Dienstag, 16. August 2011

Trivialroman

Wenn das Leben abläuft wie die Handlung eines Romans, in dem alles, was geschieht, auf einander verweist, so dass es scheint, es habe etwas zu bedeuten, aber es bedeutet nur, dass alles auf einander verweist. Und wäre es nicht mein  Leben, wäre es tatsächlich ein Roman, würde ich das Buch nach zwei Seiten zuklappen und mir überlegen, ob ich nicht lieber noch mal Anna Karenina oder Krieg und Frieden lesen soll. So aber hat Colette am Sonntag, als wir über deutsche Frauen und das Kämpferische sprachen, das deutsche Frauen haben, eine Bemerkung gemacht über deutschen Feminismus. Historischen deutschen Feminismus, von dem sie sagte, dass es schade sei, dass er schließlich von lesbischen Frauen übernommen worden ist – übernommen im Sinne von vereinnahmt, gekapert – , so dass dieser Feminismus  für nicht-lesbische Frauen wie Colette die Lebensnähe verloren habe. – Auf dem Nachhauseweg habe ich mir dann eine Formulierung ausgedacht, mit der ich das umschreiben könnte, wenn ich Colettes Bemerkung wiedergebe. Die Formulierung war: die Lesben-Vereinsheim-Mentalität des historischen deutschen Feminismus. Gut, dass ich im Posting die Bemerkung Colettes dann nicht unterbringen konnte und so davor bewahrt worden bin, mit dieser gedrechselten Formulierung ein Statement abzugeben, das mir nicht zusteht, weil ich weder zu Lesben noch zu Feminismus etwas zu sagen habe. Das Thema geht mich an, ich kann mich dafür interessieren, ich kann auch Ansichten darüber haben, aber die behalte ich besser für mich. Ich bin ein heterosexueller Mann und ich würde gerne mit einer Frau reden, die sagt, Charlotte Roche hat für uns Frauen mit ihrem Buch Feuchtgebiete mehr getan als Alice Schwarzer mit allen Jahrgängen der Zeitschrift Emma zusammen. Das kann ich mir wünschen. Und wenn das passiert, kann ich über diese Frau schreiben, und wie gerne würde ich das tun, weil es über diese erstaunliche Frau, eine deutsche Frau übrigens, noch so viel anderes zu erzählen gäbe. Aber so ist der Roman nicht, als der mir mein Leben manchmal erscheint. Der Roman ist so, dass ich gestern auf Spiegel Online lese: Frau Schwarzer hat in ihrem Blog einen offenen Brief an Charlotte Roche geschrieben, in dem sie deren neues Buch Schoßgebete attackiertHäschen im Bett, Oma im Kopf. Zitat Frau Schwarzer. Zuspitzung ihrer Ansicht über die Haltung, die Frau Roche einnimmt bei der Darstellung ihrer sexuellen Handlungen und vielleicht sogar bei den sexuellen Handlungen selbst: Häschen und Oma. Und jetzt geht es los. Was weiß Frau Schwarzer als lesbische Frau von heterosexuellen Handlungen, außer dass sie sich entschieden hat, sexuellen Handlungen mit Frauen den Vorzug zu geben? Deswegen kann sie trotzdem Ansichten über heterosexuelle Handlungen haben, sie kann sich für sie interessieren, sie gehen sie auch etwas an, insofern sie selbst eine Frau ist und an heterosexuellen Handlungen Frauen beteiligt sind. Aber sie teilt nicht deren Erfahrungen, sie kennt sie nur vom Hörensagen und deshalb schreibt sie, wenn sie über Sex schreibt, über Sex mit Frauen. Aber das tut sie nicht. Sie hat sich nie geoutet. Sie soll im Gegenteil lange Zeit ihre Beziehungen zu Frauen vor der Öffentlichkeit verborgen gehalten haben, zumindest bestrebt gewesen sein, sie nicht an die große Glocke zu hängen. Das weiß ich aus einem FAZ-Artikel, den ich vor Jahren gelesen habe. Vor wie vielen Jahren? Ich suche den Artikel im Archiv der FAZ-Website und stelle fest, es war erst letztes Jahr. Aufhänger des Artikels ist die Fehde zwischen Frau Schwarzer und Kristina Schröder (Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) um ein Interview, in dem die CDU-Politikerin feststellt, dass die klassische heterosexuelle Handlung (Penetration) schon alleine deshalb nicht so ein Gräuel sein könne, wie Frau Schwarzer es in ihrem Hauptbuch suggeriert, weil sie der Fortpflanzung dient. Der FAZ-Artikel verfolgt eine Absicht: Er will Frau Schwarzer zeigen als Macker-Persönlichkeit und belegt das mit Begebenheiten, die die FAZ-Autorin nur vom Hörensagen kennt. Bitte lesen! Es ist amüsant. Aber es ist Klatsch! Und ich habe immer noch nicht das Posting von Frau Schwarzer über Charlotte Roches neues Buch gelesen. Ich weiß, wenn ich es lese, werde ich auch darüber schreiben, und ich will nicht über Frau Schwarzer schreiben. Doch nun geht mir das nicht mehr aus dem Kopf mit der mutmaßlichen Mackerhaftigkeit der Frau Schwarzer und ich würde gerne wissen, ob sie die auch beweist gegenüber Frau Roche. Und will ich nicht deutsche Frauen zu Wort kommen lassen? Und ist Mackerhaftigkeit nicht eine patriarchalische Haltung? Und die Frau, die sagt, dass Feuchtgebiete mehr für die Sache der Frauen getan hat als alle Jahrgänge der Emma zusammen, die treffe ich heute nicht, die treffe ich vielleicht nie, weil es sie vielleicht gar nicht gibt, und wenn es sie gibt, dann behält sie diesen Satz lieber für sich, weil die deutsche Kultur ist eine maskuline Kultur, da muss eine Frau aufpassen, was sie sagt.

Was es gibt, ist die deutsche Frau Schwarzer und die deutsch-englische Frau Roche, deren Buch und das Posting darüber. Das Posting lese ich jetzt und verstehe erst gar nicht, worauf Frau Schwarzer hinaus will. Nach längerem Nachdenken dann doch. Aber da ist es schon zu spät, um heute darüber zu schreiben. Die Zeit reicht gerade noch dafür, von dem Roman zu erzählen, der mein Leben manchmal ist. Trivialroman. Und jetzt hoffe ich, dass es heute noch oder morgen in letzter Minute zu einer überraschenden Wendung kommt in dem Roman. Wenn nicht, gibt es morgen etwas über Frau Schwarzers offenen Brief an Frau Roche.