Dienstag, 26. April 2011

Überstanden

Krähe kommt aufgeregt angeflattert. Kräht! Kreuzung Apostel-Paulus/Eisenacherstraße vor der Apotheke. Katze kommt angehastet, hatte wahrscheinlich zu tun in dem kleinen Park, der an die Martin-Luther grenzt. Hat es eilig, wird wahrscheinlich schon sehnsüchtig erwartet, vielleicht von einem Kind, das die Miezekatze noch mal streicheln möchte, bevor es in die Schule geht. - Da fällt mir ein, es sind ja Ferien! - Katze, ohne nach rechts oder links zu gucken, hastet über die Straße. Trotzdem eine sichere Sache. 6.20 Uhr. Kein Auto in Sicht. Die Gefahr kommt aus der Luft. Krähe kreist flatternd über der Katze, scheint zu warten, bis die Katze den Bürgersteig erreicht hat auf der anderen Straßenseite – und setzt zum Sturzflug an auf die Katze. Bremst dann ab, steht flatternd in der Luft über der Katze, die ich jetzt nicht mehr sehe wegen der am Straßenrand parkenden Autos. Katze scheint weiter zu hasten, Krähe steigt kurz auf, dann stößt sie wieder herab auf die Katze, bremst wieder ab, flattert bedrohlich über der Stelle, wo ich die Katze vermute, und steigt wieder auf - um nun abzudrehen. Fliegt eine Straßenlaterne an. Bogenlampe. Lässt sich nieder auf dem Bogen der Bogenlampe, hat die Katze weiter im Blick, guckt ihr hinterher. – Hey! Was war denn das? Dicke, fette Krähe greift Katze an! Und das im Herzen der Zivilisation! Vor der St. Annen-Apotheke, Kreuzung Apostel-Paulus/Eisenacherstraße. Was wollte die Krähe? Der Katze ein Auge aushacken? Blinde Aggression! Wo gibt´s denn so was?! Ich kann mir das nicht erklären. Bin gerade erst aufgestanden. Gedanken kann man das noch nicht nennen, was abläuft in meinem Kopf. Klar ist nur, dass ich solidarisch bin mit der Katze. Katzen sind meine nächsten Verwandten im Tierreich. Arme Katze! Gerade noch mal gut gegangen.

Im Hallenbad, mein Hauptansprechpartner in den frühen Morgenstunden, der Kassierer. Begrüßt mich mit der Frage: Alles gut überstanden? - Hä? Ach so. Ja, alles gut überstanden, murmle ich und erzähle ihm dann aufgeregt von dem Angriff der fetten Krähe. Was meinen Sie, was die da draußen mit unseren Mülltonnen machen, sagt er und meint die Krähen. – Verbrecher, fauche ich verächtlich. – Es gibt Schlimmeres, sagt er und ich merke, das wird heute nichts mit dem Gespräch. Im Duschraum treffe ich auf den lachenden Mann und seine Begleiter, den jungen Mann und den stattlichen älteren Mann. Von allen Dreien wird bemerkt, dass ich heute früher dran bin als sonst. Einen Bus früher genommen? fragt der lachende Mann. Ich lache und könnte sagen, dass ich heute nicht zu Fuß, sondern mit dem Fahrrad gekommen bin. Aber ich bin noch immer bei dem Angriff der Krähe auf die Katze und da will ich die Drei nicht mit hineinziehen. Festzuhalten bleibt nur, dass sie mich nicht fragen, ob ich alles gut überstanden habe. Das fragt mich dann der Mann mit der weißen Badekappe, der so eindrucksvoll lange und elegante Tauchgänge macht. Als er die Frage stellt, verlasse ich gerade das Becken, nachdem ich eine Stunde geschwommen und deshalb nun besser durchblutet bin. Für meine Antwort verwende ich eine Formulierung aus dem Posting von gestern, die ich gestrichen habe: Zwei Sonntage hintereinander ist schon übertrieben, sage ich und füge hinzu: genau genommen sogar drei Sonntage, mit einem Samstag dazwischen. – Ja, das ist unanständig, antwortet der Mann mit der weißen Badekappe und meint das ironisch. Während ich es so gesagt habe, wie es war. Nicht einfach war es, die vielen Feiertage zu überstehen. Eine kleine melancholische Geschichte dazu vielleicht morgen. Jetzt erst mal Duschen. Der Platz zu meiner Rechten ist frei. Denn der sympathische Sachse ist mit seiner Frau für drei Wochen nach Ungarn gereist zur Kur, an den  Thermalsee Hevitz. Möglich, dass er mich auch gefragt hätte, ob ich alles gut überstanden habe. So fragt mich das nun der weißhaarige Mann in meinem Alter, der beim Duschen immer zur Linken des sympathischen Sachsen steht. Na, alles gut überstanden? – Es zog sich etwas, antworte ich und wiederhole dann, was ich zuvor zum Mann mit der weißen Badekappe gesagt habe: drei Sonntage und dann noch ein Samstag dazwischen, das ist übertrieben. – Damit steht meine Antwort auf die Frage, ob ich alles gut überstanden habe. Aber nun fragt mich niemand mehr danach.

Zu der Geschichte mit der Krähe und der Katze ist noch anzumerken, was mir vorhin klargeworden ist. Da Tiere nichts ohne Grund tun und da die Krähe der Katze kein Auge ausgehackt, sondern sie nur bedroht hat, deshalb kann es nur so gewesen sein, dass die Krähe die Katze vertreiben, also in die Flucht schlagen wollte. Deswegen hat die Krähe schließlich von der Katze abgelassen und auf der Bogenlampe sitzend nur noch beobachtet, wie sich die Katze weiter entfernte. Wovon entfernte? Vom Nest der Krähe wahrscheinlich, an das sich die Katze herangeschlichen hatte, um sich über die kleinen nackten Krähen darin herzumachen. So muss es gewesen sein. - Ich nehme zurück, was ich zum Kassierer gesagt habe: Krähen sind keine Verbrecher. Bei meiner Solidarität mit Katzen bleibt es.