Freitag, 26. August 2011

Doppelt

Wie charmant! An der Tür ein Zettel: Musste weg. Bin um 14.30 Uhr wieder zurück. – Es ist 14.10 Uhr. Was mache ich jetzt? Auf dem runden Tisch neben dem Eingang der Galerie: eine Süddeutsche Zeitung und ein kleiner Teller mit vier Keksen. Während ich auf sie warte, soll ich Zeitung lesen und Kekse essen. Ich lächle, finde es charmant und beschließe, mir die Zeit zu vertreiben, indem ich Einkäufe mache. Zuerst bei Öz-Gida: Pfirsiche kaufen und die Zwillinge angucken. Entdeckung vom Anfang der Woche: Die Kassiererin mit den glatten langen schwarzen Haaren gibt es doppelt. Hat es immer schon doppelt gegeben. Ich habe es nur erst am Montag bemerkt, als ich an der hinteren Kasse zahlte und dann vorne rausging, an der Kasse dort vorbei, und da saß sie noch mal, die junge Frau, bei der ich soeben gezahlt hatte. Wie denn das? - Ach so! Zwillinge! - Eineiig? - Ja. - Und wie alt seid ihr? - 26. - Sie arbeiten beide schon seit längerem bei Öz-Gida und machen es den Leute auch wirklich nicht leicht, sie zu unterscheiden. Im gleichen Stil - mit Wangen-Rouge - geschminkt und gestern trugen sie beide die Haare hochgesteckt; das vorige Mal hatten beide sie offen getragen. Bei der einen habe ich ein kleines Piercing über dem rechten Nasenflügel bemerkt. Beim nächsten Mal darauf achten, ob die andere auch eines hat. Bin fasziniert. Noch mehr von der verschworenen Gemeinschaft, die sie bilden als von ihrer verblüffenden Ähnlichkeit. Ich war mal mit einer Frau zusammen, die mit ihrer Zwillingsschwester in einer Tonlage sprechen konnte, die für niemanden anderen verständlich war. Alleine schon, dass die im gleichen Supermarkt arbeiten, die Zwillinge bei Öz-Gida! Möchte sie unbedingt mal zusammen erleben. Wie stelle ich das an? – Indem ich sie frage, ob ich sie fotografieren darf für den Blog, und sie dazu bringe, dass sie beide ja sagen.

Jetzt ist sie da, sitzt an dem Tisch vor dem Eingang ihrer Galerie, isst eine Quarkspeise und dazu die Kekse, die für mich bereitstanden. Sie musste ihrer Tochter was in die Schule bringen, das die vergessen hatte. Die Ferien auf Ibiza mit den Kindern und der Familie ihrer Freundin waren ein Erfolg. Auf der Rückreise kam in Barcelona ihr Mann dazu; der zweite Teil ihres Doppelnamens. Im Dalí-Museum in Figueres waren sie. Wie heißt noch mal die Schauspielerin, nach deren Mund er die berühmte Couch geformt hat? Mae, Mae? – Mae West? – Mae West. – Wusste ich gar nicht, dass er mit der zu tun hatte. Mae West hatte eine Art von Sexiness, die mich nicht erreicht hat. Großartig allerdings ihre weltberühmte Zeile: Ist das eine Knarre, die Sie da in ihrer Hosentasche haben, oder freuen Sie sich nur, mich zu sehen? – Hört Liljana zum ersten Mal. Lacht überrascht. – Nach Figueres sind sie durch die Provence gefahren und dann bald nach Hause, weil das Wetter schlecht wurde. – Reisen, nur um zu reisen ist nicht mein Ding, sage ich mal wieder, damit sie das auch weiß. Dazu sage ich dann jeweils noch, dass ich mich in der Rolle des Touristen nicht wohlfühle, weil ich sie als entwürdigend empfinde. Jetzt ist Liljana verblüfft. Das sagt ihr Mann auch immer, mit den gleichen Worten. – Wie alt ist dein Mann? – Gerade 60 geworden. – Ich bin gerade 59 geworden. – Ach. – Da gehören wir zur selben Kohorte, dein Mann und ich. Gemeinsamer Erfahrungshorizont. Liljanas Mann ist Professor an der Uni in Leipzig. Heißt, wenn eines ihrer beiden Kinder etwas zu Hause vergessen hat, bringt immer die Mutter es dem Kind in die Schule. Die nächste Ausstellung in Liljanas Galerie subjectobject wird erst im Oktober sein. Aber dann gleich ein Höhepunkt: Gerit Koglin. Sie redet über ihn ähnlich begeistert wie Uliane Borchert, deren Lieblingsschüler er ist. Gerit ist besser als Neo Rauch, sagt Liljana. Er hat auch dieses Narrative wie Neo Rauch, aber bei Gerit ist es mehr auf den Punkt. – Bist du auch bei der Galerieausstellung von Uliane am Samstag? – Nein. – Sie zeigt Bilder von sich und einer Freundin. – Petra? – Gudrun. – Ach ja. – Ich wusste gar nicht, dass die auch malt. Aber was Uliane mir von ihr gezeigt hat, ist erstaunlich. – Mit Amateuren gibt Uliane sich nicht ab, sagt Liljana und lacht. Respektvoll.

Morgen zeige ich das Porträt, das ein Schüler Ulianes von ihr gemalt hat und dazu wird es nicht viel Text geben. Denn am Wochenende will ich endlich mal mit dem Fotografieren beginnen. Und Liljana wird irgendwann mal von mir porträtiert. Nicht fotografiert, beschrieben - um herauszufinden, was das ist, das den Dialog mit ihr so leicht macht.