Dienstag, 14. Juni 2011

Melderegister

Bevor die Gespensterjagd beginnt, muss zweifelsfrei festgestellt werden, ob die Frauensperson auf der anderen Straßenseite auch wirklich ein Gespenst ist und der Nachbar nicht vielleicht doch gelogen hat. Deshalb bin ich am Freitagmorgen um 8 Uhr im Bürgeramt auf dem Schöneberger Rathaus, habe die Nummer 31 gezogen, und folge nach 25 Minuten Warten dem Aufruf, mich zum Platz 1 zu begeben. Dort begrüßt mich eine Frau Mitte 30. Ich brauche eine Information aus dem Melderegister, sage ich. Sie bittet mich um meinen Personalausweis und fragt mich nach dem Namen der Person, über die ich eine Information haben will. Während ich meinen Ausweis aus meiner Brieftasche nehme und ihn ihr vorlege, sage ich, dass ich den Namen der Person nicht kenne. Ich kenne nur Adresse, Wohnung, zwei Namen von Personen, die in der Wohnung leben, und ich möchte wissen, ob noch eine dritte Person in der Wohnung gemeldet ist – und wenn ja, wie diese Person heißt. Das führt dazu, dass die Sachbearbeiterin auf Platz 1 meinen Ausweis, den sie schon in die Hand genommen hatte, wieder auf den Tisch zurücklegt, ohne ihn angesehen zu haben. Drei Angaben zur Person, sagt sie und wird es mehrfach wiederholen. Wenn ich von einer Person den Namen kenne und ihren früheren Wohnsitz, dann kann sie für mich den neuen Wohnsitz der Person feststellen. Alles weitere fällt unter Datenschutz. – Und wenn ich jetzt das Glück gehabt hätte, an einen Kollegen oder eine Kollegin an Platz 7 oder Platz 17 zu geraten oder wenn Sie besser geschlafen hätten vergangene Nacht?  frage ich verbiestert. - Dann hätten Sie auch keine andere Auskunft gekriegt, erwidert sie unbeeindruckt von meinem aggressiven Unterton. Für den bitte ich dann auch gleich um Entschuldigung, indem ich erkläre, ich sei jetzt eben frustriert. Sie winkt ab. Schon in Ordnung. Versteht sie. Ist aber nicht zu ändern wegen Gesetzesgrundlage. Nehmen Sie es als Fortbildungsmaßnahme, tröstet sie mich. Gute Idee, denke ich, und da wir schon mal dabei sind, frage ich: Und wenn ich mich an die Polizei wende? - Die Polizei kann nur aktiv werden, wenn Verdacht auf eine Straftat besteht. – Zum Beispiel, wenn ich Anzeige erstatte? – Dann ermittelt die Polizei. Und wenn nötig, schließt das Nachforschungen im Melderegister ein. - Freundlicher Abschied von der Sachbearbeiterin auf Platz 1. Während ich den John-F.-Kennedy-Platz überquere, stelle ich mir vor, dass ich, um endlich den Namen der Frau von gegenüber herauszufinden, Anzeige gegen sie erstatte. Anzeige könnte ich erstatten wegen Eindringens in meine Privatsphäre. Weil sie mich in sich verliebt gemacht hat und dann hat hängen lassen? Das wird nicht gehen. Also wegen ihres Eingehacktseins bei mir. Das kann ich zwar letztlich nicht beweisen. Aber die Anschuldigung dürfte ausreichen, um Ermittlungen in Gang zu setzen. Dabei stellt sich womöglich heraus, dass sie da drüben gar nicht gemeldet ist. Dann ist sie dran wegen Verstoßes gegen das Meldegesetz und der Nachbar gleich mit. Das geschieht ihm recht. Das hat er nun von seiner Lügerei, mit der er mich so weit gebracht hat. Aber um sie tut es mir natürlich leid; das wollte ich nicht. Ich wollte sie nur aufscheuchen, in der Annahme, dass sie sich rausreden kann wegen ihres Eingehacktseins bei mir. Das würde ihr auch gelingen, raffiniert genug ist sie. Aber nun würde sie mich hassen, weil ich ihr den Ärger mit dem Verstoß gegen das Meldegesetz eingebrockt habe. Oder sie ist gemeldet. Dann ist es ganz einfach. Dann bekomme ich es amtlich bestätigt, dass sie da wohnt. Und mit ein bisschen Glück erfahre ich sogar ihren Namen. Dann steht zwar fortan zwischen uns, dass ich sie angezeigt habe, aber da steht mittlerweile schon so viel, da kommt es auf so eine lächerliche Anzeige wegen Verletzung meiner Privatsphäre auch nicht mehr an. Also gehe ich zur Polizei? Nein. Wirklich nicht? Nein! Warum nicht? Aufhören! Schluss! – Inzwischen stehe ich vor dem Geldautomaten der Sparkassenfiliale in der Martin-Luther-Straße und frage mich, wie es gewesen wäre, wenn ich einen gefalteten Hunderteuroschein unter meinen Personalausweis gelegt hätte? – Antwort: An einem anderen Platz hätte mir das vielleicht die ersehnte Auskunft verschafft, am Platz 1 nicht. Die Frau dort ist bestimmt nicht bestechlich und überhaupt sind das alles Überlegungen am Rande des Tagtraums, denn einen gefalteten Hunderteuroschein unter meinen Ausweis zu legen, kann ich mir nicht leisten. Wieder scheitert es am Geldmangel. Wieder ein Versuch, der zu nichts geführt hat. Aber umsonst war die Aktion auf dem Rathaus nicht. Es ist, wie die Sachbearbeiterin sagte: Fortbildung. Jetzt weiß ich, wie es nicht geht, und bald darauf fällt mir ein, wie es gehen könnte. – Zweiter Teil: Der Nachmittag des braven Mannes.