Mittwoch, 13. Juli 2011

Klimakterisch

Post von Edeka. Vom Kunden- und Ernährungsservice in der Zentrale in Hamburg. Sie danken mir, dass ich mich mit meinem Anliegen zum Reifegrad von Pfirsichen an sie gewandt habe und versichern mir, dass die Zufriedenheit der Kunden im Mittelpunkt ihrer unternehmerischen Aktivitäten steht. Aktivität ist jetzt, dass sie mir erklären, dass Pfirsiche zur Gruppe der so genannten klimakterischen Früchte gehören: Das bedeutet, dass sie. ähnlich wie Avocados, Aprikosen oder auch Äpfel, nach der Ernte weiter reifen. Bei dem Reifeprozess wird innerhalb der Frucht Stärke in Fruchtzucker aufgespalten. Die Früchte werden weicher, süßer und saftiger. Folgt Argumentation über die Druck- und Stoßempfindlichkeit der Früchte und ihre geringe Haltbarkeitsdauer im Reifezustand und der Schluss, dass viele Kunden die Früchte deshalb gerne so kaufen, wie sie bei Edeka angeboten werden, und dass das Unternehmen solche Kunden angemessen bedienen möchte: mit harten Pfirsichen, die sie tagelang liegen lassen können, bevor die Kunden sie essen. Und damit mein Engagement trotz dieser Nachrichtenlage nicht umsonst war, erhalte ich einen Warengutschein von 5 Euro, den ich in jedem Edeka-Markt einlösen kann.

Tja, und jetzt? Muss ich abrücken von der Überzeugung, dass es ein Nachreifen nicht gibt. Denn es gibt nun mal klimakterische Früchte, die sich auszeichnen dadurch,  d a s s  sie nachreifen. Und dass es Kunden gibt, die das schon wissen, sehe ich, als ich zu Edeka in die Gleditschstraße gehe. Dort liegt ein Haufen harter Nektarinen herum wie Bleikugeln; niemand will sie haben. Von den harten Pfirsichen hingegen gibt es nur noch einen Restposten. Davon nehme ich mir eine extraharte Frucht, die ich sonst ärgerlich zurückgelegt hätte, und starte (13.07.11, 14.30 Uhr) ein Experiment: Wird der von mir bei Zimmertemperatur liegen gelassene Pfirsich in zwei Tagen weich, saftig und aromatisch sein? - Ich wiederhole meine Ankündigung: Wenn sich zeigt, dass ich gesponnen habe, werde ich das zugeben.

Aber noch ist es nicht so weit. Bei meinem weiteren Einkauf treffe ich den Supermarkt-Mitarbeiter, der mir am Samstag geraten hat, an die Geschäftsleitung zu schreiben. Ich erzähle ihm, was dabei herausgekommen ist: Sie schreiben mir, dass es so ist, wie sie es machen. Und sie verweisen auf die zahlreichen Kunden, die das akzeptieren. Er sagt darauf, dass die Pfirsiche auch kaum zum jetzigen Preis verkauft werden könnten, wenn sie reifer angeboten würden und somit ein höherer Anteil verdorbener Früchte einkalkuliert werden müsste. - Darauf antworte ich, wenn man dieses Risiko nicht einzugehen bereit ist, darf man eben nicht mit Früchten handeln, dann muss man Nägel, Schuhe oder Pullover verkaufen. - Wir sprechen dann über Gewinnspannen und flexible Preisbildung und ich sage einen Satz, mit dem ich mich zur Knalltüte mache, aber trotzdem recht habe: Man kann ein Unternehmen führen wie einen Öltanker oder wie ein wendiges Schnellboot. - Was soll er dazu sagen? Er schaut mich nachdenklich an und sagt dann, er findet es jedenfalls gut findet, dass ich an die Geschäftsleitung geschrieben habe, und das bekräftigt er, indem er hinzufügt, wörtlich: er findet es gut, dass das endlich mal jemand gemacht hat. Woraus ich schließe, dass ich nicht der erste und einzige Kunde bin, der sich in diesem Supermarkt über das unreife Obst beklagt hat.

An der Kasse zahle ich für den härtesten Pfirsich, den ich je gekauft habe, 60 Cent. Auf dem Nachhauseweg gehe ich bei Imad vorbei (dem libanesischen Obst- und Gemüsehändler gegenüber der Apostel-Paulus-Kirche) und kaufe mir einen reifen Pfirsich, den ich morgen zum Frühstück essen kann, zum Preis von 70 Cent. Der Pfirsich kommt aus Frankreich und duftet nach Sommer und nach Süden. Der Pfirsich von Edeka kommt auch aus Frankreich und ist geruchlos. Wird sich das ändern morgen, übermorgen? Experiment. Spannung.