Samstag, 21. Mai 2011

Vice versa

Der Levi ist auch so ein Schöneberger, der nicht grüßt, obwohl er einen kennt, den Oleg sogar so gut, dass der gleich eine Schnurre nach der anderen erzählt vom Dani. Zum Beispiel die, als Dani sich einmal von seiner Frau, die Maskenbildern ist, karikaturhaft jüdisch zurecht hat machen lassen als Mann namens Fisch, und dann ist er in den Laden von Oleg gekommen und hat sich ihm vorgestellt als Fisch, aber so brauchte er dem Oleg nicht zu kommen, denn der hat ihn natürlich sofort erkannt und als den Levi angesprochen, der er ist, und die Frau von Dani hat das mit der Videokamera aufgezeichnet und schon am nächsten Tag hat Oleg eine Video-Kassette von ihm bekommen mit der Aufzeichnung dieser Schnurre.

Es könnte allerdings auch sein, dass Dani grußlos an uns vorbei gegangen ist, weil er immer noch eingeschnappt ist wegen dem, was ich über ihn geschrieben habe. Das wäre ich an seiner Stelle vielleicht auch. Denn was ich geschrieben habe, ist zwar nicht böse, jedenfalls nicht so gemeint, aber so ehrlich, wie Dani es vermutlich nicht gewohnt ist, dass man sich ihm gegenüber äußert, weil er so ein netter, lieber Kerl ist, so dass jedermann ihm auch nur Nettes und Liebes sagen möchte. Habe ich mir gedacht hinterher und bin froh gewesen, dass er mich nicht angesprochen hat auf meine schlechte Meinung über seinen Film. Denn heute ist ein Tag, an dem ich mich gerne verstecken würde, mich am liebsten auf eine Wiese legen ins hohe Gras, den Wolken zuschauen und träumen.

Homestory
Der Mann in der Wohnung gegenüber zeigt in den letzten Tagen wieder vermehrt Präsenz. Das heißt, er ist nicht nur da, sondern mein Eindruck ist, er will, dass ich sehe, dass er da ist. – Warum? Weiß er mehr als ich? Habe ich was vor? – Der Mann in der Dachwohnung gegenüber ist der Freund von ihr. Und manchmal frage ich mich, ob sie auch noch da ist, denn ich sehe immer nur ihn, sie habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Nicht einmal huschen habe ich sie gesehen, was einmal eine von ihren vielen Besonderheiten war, das Huschen, gern gesehen, zauberhaft gefunden, nur viel mehr als Huschen war nicht. Jetzt nicht einmal mehr das. Und deshalb frage ich mich allen Ernstes, ob sie ihn verlassen hat. Ob sie uns verlassen hat. So dass das Einzige, was mir noch bleibt von ihr, der Anblick meines Rivalen ist, als lebendige Erinnerung an sie. Und vice versa bleibt ihm nur der Anblick seines Widersachers, also von mir, als lebendige Erinnerung an sie. Vice versa. Wenn ich das einmal hätte hören können, wie sie vice versa sagt. Er hat es bestimmt einmal gehört, wie sie das gesagt hat. Wahrscheinlich telefoniert er auch noch mit ihr und schreibt ihr Mails und sie schreibt ihm zurück. Doch das ist auch alles. Sie ist weg und ich denke und sehne mich da rüber, wo nur noch er ist, doch sie nicht mehr. Könnte sein. Würde passen zu mir. Nur, warum zeigt er mir dann seine Präsenz? Wölfevertreiben ist das dann nicht mehr, wenn sie weg ist. Ist sie also doch noch da? Denn sonst wäre das Zeigen seiner Präsenz sinnlos. Oder es ist gar nicht so, dass er sich mir zeigt. Er guckt nach mir, um durch meinen Anblick eine lebendige Erinnerung an sie zu bewahren. Aber erstens ist der nicht so, der ist ganz bestimmt nicht so sentimental, und zweitens glaube ich das doch nicht im Ernst, dass es so sein könnte. Das ist nur eine Träumerei von mir an einem Tag, an dem ich träge und scheu bin und mich am liebsten verstecken würde. Wogegen auch gar nichts einzuwenden ist. Nur so finde ich nie heraus, ob sie noch da ist. Darüber muss ich mir jetzt endlich mal Gewissheit verschaffen. Und sei es nur, um festzustellen, ob der Mann gegenüber gerade dabei ist seinen Verstand zu verlieren, weil er es nicht verkraftet, dass sie ihn verlassen hat. Das glaube ich zwar auch nicht im Ernst, aber irgendeinen Grund muss er doch haben, dass er mir seit Tagen wieder vermehrt seine Präsenz zeigt.

Well, if you wanna see the sun rise
Honey, I know where
We’ll go out and see it sometime
We’ll both just sit there and stare

Bob Dylan, Leopard-Skin Pill-Box Hat
In der taz von heute gibt es eine deutsche Übersetzung des Songs. Weil Bob Dylan kommenden Dienstag 70 wird und wegen eines Artikels über die Hüte in Bob Dylans Karriere, den ich nicht gelesen habe.