. Redet auch offen über seine Lügerei, die er jetzt nicht mehr verharmlosend Flunkern nennt. – Dass er gekniffen hat und rumgelogen, das weiß ich alles schon. Trotzdem ist es eine neue Art von Gespräch. Endlich kann ich ihn trösten! Indem ich ihm sage, dass er sich nicht anders verhalten hat, als die meisten Menschen – genauer: die meisten Männer sich verhalten in so einer Situation. Nach außen stark. In Wahrheit feige. Und um das zu kaschieren, sich und andere belügend. Das im übrigen einer der Gründe dafür, warum Männer statistisch eine geringere Lebenserwartung haben als Frauen. Weil die meisten Frauen, wenn sie merken, dass etwas mit ihnen nicht stimmt, nicht zögern zum Arzt zu gehen. Wahrscheinlich gar nicht, weil sie mutiger sind als die meisten Männer, sondern weil das für sie gar keine Frage des Mutes ist, sondern – weiß ich auch nicht. Als ich mal in einer ähnlichen Situation war wie Peter jetzt, da habe ich auch zwei Mal gekniffen und Termine verschoben, bis ich endlich zu dem sogenannten Staging gegangen bin (Computertomographie, Röntgen, Sonographie) und als ich anschließend zu einem Eingriff in die Klinik musste, keine große Sache, da habe ich den Aufnahmetermin geschmissen, weil ich nicht damit einverstanden war, dass der Eingriff unter Vollnarkose gemacht wird. Das erzähle ich Peter heute zum ersten Mal. Vorher ist es nicht dazu gekommen, da ist es mir nicht eingefallen. Denn Kneifen war kein Thema, weil er es nicht zugegeben hat, dass er kneift.

Samstag, 19. März 2011

Dame

Nun doch. Die Dame malt nicht selbst, wie ich irrtümlich angenommen habe, weil ich wieder einmal zu schnell war beim Googeln. Sie hat 30 Jahre lang für die Freie und Hansestadt gearbeitet, wie sie sagt. Kunsthistorikerin ist sie. Hat an der Kunstakademie gelehrt. Mit ihrer Galerie setzt sie ihre Arbeit fort, indem sie ausstellt und fördert junge KünstlerInnen: Maler, Designer, Modedesigner, Fotografen. Das ermöglicht ihr die Pension, die sie bezieht. Leben könnte sie von der Galerie nicht. Wenn sie das müsste, sagt sie, dann müsste ich – sie deutet zum Schaufenster – da draußen stehen. Dabei zeigt sie, wie sie da draußen müsste, indem sie eine hohle Hand formt und sie vor sich hält zur Bettelgeste. – Sie hat ein sehr kultiviertes, angenehmes Äußeres. Sie trägt eine enge schwarze Hose, schwarze Stiefeletten und eine violette körperbetonte kurze Kostümjacke. Sie ist schlank, ohne runtergehungert zu sein. Ihr noch nicht ganz ergrautes Haar ist gescheitelt und in dicken Strähnen nach hinten gekämmt. Hageres Gesicht. Sie war einmal auf eine strenge Art hübsch. Rote auf der Nasenspitze sitzende Lesebrille. Kleine Augen. Kalte Augen. Was sich vielleicht ändern würde, wenn sie lächelt. Sie hat nicht ein Mal gelächelt in den 15 Minuten meines Besuchs. Sie wusste wahrscheinlich nicht, was sie von mir halten soll. Weil ich nicht wusste, was ich von ihr will. Hingegangen im Auftrag des Blogs. Warum, lasse ich aus Gründen der Diskretion weg. Nachdem ich sie förmlich mit Handschlag begrüßt und mich mit meinem Namen vorgestellt hatte, habe ich auf diese Gründe Bezug genommen. Damit ist sie – leicht gequält - souverän umgegangen. Ich habe ihr allerdings nicht von dem Blog und dem Auftrag des Blogs erzählt. Ich habe den Eindruck erweckt, es sei mir ein persönliches Anliegen, sie auf besagte Gründe anzusprechen. Das war nicht ganz korrekt. Andererseits war es der Fall eines überfallartigen Interviews, wie ich es schon seit längerem plane, ohne mir im Klaren darüber zu sein, wie das gehen soll. Das kann ich nur herausfinden, indem ich überfallartige Interviews mache. Bei diesem ersten überfallartigen Interview hat sich gezeigt, dass ich grundsätzlich zu entscheiden habe, ob ich mein Gegenüber darüber informiere, was ich gerade mit ihm mache, ein Interview, oder ob es besser ist. ihn darüber im Unklaren zu lassen, um ihm nicht seine Authentizität zu nehmen. – Im Fall der Dame spielte das keine Rolle, da ich wegen Diskretion das Interview nicht wiedergebe. Wozu habe ich es dann überhaupt gemacht? – Damit es gemacht ist. Und um zu üben, kann ich im Nachhinein sagen. Nachdem das Interview beendet war, von dem die Dame nicht wusste, dass es eines ist, dabei aber trotzdem eine gute Figur gemacht hat, danach war ich nur mehr ein Besucher ihrer Galerie. Die gibt es seit vier Jahren. In dieser Zeit hat die Dame 30 Ausstellungen gemacht. Dreißig! – Sie sitzt an einem kleinen Tisch. Vor sich ein Notebook, ein weißes iBook. Das schaltet sie jetzt ein. In diesem Moment leuchtet das Apple-Icon auf, das sich auf der Rückseite des Bildschirms befindet. Ich sehe das zum ersten Mal in meinem Leben, da ich nicht so viele Leute kenne, die iBooks haben, und ich denke: Was für ein Tinnef, Mr. Jobs! Daran ist zu erkennen, dass ich die Firma Apple nicht leiden kann, aber auch wie wenig entspannt ich an diesem Nachmittag war, denn eigentlich habe ich eine Schwäche für elektronischen Schnickschnack. So wenig entspannt bin ich, weil ich spüre, dass das nicht stimmt und überhaupt nicht losgeht, was ich da treibe in der Galerie – obwohl mir da noch nicht klar ist, dass ich das Interview mit der Dame wegen Diskretion nicht werde verwenden können. Noch denke ich, dass ich gleich nach Hause gehen und darüber schreiben werde. Und deshalb schludere ich im zweiten Teil des Galeriebesuchs. Als die Dame mir im Archiv ihrer Website einen Überblick gibt über die Künstler, die sie schon ausgestellt hat, gelingt es mir noch, Interesse zu zeigen. Doch als sie aufsteht und zu einem Beistelltisch geht, auf dem Kopien ausliegen mit den Daten zur Person der Künstlerin, deren Bilder sie zur Zeit ausstellt, und als sie mir eine solche Kopie geben will, da winke ich ab mit der Begründung, dass ich das doch nicht lesen werde. Verkennend, dass das Annehmen des Blattes der Ausgangspunkt dafür gewesen wäre, nun über die Künstlerin und ihre Malerei zu sprechen – und damit der Dame die Gelegenheit zu geben, endlich einmal wieder zu tun, wozu sie stundenlang rumsitzt in der kleinen Galerie, bestimmt an vielen Tagen vergeblich: nämlich die Bilder der von ihr durch die Ausstellung geförderten Künstlerin zu präsentieren. Durch meine gedankenlose Weigerung, das Informationsblatt anzunehmen, habe ich sie also daran gehindert, ihre Arbeit als Galeristin zu machen. Deshalb durfte ich mich nicht wundern, dass sie mir darauf brüsk die Hand hinstreckte, um mich zu verabschieden. Ich habe mich aber darüber gewundert und mich brüskiert gefühlt. Hinterher noch gedacht, dass sie in mir einen möglichen Käufer gesehen hat und kaum, dass sich zeigte, dass ich das nicht bin, hat sie das Interesse an mir verloren. Aber als was hätte sie mich denn auch sonst sehen sollen? Als der Blogger, der ein überfallartiges Interview mit ihr macht, hatte ich mich ihr schließlich nicht vorgestellt.

Freitag, 18. März 2011

Och!

Wenn mir der Name der Bekannten einfällt, mit der ich eben den Dialog in der Vorbergstraße hatte, dann schreibe ich heute nicht über den Besuch bei der Dame in ihrer Galerie. Dann schreibe ich vielleicht überhaupt nicht über die Dame. -  Die Bekannte. Freundin von Anneli. Alte Bekannte. Gute Bekannte. Dann Feindin. Dann versöhnt. Wieder gute Bekannte. Filmemacherin (independent). Jobbt beim Fernsehen als Cutterin. Einen schönen Nachnamen hat sie. Auf den komme ich gerade auch nicht. Telefonverzeichnis durchblättern gilt nicht. Methode, die manchmal hilft: das Alphabet durchgehen. A, B, C, D - Gisa! – Sie getroffen in der Vorbergstraße. Vorher war ich bei Videoworld. Dort hat schon der mir seit vielen Jahren bekannte Mitarbeiter gefragt, wie es mir geht. In diesem Augenblick gar nicht gut. Aber so lange kenne ich ihn auch wieder nicht. Deshalb antworte ich: Bestimmt besser als manchen anderen Leuten. Aber – wie soll ich es sagen? - es fehlt der Bonus. Worauf er mich verwundert anschaut. Doch besser kriege ich das jetzt nicht hin. Genauso gestelzt meine Ansprache, als ich bei Videoworld rauskomme und Gisa vorbeihasten sehe. Kopf gesenkt, Schultern zusammengezogen. Nach vorne gebeugt. - Wohin bist du denn so stromlinienförmig unterwegs? frage ich sie. – Erst zum Bioladen, dann zu dem Laden, wo es die Taschen gibt. Und dann schnell wieder nach Hause. Und du? – Schnell nach Hause. – Die Hoffnung, dass sie mich fragt, warum schnell nach Hause, erfüllt sich nicht. Wie es mir geht, will sie wissen. - Nicht so schlecht wie vielen anderen, antworte ich. Aber, ihr kann ich es sagen: Ich habe gerade einen großen Schmerz empfunden. – Gisa (bedauernd): Wo war der denn, der Schmerz? – Ich mache eine ungefähre Handbewegung über meinen Oberkörper, zwinge mich dann zur Genauigkeit: In der Seele, sage ich. In meiner Seele hat es mir weh getan. – Gisa: Och! – Ich: In einer Cartoon-Version könnte ich sagen, ich habe gerade gequietscht vor Wehmut. – Gisa: Och! – Und bei dir? frage ich schnell, um zu verhindern, dass sie sich nach den Gründen für meine Wehmut erkundigt, die ich ihr, so wie wir zueinander stehen, auch genannt hätte, doch es muss nicht sein. – Gisa hat Grippe gehabt. Die hat sie sich bei den Filmfestspielen eingefangen, wie viele andere auch, meint sie und ich denke, wie gut, dass ich nicht da war. Vier Wochen hat Gisas Grippe gedauert. Hartnäckiger Virus. Immer potenter werden die Viren. Sagt auch ihr Arzt. Doch sonst, fügt sie hinzu, leben wir hier ja im Paradies. – Wie meinst du das? Ironisch? – Nein, nein. Wenn man sieht, was anderswo passiert. – Ach so, Japan. – Sie nickt. Da sie wegen der Grippe ständig zu Hause war, hat sie viel ferngesehen und ist beeindruckt davon, wie die Japaner mit ihrem Unglück umgehen. – Ja, sage ich, das ist eine sehr schöne Erzählung, die da neben der Katastrophe abläuft. Wie die sind, die Japaner. – Ich komme ins Faseln darüber, wie die Japaner sind. – Gisa unterbricht mich: Das hat so eine Ästhetik, sagt sie. - Ich: Das meinte ich mit schöner Erzählung. – Sie: Ach so. – Ecke Vorberg-/Akazienstraße, Gisa muss nach rechts, ich geradeaus. Zum Abschied hat sie mir noch was Gutes gewünscht. Was, das habe ich vergessen.

Donnerstag, 17. März 2011

Helden

Die 50 Männer im havarierten Kernkraftwerk in Fukushima. Die werden sterben, sage ich. – Die werden sterben, sagt Peter. – Auch wenn sie den schlimmsten Fall abwenden können, werden sie in den nächsten Jahren an den Folgen der Radioaktivität sterben, der sie jetzt ausgesetzt sind. So wie viele der Liquidatoren von Tschernobyl qualvoll gestorben sind hinterher. – Im Hintergrund läuft bei mir ein Konzert von Kraftwerk. Kein Bezug zu den Ereignissen. Kraftwerk heißt einfach so, schon seit 1970. Das Konzert ist von 2005. Doppel-CD: Minimum-Maximum. Habe ich aufgelegt, weil mir nichts anderes eingefallen ist. Jetzt stelle ich fest, dass es die beste Wahl war. Seit die CD läuft, hat sich meine Stimmung verbessert von tief deprimiert zu fast schon ausgelassen. Das habe ich gemerkt, als ich Peters Klage-Monolog zu Beginn unseres Telefongesprächs nicht mehr anhören konnte. Dreimal habe ich ihn unterbrochen. Du musst Kraftwerk hören, habe ich zu ihm gesagt. Versuch es mal mit Kraftwerk. – Bloß nicht, hat er darauf gesagt. Aber es hat gewirkt. Wir haben nicht mehr über sein Nasenbluten gesprochen und über die Rechnungen auf seinem Schreibtisch, sondern über Kraftwerk und danach über die Japan-Berichterstattung auf SPIEGELONLINE, die Peter reißerisch findet und ich betulich. Auf jeden Fall umständlich und verzerrend mit ihrem vom SPIEGEL-Magazin übernommenen altmodischen Story-Stil. Wir wollen Informationen, nicht unterhalten werden. - Aber was soll man sonst lesen? fragt Peter. - Ich sage es ihm ungern, weil er kann kein Englisch: The New York Times. Die berichten einfach nur über das, was sie sehen, hören und wissen. Sache. - In Deutschland ist mir nur ein Journalist bekannt, der so schreibt: Günter Bannas von der FAZ. Berichtet über den Politikbetrieb in Berlin. Der ist im Moment jedoch nicht so wichtig wie Japan: Tokio. Fukushima. Das Runterkühlen der Brennstäbe. Die 50 Männer, die das versuchen im Kraftwerk 1 unter Einsatz ihres Lebens. Würden wir das auch machen? -  Peter könnte sich das vorstellen. Das glaube ich auch, dass er das machen würde. Weil er eine Helferpersönlichkeit ist. Ohne zu überlegen. würde er das machen. Bei mir bin ich mir da nicht so sicher. Ich würde überlegen. Peter hat mir schon mal von seinen Tagträumen erzählt, in denen er sich mit anderen in einer Gefahrensituation sieht und – wie soll er es sagen? – seinen Mann steht. Nicht als Anführer sieht er sich da, nur als jemand, der nicht in Panik gerät und tut, was getan werden muss. Hawksian Hero, denke ich. Peter denkt an seine Phantasie mit dem überfüllten Rettungsboot. Hat er mir schon mal erzählt. Ich erinnere mich nur noch vage daran. Habe jetzt aber keine Lust, mir die Phantasie noch mal anzuhören. Ich unterbreche ihn. Sage wieder, Kraftwerk. Hörst du das? Jetzt läuft gerade ihre Schnulze. NeonlichtUnd wenn dann der Tag anbricht … . – Übrigens, ich habe vorhin über dich geschrieben.  – Peter: Oh! – Nicht so schlimm, beruhige ich ihn. Nicht so böse wie am Samstag. Mehr sage ich nicht. Sage ich nie. Er fragt auch nicht. Fragt nie. Er wird es lesen. Wegen Schlafstörung um drei Uhr Früh. Und danach schreibt er mir gleich eine Mail:
Wolfgang,
Ich fühle mich wirklich als Krebskranker
und es ist keine Pose.
Nicht daß ich besondere Angst hätte,
aber ich denke immer an meinen jüngeren Bruder,
der noch 5 Wochen vor seinen Tod
putzmunter hier zu Besuch war
und auf Anfrage meinte,
"natürlich würde ich gerne noch eine Weile leben".
Ich habs dir erzählt:
vielleicht sterbe ich vor lauter Solidarität mit meinem Bruder,
der mir gegenüber immer benachteiligt war.
Es wäre mir ein Glück,
auch wenn das am Telefon im Small Talk nicht so klingen mag.
Lese das, lese es unwillig. Sterben aus Solidarität mit seinem Bruder. Und ein Glück wäre es ihm auch noch. Schmonzes! – Erste Reaktion. Später: Nur, weil mir etwas fremd ist, muss es noch lange nicht aufgesetzt, gekünstelt, ausgedacht, Pose sein. – Versuch es zu verstehen! Peter fragen. Anruf. - Er sagt, er hat ein riesengroßes schlechtes Gewissen seinem vor acht Jahren verstorbenen Bruder gegenüber. Weil er seinem Bruder immer vorgezogen wurde. – Aber das Leben deines Bruders wird doch im Nachhinein nicht schöner, wenn du jetzt auch stirbst. – Peter weint! –  Ich erinnere mich an das schlechte Gewissen, das ich in dem Augenblick hatte, als ich vom Tod des Hamburgers erfuhr. Weil ich ihm immer so feindselig begegnet bin. Doch das war etwas anderes. Er ist mir auch feindselig begegnet. Das schlechte Gewissen hatte ich nur einen Moment lang. Einen Bruder habe ich nicht. – Peter sagt: Es sei keine Überlegung, es sei ein Gefühl, eine Geste, dass er sich wünscht, das Schicksal seines Bruders zu teilen. Nicht Peters Worte, so versuche ich es mir zu erklären, was er meinen könnte. Ich kann es mir nicht erklären. Er erzählt, dass er manchmal laut zu sich selbst sagt: Ich möchte nicht mehr. – Doch das hat nicht mit seinem Bruder zu tun. Das hat mit dem ständigen Nasenbluten zu tun, das immer schlimmer wird. Das hat mit den ständigen Rückenschmerzen zu tun wegen der er morgens um drei schon aufwacht und dann nicht mehr einschlafen kann. Und es hat mit dem Knubbel am Hals zu tun, der immer größer wird, immer beängstigender aussieht und sich inzwischen auch so anfühlt. – Ich komme zurück auf seine Phantasie über das Verhalten in Krisensituationen. Das ist keine Phantasie sagt er, es ist ein Gedanke. Schon als Zwölfjähriger hat er sich gefragt: Wie entpuppen sich Menschen im Ausnahmezustand? Und wie wird er sich entpuppen in einem Moment höchster Gefahr? – In Panik geraten, die Kontrolle über sich verlieren, anderen zur Last fallen, statt ihnen eine Hilfe zu sein? Oder wird er dann seinen Mann stehen? – Das hat er sich immer gewünscht, dass das so wäre. Jetzt ist er in dieser Lage. Sie ist ganz anders, als er sie sich ausgemalt hat. Kein überfülltes Rettungsboot, kein Feuer, keine Explosionen. Nasenbluten. Rückenschmerzen. Knubbel.

Mittwoch, 16. März 2011

Knubbel

Gut, dass ich beim Rausgehen gleich eine Bekannte treffe, bei der ich mich beklagen kann über den Temperatursturz: Das ist ja Mantel-und-Schal-Wetter, sage ich fröstelnd, ziehe den Reißverschluss meiner Lederjacke hoch, fühle mich viel zu dünn angezogen, würde gerne noch länger über das Wetter reden, aber da steht ihr Auto, sie muss los und der nächste, mit dem ich rede, über die Gefahr, sich jetzt eine Grippe einzufangen, der beruhigt mich so gönnerhaft mit dem Hinweis auf meinen hochgeschlossenen Pullover, dass ich mir wie ein gebrechlicher alter Mann vorkomme und denke, er hat ja recht, was redest du auch über das Wetter, wenn du heute nichts anderes zu sagen hast, dann lass es doch lieber ganz sein. Geht doch auch mal.

Nur das noch von Peter. Fürs Protokoll. Bei Anneli gestern Kindergeburtstag. Der Enkel ein Jahr alt. Seit ein paar Tagen geht er aufrecht, mit jedem Tag weniger wackelig, trotzdem muss man noch auf ihn aufpassen; dass er zum Beispiel nicht auf den Steinfußboden in der Küche stürzt. Deshalb sie, während wir telefonieren, immer hinter ihm her, um sofort stützend eine Hand auszustrecken, wenn er zu wackeln anfängt. Zur Geburtstagsfeier kam ihre Großfreundin Ingrid. Die ist auch eine alte Freundin von Peter. Mit dem hat sie neulich telefoniert und Anneli gestern davon erzählt, entsetzt, dass Peter wieder Krebs hat. Worauf Anneli mich heute fragt: Warum hast du darüber nicht im Blog geschrieben? – Weil es nicht so ist. – Er hat keinen Krebs? – Er weiß es nicht. Am Montag war er endlich bei der MRT. Da haben sie nicht mehr erkennen können, als dass es sich bei dem Knubbel an seinem Hals um ein tumorartiges Gebilde handelt. Ob gut- oder bösartig, das kann nur mittels einer Biopsie festgestellt werden. Entnahme der Gewebeprobe am Freitag, das Ergebnis der histologischen Untersuchung erfährt er nächste Woche. – Und warum sagt Peter dann, dass er  Krebs hat? – Ich zähle die möglichen Gründe auf, die zusammengefasst werden können in dem Satz: Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass er das auch anderen Leuten erzählt hat, dass er krebskrank ist. Zum Beispiel einem prominenten Jugendfreund, mit dem er vor kurzem wieder Kontakt aufgenommen hat. Dem hat er eine Mail geschrieben mit einer Frage, die ihn bewegt. Die Mail hat er mir weitergeleitet, weil er weiß, dass ich neugierig Anteil nehme an seinem Austausch mit dem prominenten Freund. In der Mail stellt Peter lapidar fest, mit diesen Worten: ich habe Krebs und lebe vielleicht nicht mehr lange. Um dann zu argumentieren: deshalb möchte ich noch ein paar Dinge abklären. – Ich bin richtig erschrocken, als ich das gelesen habe. Nicht, weil ich dachte, er hat mir etwas verheimlicht, sondern weil er so auftritt. Mit so einer Pose. Oder es ist gar keine Pose, weil er sich wirklich so sieht und fühlt. Krebskrank. Während er gleichzeitig alles dafür tut, damit ihm vom Amtsarzt Arbeitsfähigkeit attestiert wird. Während er zugleich sich monatelang gedrückt hat davor, den Knubbel an seinem Hals medizinisch abklären zu lassen. Und jetzt, da er die dazu erforderlichen Untersuchungen endlich zulässt, tut er das auch nur deshalb, weil der Amtsarzt den Knubbel-Befund abwarten will, bevor er sein Urteil über Peters Arbeitsfähigkeit abgibt. - Sonderbar, in jedem vierten Satz benutzt Peter das Wort sonderbar, sage ich zu Anneli. Was nicht ganz stimmt. In jüngster Zeit, sagt er es nicht mehr so oft. Denn die schlimme Phase ist vorüber, in der er nur noch fassungslos den Kopf schütteln konnte darüber, was sein Körper mit ihm macht. Inzwischen ist die Fußwunde verheilt, die unerklärlichen Darmprobleme haben sich verflüchtigt, der Hexenschuss ist abgeklungen. Jetzt hat er es nur noch mit dem unerklärlichen Nasenbluten zu tun, mit dem Knubbel an seinem Hals, der festen Überzeugung, dass es sich bei dem Knubbel um Krebs handelt, und mit mir, der das alles protokolliert in der festen Überzeugung, dass der Knubbel gutartig ist und das ganze Drumherum eine einzige Posse. Hoffentlich habe ich recht.

Dienstag, 15. März 2011

Sonderangebot

Dottergelbe Krokusse auf dem begrünten Mittelstreifen der Hauptstraße. Ein paar weiße und violette sind auch dabei. – In die Bibliothek, um Thomas Pynchon, Natürliche Mängel zurückzugeben, da nicht verlängerbar wegen Vormerkungen. Kein Schaden. Auch acht Wochen später wäre ich noch nicht über die Seite 19 hinaus gekommen. Das Spiel mit der Form des Detektivromans in der Manier von Dashiell Hammett und Raymond Chandler, angesiedelt in der Pop-und-Happiness-Explosion der 60er Jahre interessiert mich nicht, schon gar nicht in der deutschen Übersetzung; wenn der Roman ein Ereignis ist, dann ist er ein Sprachereignis (60er-Jahre-Jargon) und das ist nicht übersetzbar. – Inherent Vice (Originaltitel) lese ich, wenn ich mal krank bin oder in der geistig kritischen Phase der Nikotinentwöhnung. Dein Friseur gewöhnt sich wohl gerade das Rauchen ab, sagt einer zum anderen auf der zweiten Seite von Thomas Pynchon, Vineland. Ein Roman wie eine detonierende Granate. So einen Text müsste es mal wieder geben. – Verbot von Kalauer-Assoziationen mit Explosionen in Kernkraftwerken. Unbehagen beim Rollenverhalten des abgebrühten Nachrichtenkonsumenten. Aber gleich so weit gehen, wie Kommentatoren, die beklagen, dass die deutsche Öffentlichkeit es an Mitgefühl fehlen lässt und nichts Besseres weiß, als sich mit den Kernkraftrisiken im eigenen Land zu beschäftigen? – Was sollen wir denn machen? Aus Pietät oder was die Chance (GAU in Japan + drei Landtagswahlen) verpassen, die von Schwarz-gelb beschlossenen Laufzeitverlängerungen rückgängig zu machen? - Es ist übrigens keineswegs so, dass es in Japan keine Anti-AKW-Bewegung gibt. Sie ist nur verteilt auf disparate Bevölkerungsgruppen - Bauern und Fischer, Frauen, vor allem Mütter, in Großstädten und akademische Kreise -, die nicht vernetzt sind und daher ohne politische Wirkung. Doch das wird sich ändern, meint der Autor eines Artikels in der Papier-FAZ, die ich gelesen habe in der Bibliothek. Am Ende werden die Japaner die Ersten und die Besten sein beim Ausstieg aus der Kernenergie, wie sie immer schon die Ersten und die Besten gewesen sind, wenn sie etwas angepackt haben, meint der Autor, ein Umwelthistoriker. Ich wünsche den Japanern von ganzem Herzen, dass er Recht hat, und lese dann noch einen Artikel über das Buch einer jungen Autorin, die zwölf Jahre lang als polnische Putzfrau in Deutschland gearbeitet hat. Titel des Buches: Unter deutschen Betten. Dort hat die Autorin unter anderem einen toten Hamster gefunden, eingetrocknetes Erbrochenes vom Hund, mehrere gebrauchte Kondome und Tampons in verschiedenen Stadien der Verwesung und einmal hat sogar ein ganzer Nagel von einem großen Zeh unter einem Bett gelegen. Schlimmer noch als das fand die Autorin die Schäbigkeit ihrer Arbeitgeber, die an einem heißen Nachmittag Eistee tranken, und sie musste hinterher die Kanne abspülen, ohne dass man ihr ein Glas Tee angeboten hatte. Eine Frau hat sie nicht bezahlt mit der Begründung, sie könne heute kein Geld mehr ausgeben, weil sie gerade mal wieder einen Kaufrausch gehabt hätte und sich eine Hose für 700 Euro kaufen musste. Während ein Mann sich nicht zu schade war für das Klischee, eben noch gegenüber seiner Ehefrau schönzutun, und kaum war sie weg, vor der Autorin die Hose runterzulassen und für die 10 Euro Putzfrauen-Stundenlohn auch noch sexuelle Dienstleistungen zu erwarten. – Was soll man dazu sagen? – Gegenfrage: Was soll denn außer Staubflusen sonst unter den Betten liegen, das der Rede wert wäre? - Dämlicher Artikel. Dämliches Buch. Hoffentlich hat die Autorin mit ihrem nächsten Buch mehr Glück. – Während ich mir die Vorgeschichte des ganzen Zehennagels vorzustellen versuche (ergebnislos), gehe ich zur Back Factory, was ein so bescheuerter Name ist, dass ich ihn nie verwenden wollte. Das lässt sich nun aber nicht mehr vermeiden, da ich mir dort inzwischen jeden Nachmittag ein schmackhaftes Weizenbrötchen für 15 Cent kaufe. Heute steht vor mir eine junge Frau mit langem Mantel und einem Kopftuch, das sie nicht mit großstädtischem Chic trägt wie Berliner Türkinnen es tun, sondern wie eine Bäuerin ins Gesicht gezogen. Daraus folgere ich, dass sie noch nicht lange in Deutschland ist. Vor allem aber wundere ich mich darüber, wie viele Brötchen sie mit der Zange aus dem transparenten Kasten nimmt, um sie auf ihr Tablett zu legen (in der Back Factory hat man ein Tablett), auf dem schon ein Süßstück liegt, das, glaube ich, als Schweinsohr bezeichnet wird. Während ich mich wundere, gucke ich mir schon das Brötchen meiner Wahl aus und bin gespannt, ob die junge Frau es mir übrig lassen wird. Nachdem sie die Zange zurückgelegt hat, wendet sie sich überraschend an mich, indem sie auf das Preisschild an dem Kasten deutet. Überraschend, weil junge Frauen mit Kopftuch und in langen Mänteln sich nie an Männer wie mich wenden. Ich will jetzt alles richtig machen und setze meine Lesebrille auf. Auf dem Preisschild steht, dass man beim Kauf von 10 Weizenbrötchen statt 1 Euro 50 nur 1 Euro 29 zahlen muss. – Ich erkläre ihr das. Denn ich habe in diesem Moment noch nicht verstanden, warum sie auf das Preisschild gedeutet hat. Und dann sage ich noch in meiner manchmal schon lehrerhaften Art: Die müssen Sie dann aber auch alle essen. Womit ich auf die Unsinnigkeit mancher Sonderangebote hinweisen will. Sie geht darauf nicht ein, weil sie entweder kein Deutsch versteht oder sich inzwischen daran erinnert hat, dass junge Frauen mit Kopftuch und in langen Mänteln nicht mit Männern wie mir reden. An der Kasse stehe ich hinter ihr und zähle die Brötchen auf ihrem Tablett. Für die 10 Brötchen und für das Schweinsohr zahlt sie 1 Euro 89. Inzwischen habe ich mir überlegt, was sie mit den 10 Brötchen machen wird. So jung wie sie ist, hat sie garantiert noch nicht so viele Kinder, um deren Münder damit stopfen zu können. Es könnte eher so sein, dass ihr Mann, wenn er nach Hause kommt und die vielen Brötchen sieht, mit ihr schimpft, weil sie sich mal wieder von einem Sonderangebot hat blenden lassen. Sie ist sehr klein, bemerke ich, als sie weggeht. Ohne sich von mir zu verabschieden, weil junge Frauen mit Kopftuch und langen Mänteln das nicht machen. Schon ungewöhnlich genug, dass sie mir mit dem Deuten auf das Preisschild erklärt hat, warum sie so viele Brötchen kauft. Nachdem sie offenbar meine Verwunderung bemerkt hatte.

Montag, 14. März 2011

Empathie

Kurzes Begrüßungsgespräch mit dem Kassierer im Hallenbad am Sachsendamm. Wir sind uns einig, dass das 6:0 des FC Bayern gegen den Hamburger SV nicht überbewertet werden darf, schon gar nicht im Hinblick auf das Spiel der Bayern morgen gegen Inter Mailand. – Nachdem ich bezahlt habe und wie immer keine Quittung wollte, fragt er mich unvermittelt: Und? Wie ist es bei Ihnen mit Kernschmelze? Alles okay? – Verdutzt antworte ich: Bis jetzt ja. – Worauf er: Die gleichen Leute, die letztes Jahr über den Streusalznotstand gesprochen haben, die reden jetzt über die Kernschmelze. – Ich lache und während ich in die Umkleide gehe, präge ich mir seine Sätze ein. – In der Halle am Beckenrand Begrüßungsgespräch mit Bernd. Ich zitiere die Sätze des Kassierers, schicke aber voraus, dass ich sie nur zitiere wegen ihres Komikaspektes. Bernd lacht verhalten und schränkt sein Lachen ein mit dem Hinweis, dass er nur über die Sätze lacht wegen des schlechten Witzes. Darauf haben wir einen sehr ernsten Dialog, in dem wir uns völlig einig sind, obwohl wir aneinander vorbei reden. Bernd spricht über das Phänomen Restrisiko, das nun mal gegen unendlich geht: auch wenn man es minimiert, bleibt immer noch ein Risiko, das man nun zwar wieder minimieren kann, aber es bleibt dennoch ein Risiko usw. Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. – Und eben deshalb, sage ich, kann ich es nicht verstehen, dass man mit einer so riskanten Technik eine Küste säumen kann, die einem Meeresgrund benachbart ist, auf dem zwei Kontinentalplatten aufeinandertreffen, die sich eines Tages aneinander reiben m ü s s e n, und dann wackelt es so, dass die japanische Hauptinsel hinterher vom GPS-Satelliten aus gesehen um zwei Meter verschoben ist. – Bernd war mal Architekt und sieht es bautechnisch: Wo hätten sie die Kraftwerke denn sonst hinstellen sollen, in die Berge? – Wozu brauchen sie Kernkraftwerke? frage ich. – Irgendwoher müssen sie ihre Energie doch nehmen, sagt er. – Die 20 Prozent ihres gesamten Energieverbrauchs, die sie damit decken, die hätten sie sich auch irgendwo kaufen können. – Bernd hält das, glaube ich, für eine unsachliche Bemerkung. Blick auf die Uhr. Schwimmen. – Danach bin ich besser durchblutet und verstehe jetzt die Sätze des Kassierers als das, was sie sind: Diskurskritik. Er sitzt ab 6 Uhr hinter der Glasscheibe seines Kassenschalters. Wahrscheinlich jeder zweite Frühschwimmer, dem er einen Eintritt für 2.50 verkauft oder die Zehnerkarte zwickt, fängt ein Gespräch mit ihm an. Lassen wir es heute Morgen 100 Frühschwimmer gewesen sein, dann hat er mit 50 Leuten gesprochen, ein Anteil von x dieser Personen hat sich über die Kernschmelze in Fukushima ausgelassen. Er hat sich das anhören müssen und alles, was er mir gegenüber festgestellt hat, war, dass dieser Anteil von Personen identisch ist mit dem Kreis derer, die letztes Jahr über den drohenden Streusalzmangel gesprochen haben, der, so weit mir bekannt, nicht eingetreten ist. Das heißt, es sind Menschen mit Problembewusstsein, Menschen, die dazu neigen, sich Sorgen zu machen, die sich manchmal auch unnötig Sorgen machen, Menschen, die andere nerven. Zum Beispiel den freundlichen Kassierer, der sich das am frühen Morgen anhören muss und genervt ist davon, sich immer das Gleiche anhören zu müssen von den gleichen Leuten, aber der deswegen nicht leichtfertig oder zynisch oder mitleidlos ist. Wenn er im Fernsehen Bilder aus Japan von Strahlenopfern sehen wird, dann wird er genauso entsetzt sein, wie er es sicher gewesen ist, als er Bilder von den Verwüstungen durch das Erdbeben und die Flutwelle gesehen hat. So wie ich auch entsetzt sein werde beim Anblick der Bilder der Strahlenopfer, obwohl ich schon seit Tagen denke, dass es schwer ist, Mitleid zu haben mit einer Bevölkerung, die sich von Energiewirtschaft und Politik für dumm hat verkaufen lassen und es zugelassen hat, dass an einer Küste, die in einer Erdbebenhochrisikozone liegt, vier Kraftwerke betrieben werden mit einer Technik, die mit einem gegen unendlich gehenden Restrisiko behaftet ist. Doch das ist Verstand. Was beim Ansehen der Bilder passieren wird ist Gefühl. Empathie. Mitgefühl. Einfühlen in das Leid anderer. - Leute, die sich Sorgen machen, fühlen sich ein, bevor etwas passiert ist. Ihr Verstand macht sie auf eine mögliche Bedrohung aufmerksam und dann malen sie sich aus, was es für sie und andere bedeutet, wenn aus der Bedrohung Realität wird. Damit nerven sie. - Es kann gar nicht genug solcher Leute geben. So leid es mir für den sympathischen Kassierer tut, der ihnen schon am frühen Morgen zuhören muss.

Sonntag, 13. März 2011

Kneipengespräch

Lächerlichkeit im Übergang zur Komik. Denn das muss man sich mal vorstellen: Besorgen eines Buches, weil es darin einen Text gibt, in dem es am Rande um das Kneipenleben geht, und um den Text zu verwenden beim Schreiben über einen Mann, der eine Kneipenexistenz ist, damit aber niemanden einen Schaden zufügt, vielleicht nicht einmal sich selbst, denn was soll er sonst machen, wenn er nicht mehr in Kneipen herumhängt tagein, tagaus. Am Ende noch anderen schaden mit seinem Charakter? Etwa als windiger Geschäftemacher anderen einen Schaden zufügen, wer weiß wie groß. So aber ist er ruhig gestellt durch Alkohol und abgelenkt durch den andauernden Aufenthalt in der Kneipe, wo es um nichts anderes geht, als Getränke entgegenzunehmen, sie zu konsumieren, dafür zu bezahlen, und dabei sich die Zeit zu vertreiben mit reden, reden, reden.

An Umständen nur, dass das Gespräch stattfindet im strahlenden Sonnenschein vor dem schwäbischen Speise- und Trinklokal Feinbäckerei in der Vorbergstraße. Er sitzt an einem der draußen aufgestellten Tische und trinkt Bier. Da letzten Sonntag die Außentemperatur noch nicht so mild war wie heute, hat er seinen taillierten Mantel von der Firma Boss zugeknöpft und um den Hals trägt er einen grauen Schal aus Cashmere. Sein Tonfall ist betont gelassen und sein Mienenspiel ist das einer schlecht gezeichneten Cartoonfigur: es bewegt sich nur sein Mund, der Rest des Gesichtes ist starr. Wenn er abfällig spricht, zieht er Wangen und Mundpartie nach unten. Was den Eindruck der Starre verstärkt. Er spricht gerne und oft abfällig. Wie jetzt gerade. Aus Gründen, über die ich nur spekulieren kann, unterstellt er mir, dass ich mich von Adelstiteln blenden lasse. Insbesondere vom Adelstitel des Freiherrn zu Guttenberg. Das sei einer der zahlreichen Adelstitel, mit denen Kaiser Wilhelm 1918 kurz vor seiner Abdankung nur so um sich geworfen habe. So wenig wie ich weiß, warum er mir unterstellt, dass ich mich von Adelstiteln blenden lasse, so unerklärlich ist es mir, warum er über den Freiherrn zu Guttenberg spricht. Obwohl es mich also nichts angeht, widerspreche ich ihm: Das glaube ich nicht, dass die Guttenbergs erst seit 1918 adlig sind. Die haben doch ausgedehnten Grundbesitz, Wald und Wiesen, und vor allem ein Schloss. Das haben die sich doch nicht erst nach dem 1. Weltkrieg zu ihrem frischen Adelstitel dazu gekauft. – Er geht darauf nicht ein und sagt: Etagenadel. Die Guttenbergs seien ein typischer Fall von Etagenadel. – Etagenadel? – Da hat doch der, wie heißt er noch mal, der das Buch geschrieben hat Die Kunst des stilvollen Verarmens, der hat doch darüber geschrieben. –Gutes Buch, sage ich, komme aber gerade auch nicht auf den Namen des Verfassers. – Ja, gutes Buch, sagt er. Das Buch des von Schirach sei aber noch viel besser. Ob ich das kenne? – Nicht gelesen. – Er redet nun über das Buch des von Schirach. Warum weiß ich nicht, denn geht es darin nicht um Rechtsfälle? – Er redet. Ich sehe ihn an, denke: wie eine schlecht gezeichnete Cartoonfigur, und höre ihm nicht mehr zu. Ich komme aus der Videoworld-Filiale um die Ecke, bin stehen geblieben, weil es so angenehm ist in der Märzsonne, weil ich Zeit habe und gerne mal wieder mit ihm gequatscht hätte, da Gespräche mit ihm auch schon mal amüsant waren. Heute aber nicht amüsant, da er dazu bereits zu viel Bier getrunken hat. Wie viel, davon bekomme ich eine Vorstellung, als mir endlich der Name des Autors von Die Kunst des stilvollen Verarmens einfällt: Alexander von Schönburg. – Ich unterbreche seine Ausführungen über von Schirach und sage: Alexander von Schönburg. – Wie? – Der Name, der uns vorhin fehlte, ist Alexander von Schönburg. – Er schaut mich verständnislos an. – Ich erzähle ihm, dass wir vor etwa fünf Minuten über das Buch von Schönburgs gesprochen haben und beide nicht auf seinen Namen gekommen sind. – Mit Mühe erinnert er sich daran, und obwohl ich ihn nicht noch mehr belasten will, muss ich ihn jetzt doch mal fragen, was genau unter Etagenadel zu verstehen ist. – Er erklärt mir, dass das Adlige sind, die zu Besuch zu anderen Adligen kommen, zum Beispiel auf ein Schloss, und dann ewig lange bleiben. – Also nicht mehr los zu werden sind? – Ja. – Und was hat das jetzt mit Etage zu tun? frage ich lieber nicht, denn ich will – siehe oben – ihn nicht belasten und muss jetzt auch weiter. – Später gebe ich bei Google ein: Guttenberg Adelsgeschlecht und lese in einem Wikipedia-Artikel, dass die Guttenbergs ein fränkisches Adelsgeschlecht sind, zum ersten Mal 1158 urkundlich erwähnt, mit standesgemäßer Burg seit 1310 und einem Wappen erster mittelalterlicher Güte. – Am nächsten Nachmittag bringe ich den Film zurück zu Videoworld, komme dabei wieder an der Feinbäckerei vorbei, vor der ich ihn schon von weitem habe sitzen sehe an der gleichen Stelle wie am Vortag, Bier trinkend, im Gespräch mit einer Frau, attraktive Frau, auffallend ihre großen vollen Lippen. – Ich begrüße ihn, nicke der Frau zu, der er mich nicht vorstellt, und referiere kurz, was ich inzwischen über die Guttenbergs gelernt habe. Bei Wikipedia! Warum hast du da nicht nachgeguckt, bevor du so etwas erzählst? frage ich ihn mehr fassungslos als vorwurfsvoll. - Er entgegnet im Ton von Schlagfertigkeit: Ich erzähle nur Sachen, die nicht stimmen. - Wäre es fünf Jahre früher um 18.45 Uhr und wir würden am Tresen des Felsenkellers stehen, würde ich in diesem Moment beschließen, ein drittes Bier zu bestellen, und es ginge jetzt erst richtig los. Er würde daraus, dass er nur Sachen erzählt, die nicht stimmen, ein Prinzip improvisieren, demzufolge man in Kneipen vernünftigerweise gar nicht anders reden kann, als indem man irgendeinen Scheiß erzählt, den man sich gerade ausgedacht hat. Womit er in gewisser Weise recht hätte. Aber so weit war ich damals noch nicht. Deshalb hätte ich mich so aufgeregt über sein Überlegenheitsgetue, dass es sehr bald persönlich und laut und hässlich geworden wäre und ich mich nach dem dritten Bier wütend auf den Heimweg gemacht hätte. Voller Verachtung für ihn - und für mich, weil ich mich mit Leuten wie ihm abgebe. – So aber wundere ich mich nur über die Selbstsicherheit, mit der er seine haltlose Behauptung aufgestellt hat, und das formuliere ich so zurückhaltend wie möglich wegen der Frau, mit der er vor der Feinbäckerei zusammensitzt. – Im Weggehen frage ich nur noch: Hast du denn nicht mehr dein iPhone? – Er: Doch. – Ich: Da hättest du das doch ganz leicht im Internet überprüfen können. – Stimmt, sagt er. – Ich nicke ihm zu, nicke der Frau zu, die mir gefällt, und gehe zu Videoworld den Film abgeben. Danach begegne ich auf der Hauptstraße der jungen Bettlerin, anschließend werde ich auf die beiden Penner im Eingang der Kaiser-Wilhelm-Passage aufmerksam und schreibe später in umgekehrter Reihenfolge über die Beobachtungen, die ich dabei gemacht habe.

Den Begriff Etagenadel habe ich inzwischen auch nachgeschaut. Er bezieht sich auf Angehörige armer Adelsfamilien, die in Mietwohnungen leben – also nicht in einem Schloss, sondern in der soundsovielten Etage eines Mietshauses. – Und der Text aus dem Buch, in dem es am Rande um das Kneipenleben geht? - Es ist jetzt auch ohne ihn gegangen.

Samstag, 12. März 2011

Solidarisch

Peter, warum hast´n jetzt eigentlich angerufen? – Weil ich gedacht habe, du hättest vorhin angerufen. – Hatte ich nicht. Habe dann aber gesagt: Wenn du schon mal da bist, dann können wir auch gleich reden. Wie geht es dir denn? - Caro ist gerade raus gegangen, sagt er.  Jetzt ist er eine Stunde für sich. Das tut ihm mal gut. So ein Besuch ist nämlich auch manchmal anstrengend. In der Nacht und morgens ist sie so lieb, streichelt ihn, liebkost ihn. – Ist doch toll, sage ich, das habe ich schon seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt. - Ja, aber kaum ist sie aufgestanden, geht es los. Was willst´n frühstücken? Ich will nichts frühstücken. Du musst aber was frühstücken. Wegen deines Blutzuckers. Und dann muss unbedingt der Kühlschrank geputzt werden … . – … Dein Kühlschrank muss bestimmt dringend mal geputzt werden, Peter. – Hat sie ja dann auch gemacht. – Sie? – Ja. – Ist doch gut. – Ist aber auch Stress. Und dann war noch ein Rest Wein da, den hat sie versteckt. – Das finde ich auch gut, dass sie den Wein versteckt hat. Das sage ich aber lieber nicht. Weil sein Alkoholismus ist seine Sache. Der geht mich nichts an. Und so lange er sagt: Was hast´n eigentlich immer? Ich bin kein Alkoholiker - da kann ich noch so viel an ihn ranreden. Alkoholiker ist er erst, wenn er es selbst sagt, und erst dann kann er was dagegen machen. – Wenn er nur nicht immer wieder die gleichen Geschichten erzählen würde: Peeeter! Ich weiß. Und dann hat er die ganze Nacht mit der Knarre hinterm Vorhang gestanden und nach der Polizei Ausschau gehalten. In der Wohnung deiner Eltern, die in Urlaub waren und das heute noch nicht wissen, dass du ihn da versteckt hast. Nach der Schießerei in Wiesenbach war das. Worauf dann das SPK aufgelöst wurde. – Habe ich das schon erzählt? – Peter, ich kann es mittlerweile singen. – Hm. – Dement? Nein, dann wäre er sonst nicht so helle. Der Alkohol? Habe ich lange Zeit gedacht. Glaube ich neuerdings aber nicht mehr. Es ist sein Denk- und Redestil, seine Art zu einem Gespräch beizutragen. Während mein typischer Gesprächsbeitrag ist, dass ich irgendwo was gelesen habe, ist sein Beitrag zum Beispiel, dass er damals nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl (Thema: Kernschmelze wie jetzt in Japan?) gerade mit Susanne aus dem Urlaub zurückgekommen ist und es war Mai und das Wetter unheimlich schön, aber die Kinder durften nicht im Sandkasten spielen und man sollte keine Milch kaufen. Und als ich sage, dass ich gestern, nachdem mir das Foto von der Chanel Show so gut gefallen hat, überlegt habe, ob ich das Bilderverbot in meinem Blog aufheben soll, da erzählt er von dem befreundeten Künstler, den er gestern besucht hat zusammen mit Caro, der heißt auch Peter und mit dem ist er aufgewachsen … . – Ich weiß, Peter. Ihr wart im Prinzip Indianer. Auf jeden Fall habt ihr nie ohne Pfeil und Bogen das Haus verlassen. – Gut wäre, wenn er an so einer Stelle mal verwundert fragen würde: Woher weißt´n das? – Statt dessen geht er darüber hinweg, hat jetzt auch schon die stehende Rede: Ich weiß zwar, dass ich das schon zehnmal erzählt habe, aber … . – In diesem Fall muss er das nicht sagen, denn was er jetzt erzählt, ist etwas Neues: dass der Künstler, der auch Peter heißt, in den 80er Jahren Fotos von der Mauer gemacht hat und das ist Kunst … . – Worauf ich ihn unterbreche, weil ich nämlich inzwischen das Muster seiner Gesprächsbeiträge durchschaut habe. Ich will jetzt über Bilder in meinem Blog reden, sage ich, nicht über jemanden, den  du kennst, und schon gar nicht, wenn der Künstler ist. Denn was ich auf keinen Fall will in meinem Blog, das ist Kunstfotografie. Alleine schon deshalb nicht, weil alles, was per definitionem Kunst ist, vorbei ist, glaube es mir, Peter, ich habe einen sechsten Sinn für Strömungen, und alles, wo Kunst drauf steht, ist tot, tot, tot. So wie Literatur tot, tot, tot ist, vor allem, wenn es deutsche Literatur ist, gegenwärtige meine ich. – Das nun wieder ein für mich typischer Gesprächsbeitrag, in diesem Fall ohne bibliographische Angabe und auch kein Beitrag zum Thema: Bilder in meinem Blog; schön, wenn es welche gäbe, nur, was für welche? – Aber so ist das mit unseren Gesprächen. Ideenflucht, Gedankenflucht zu zweit. Ich kenne niemanden anderen, mit dem das so gut geht wie mit ihm. Deshalb es mir bloß nicht mit ihm verderben. Daher auch verzichtet auf das, was ich ursprünglich von ihm erzählen wollte heute: seine zweite Art von Gesprächsbeiträgen - Bemerkungen -. die mich nerven, und nicht nur mich, sondern auch seine Caro. Vorhin ihm angekündigt: ich werde heute was Böses über dich schreiben, aber keine Angst, solidarisch. Mache ich jetzt lieber nicht. So wie ich zuvor schon beschlossen habe, das über die Kneipenexistenz (Bürger Großkotz) heute nicht. Da ist die Vorgabe: friedfertig. Auch nicht einfach. Für mich. In diesem Fall. Und an diesem Tag, an dem ich besser nur gelebt hätte, statt schreibend zu leben. Wie immer.

Beim Schwimmen an die Passage aus dem Fleming/ Chandler-Gespräch gedacht, die ich gestern zitiert habe. Die von mir als drollig british hingestellte Frage von Ian Fleming, ob Chandler auch jemanden in England im Sinn hat, wenn er an Leute denkt, die er gerne erschießen würde (Anyone in England?). Dabei bemerkt, dass das keineswegs drollig british ist, wenn Fleming das fragt, sondern dass das mit seiner Berufsauffassung als Journalist zu tun hat, als der er mit Chandler spricht. Im Auftrag der in London erscheinenden Sunday Times, deren Leser einen Anspruch darauf haben, das zu erfahren, ob unter den Leuten, die Chandler lieber tot sähe, auch Engländer sind. – Danach gedacht, dass ich mir daran mal ein Beispiel nehmen sollte.