Mittwoch, 22. Juni 2011

Reif

Die LPG Markendorf war eine der größten Obstanbau-Genossenschaften in der DDR. Der Gartenbauingenieur Thomas Bröcker war in der LPG in leitender Funktion tätig und hat sich nach der Wende selbständig gemacht. Caty Schernus ist also nicht auf einem Bauernhof aufgewachsen, wie ich zuerst gedacht hatte. Caty war bereits 14, als ihre Mutter, die Bibliothekarin Claudia Schernus, sich nicht nur menschlich, sondern auch geschäftlich mit Thomas Bröcker zusammengetan und mit ihm 1990 das Unternehmen Obsthof  Schernus & Bröcker gegründet hat. - Der für uns relevante Teil der Unternehmensgeschichte beginnt damit, dass Caty Schernus, nachdem sie Kulturwissenschaften studiert hatte, nach Berlin gezogen ist, hier zwei Jahre lang bei einer PR-Agentur arbeitete, und als sie danach arbeitslos war, auf einen leerstehenden Laden in der Goltzstraße 3 aufmerksam wurde. Sie hätte sich auch als PR-Beraterin selbständig machen können, sagt sie. Aber warum für andere Unternehmen arbeiten? Warum nicht mit all dem, was sie gelernt hatte, in das Familienunternehmen ihrer Mutter einsteigen, es PR-technisch betreuen - und das Direktvertriebsnetz des Obsthofes Schernus & Bröcker nach Berlin ausweiten?

Der im Herbst 2007 eröffnete Laden mit dem Namen Apfelgalerie ist mir sofort aufgefallen. Woran zu erkennen ist, wie gut der Name funktioniert. Einerseits. Zugleich habe ich mich gefragt, was ist das denn für ein putziger Versuch? Die Boutiquisierung von Äpfeln? Denn in dem Laden gab es anscheinend nur Äpfel, allerdings in einer ungewöhnlichen Sortenvielfalt. Ob das angenommen wird, ob ein Laden damit überleben kann? habe ich mich gefragt und wegen der Sortenvielfalt nahm ich mir vor, mich bei Gelegenheit im Laden zu erkundigen, ob sie Goldparmänen haben, meine Lieblingsäpfel aus meiner Kindheit, die seit Jahrzehnten aus dem Obstangebot verschwunden sind. Da ich es nicht gleich gemacht habe, habe ich es vergessen. Der Laden geriet aus meinem Blick. Verschwand von meinem inneren Stadtplan, da ich fest davon überzeugt war, dass eine Apfel-Boutique keine Überlebenschance hat. Bis ich vorletzte Woche bemerkt habe, dass es den Laden immer noch gibt, und auch gleich die Erklärung dafür bekam, als ich sah, dass in der Apfelgalerie nicht nur Äpfel verkauft werden, sondern auch Kartoffeln, Spargel, Erdbeeren, Kirschen, Tomaten, Gurken. Was gerade wächst in der Mark Brandenburg. Also keine Pfirsiche aus Südafrika im Januar und keine Birnen aus Argentinien im Mai. Birnen gibt es im Herbst. Pfirsiche demnächst. Und das werden reife Pfirsiche sein, betont Caty Schernus und muss mir gar nicht erklären, was das bedeutet: Keine Supermarktware aus Spanien, Frankreich oder Italien, die sicher noch intensiver, noch pfirsiger schmecken würden als die Pfirsiche aus Markendorf – wenn sie nicht wegen Transport- und Lagerlogistik unreif geerntet würden, um dann mit einer Härte, die sie schlagwaffentauglich macht, in Berliner Supermärkten angeboten zu werden. Die müssen Sie nur ein paar Tage lang liegen lassen, dann sind sie reif und schmecken, sagt die Supermarkt-Verkäuferin und es sei ihr verziehen. Sie ist nämlich noch so jung, dass sie gar nicht wissen kann, wie ein natürlich gereifter Pfirsich schmeckt. Seit sie Pfirsiche isst, sind die Logistiker im Obsthandel an der Macht und haben die Probleme mit der Verderblichkeit der Ware auf die Kunden abgewälzt, indem sie ihnen Früchte verkaufen, die zwar irgendwann weich werden, wenn man sie lange genug liegen lässt, aber niemals das Aroma einer am Baum gereiften Frucht entfalten. – Mein Unverständnis für die Kunden, die das mit sich machen lassen. Mein aufgestauter Ärger. Meine Worte. Caty Schernus würde das bestimmt anders formulieren. Würde sicher auch da meine Eindrücke korrigieren, wie sie es mehrfach - ach was! -, andauernd gemacht hat bei unserem ersten und bei unserem zweiten Gespräch. Nein, wir haben uns nicht gut verstanden. Vielleicht, weil wir auf verschiedenen Umlaufbahnen unterwegs sind. Oder auch nur deshalb, weil ich ihr so dumm gekommen bin, als ich das erste Gespräch eröffnet habe mit der Bemerkung, wie erstaunt ich bin, dass es ihren Laden immer noch gibt, nachdem sie zu Anfang nur Äpfel im Angebot hatte. Und schon ging es los mit den Korrekturen meiner Eindrücke. Äpfel seien zwar von Anfang an das Kerngeschäft gewesen (30 Sorten!), und da sie ausschließlich Obst und Gemüse der Saison verkaufen, gab es eben, als sie im September vor 4 Jahren eröffnet haben, vor allem Äpfel, aber es gab da auch schon Birnen und Kartoffel. – Da habe ich gesagt, dass sicher auch der Name irreführend für mich war: Äpfel-Galerie. – Worauf sie mich gleich wieder korrigiert hat: Apfel-, nicht Äpfelgalerie. – So. Immer weiter. Und selbst, wenn ich mal etwas sage, an dem es nichts auszusetzen gibt, wie heute, läuft es nicht rund. Ich: Die Erdbeeren, die ich am Montag bei Ihnen gekauft habe, waren sehr gut. Sie: Wir haben aber auch noch andere Sorten, nicht nur die eine. – Uff! – Trotzdem hat sie mich als Kunden gewonnen. Wegen der Erdbeeren, wegen der Kirschen, wegen der Tomaten, wegen der Pfirsiche, wegen der Aprikosen, wegen der Birnen, wegen der Goldparmänen. Ja, sie werden Goldparmänen haben im Herbst. Im Winter dann nicht mehr, denn Goldparmänen lassen sich nicht so gut lagern, und das ist auch der Grund, warum sie nicht ins Massenwarenangebot der Supermärkte passen, hat Caty mir erklärt, wenn sie es auch nicht so polemisch formuliert hat mit dem Seitenhieb auf die Massenware. Das ist nicht ihre Art. Sie ist nur kritisch. Sehr kritisch. Will nicht wissen, was bei diesem Text alles an Korrekturen auf mich zukommen wird.

Apfelgalerie Schöneberg 
Caty Schernus 
Goltzstraße 3 
10781 Berlin 
Telefon: 030 - 44 70 56 30 
E-Mail: info@apfelgalerie.de 
Öffnungszeiten:
Montag - Freitag 11-19 Uhr
Samstag 11-15 Uhr