Montag, 28. März 2011

Üben

Frühling Tag 8. Heiter bis die Sonne hinter den Wolken verschwindet gegen halb drei. Nichts los im Volkspark bei dem Wetter. Keine Chance für Raubüberfälle auf wehrlose bekiffte Schulkinder. Es ist noch zu kühl, um sich scharenweise nach Schulschluss auf den Rasen  zu setzen und sich die Hucke voll zu kiffen. Eine Großmutter hockt auf einer Parkbank und bläst Seifenblasen für den feisten Säugling im Kinderwagen, der das ungerührt zur Kenntnis nimmt. Ein etwa sechzehnjähriges Mädchen sieht hinreißend aus in seinem schwarzen Outfit mit ganz viel Wolle dabei und ist eher ein Fall für einen street style photographer als für ein überfallartiges Interview. Denn das könnte zu Missverständnissen führen, auf die ich mich heute nicht einlassen will. Deshalb nur Übungen. Beim Verlassen der Bibliothek in der Brandenburgischen Straße eine mir bekannte Person aus Schöneberg, die sich gerade bereit macht, um aufs Fahrrad zu steigen. – Wo kommst´n her? – Bank. – Welche Bank? – Da drüben (deutet auf eine Filiale der Deutschen Bank). - Und wo gehste hin? – In meine Kneipe. – Deine eigene Kneipe? – (nickt) Leonard am Stutti. Kneipe und Restaurant. – Wo am Stutti? – Da, wo früher das Klick war (Kino). – Bin ich in den 70er Jahren oft gewesen im Klick. – Wir alle, sagt er und fährt los. Kneipen-Roland. Langweilig. Nicht sein Fehler. Übung. - Verdacht, dass das Unternehmen überfallartige Interviews scheitern könnte gar nicht an mir, sondern am Mangel an geeigneten Interviewpartnern. –Na, das kann ja wohl nicht sein bei 3.450 900 Menschen in der Stadt.– Falscher Stadtteil? – Das schon eher. –Wilmersdorf. Sigmaringer Straße. Interview mit einer Litfaßsäule. Es geht um eine Plakatekombination, die mir gestern schon aufgefallen ist an einer anderen Litfaßsäule. Ich ziehe mein kleines Sony-Aufnahmegerät aus der Tasche und lese ihm die Plakate vor. Plakat für ein Buch: Krimi-Highlight. – Sie beseitigt die Spuren des Todes. Sie ist ein Cleaner – und sie ist in Gefahr. Abbildung des Buches: Elisabeth Herrmann, Zeugin der Toten. – Das Plakat darunter schmaler: Ausstellung. Der Friedhof der Zukunft. Neue Wege des Abschiednehmens. – ORTE, DIE GUT TUN. Ausstellung in der Parochialkirche,  Klosterstraße 66-67, 10179 Berlin; U-Bahnhof Klosterstraße, S+U-Bahnhof Alexanderplatz. - Ich würde zu gerne mal wissen, was sich da jemand gedacht hat bei der Anweisung an die Plakatkleber, die beiden Plakate in dieser Kombination zu kleben. Eine solche Anweisung muss es geben, denn an einer Litfaßsäule in Schöneberg habe ich die gleiche Kombination gesehen. Oben das Krimi-Highlight über die Entsorgung der Überreste von Gewaltverbrechen. Darunter die Ausstellung über innovatives Beerdigen. Ich komme nicht dahinter. Aber was immer die Person sich gedacht hat, es funktioniert. - Meine Aufmerksamkeit wurde erregt. Und das ist die Antwort auf die gestellte Frage. – Schließlich nur noch rasch zu Penny und danach zu Aldi. Vor dem Eingang die Frage: Gibst du mir einen Euro? – Während ich drinnen an der Kasse stehe, beobachte ich den Mann, dem ich keinen Euro gegeben habe, wie er weitere Passanten anspricht. Mann Mitte 30. Gut gekleidet, im Stil des kunstvollen Verarmens. Feine Gesichtszüge. Kein Säufergesicht. Je länger ich ihn betrachte, desto mehr sieht er aus wie ein arbeitsloser Schauspieler, dem seine Hartz-Grundversorgung nicht reicht und der das Betteln vielleicht auch als Übung betreibt. – Ich beschließe, ihn zu fragen, ob er mit seinem Spruch Erfolg hat. – Als ich auf ihn zugehe, sagt er gleich wieder: Gibst du mir einen Euro? – Ich stelle ihm meine Frage. Er sieht mich verwundert an: Was für ein Spruch? – Na, Ihre Frage: Gibst du mir einen Euro? Haben Sie damit manchmal Erfolg? – Er: Nein, überhaupt nicht. Aber was soll ich machen? Soll ich sagen, ich verprügele dich, wenn du mir keinen Euro gibst. – Reflexartig trete ich einen Schritt zurück und überlege, ob ich ihm den Tipp mit den Raubüberfällen auf bekiffte Schulkinder geben soll, entschließe mich dann aber, wortlos wegzugehen. Für die Raubüberfälle ist er nicht hart genug.