Freitag, 2. September 2011

Ungläubig

Küssendes Paar. Steht im Rinnstein zwischen zwei parkenden Autos. Der Mann küsst in meine Richtung. Der Mann sieht so aus, als wäre er gerade vom Gerüst am Haus Akazienstraße 9 herunter gestiegen. Die Frau sehe ich erst richtig, als ich mich im Vorbeigehen nach den beiden umdrehe. Die Frau sieht so aus, dass er ein Heiratsschwindler sein könnte.

Beide sind Mitte Vierzig. Er ist hager und seine Haare sind angeklatscht; er hat heute schon stark geschwitzt. Er spitzt seine Lippen und berührt mehrmals ihre Lippen. Er küsst sie behutsam und so technisch versiert, dass der Heiratsschwindler-Verdacht bei mir aufkommt, der böswillig ist. Warum sollte er auf dem Gerüst arbeiten und schwitzen, wenn er Heiratsschwindler ist? – Tarnung? – So viel Aufwand wegen einer Lehrerin?

Es ist gleich 15 Uhr. Er hat jetzt Feierabend. Sie hat Schulschluss. Das Küssen ist so, dass ich denke, dass die beiden noch nicht viel zusammen erlebt haben. Sie haben alles noch vor sich. Wenn sie es sich nicht noch anders überlegt. Abwartend steht sie da und schaut ungläubig. Zweiter Grund für den Heiratsschwindler-Verdacht, der böswillig ist. Warum schaut sie so ungläubig? So hässlich ist sie doch nun auch wieder nicht.