Montag, 24. Oktober 2011

Subventioniert

Soll man sagen, dass es einem leid tut, wenn man bei jemandem anruft und die Person isst gerade? – Warum denn? Wenn sie beim Essen nicht gestört werden will, dann darf sie eben nicht ans Telefon gehen. Noch mal anders der Fall, wenn man anruft, die Person rangeht, sie sich mit nicht-vollem Mund meldet, man höflich fragt, ob sie kurz Zeit hat, und sie darauf sagt: Ich esse gerade. Auch dann muss es einem nicht leid tun. Dann ruft man eben später noch mal an. Doch musste sie das mit einem Unterton von Beschwerde sagen? Für den Beschwerdefall gilt das Gleiche wie oben: Wenn sie nicht gestört werden will, darf sie den Anruf nicht annehmen. Aber war das wirklich ein Unterton von Beschwerde oder habe ich mir den nur eingebildet, wie ich mir ihren blasierten Ton vielleicht nur eingebildet habe, als ich eine halbe Stunde später angerufen habe? – Nein, der Hochmut, das Reden von oben herab, das ist ihre Art, die habe ich noch in Erinnerung von unserer ersten Begegnung und von daher weiß ich auch, dass sich das verliert, wenn es nur um sie geht, ihr Leben, ihre Projekte, ihre Arbeit. Doch mehr als eine förmliche Erkundigung nach dem Stand ihres völkerverständigenden Projektes (mit EU-Mitteln gefördert) habe ich ihr heute nicht zu bieten. Denn ich rufe an wegen eines Künstlers, der ein Atelier sucht. Frage: Ist in der Einrichtung, in der sie ihr Atelier hat, etwas frei und wenn ja, wie kommt der Künstler da ran, ohne vorher irgendwo Mitglied werden zu müssen, was er auf keinen Fall will? - Das will kein Künstler, stellt sie kühl fest. Aber manchmal geht es nicht anders. Jetzt erst erinnere ich mich daran, dass sie Mitglied in einer namhaften Künstlerinnenvereinigung ist und äußerst geschickt in der Beschaffung von Fördermitteln für ihre Projekte. Über die Vereinigung knüpft sie ihre Kontakte, bis nach Brüssel, wenn es sein muss. Und anders geht das doch auch gar nicht als mit Netzwerken, Netzwerken, Netzwerken und dabei immer nur an sich denken. An wen denn sonst? Es interessiert sie nicht, wer der Atelier suchende Künstler ist. Alles, was sie sagen kann, ist, dass in der Einrichtung, in der sie ihr Atelier hat, immer mal wieder Räume frei werden, die sind dann jedoch auch schnell wieder weg. Es interessiert mich nicht, wer der Künstler ist: dass sie das gesagt hat in ihrem kalten hochmütigen Ton, das macht mich so wütend, dass es mich hinterher wundert, dass sie nicht aufgelegt hat - wenn der Künstlerkollege sie nicht interessiert, warum soll sie dann das Telefonat mit mir interessieren? Wegen des Biests? Weil sie vor dem Biest nicht dastehen will als diejenige, die aufgelegt hat? Das glaube ich nicht. Nein, es ist das Gute an ihrem Hochmut, das sich jetzt zeigt: dass sie das nicht berührt, wie ich sie angifte. Souverän geht sie darüber hinweg und erklärt mir ruhig und sachlich, was der Künstler, dessen Person sie nicht interessiert, tun muss, damit er ein Atelier kriegt, auch ohne die Mitgliedschaft in einer Vereinigung oder in einem Bund. Was muss er tun? Sich entweder wenden ans Bezirksamt Schöneberg oder an den BBK. Das notiere ich mir und vorher mache ich mich schnell noch lächerlich, als ich nach meinem Wutanfall einlenkend sage: Der Künstler ist ein sehr attraktiver Elendsfall. Sehr begabt. Und er hat zwei kleine Kinder mit einer Frau, die auch Künstlerin ist. - Ich habe tatsächlich gesagt, Elendsfall und attraktiv. Damit meinte ich: Wenn es einer verdient, dann er. Bestimmt ist das noch nie unbeholfener ausgedrückt worden als von mir. Doch darum geht es gar nicht. Es gibt keinen Wettbewerb der Bedürftigkeiten oder der Ansprüche. Jeder Künstler in Berlin bekommt ein Atelier, wenn er eines braucht. Dafür hat der Senat gesorgt, sagt sie und wahrscheinlich ist das der Grund, warum sie sagte, die Person des Künstlers interessiert sie nicht. Weil es nicht um die Person geht. Der Bedarf muss nicht veranschaulicht, die Not braucht nicht angepriesen werden. Und geschenkt bekommt sowieso niemand etwas. Ihr Atelier ist zwar vom Senat subventioniert, Miete zahlt sie trotzdem: 6, 50 Euro pro Quadratmeter.   

Der Künstler ist ein sehr attraktiver Elendsfall. – Ist das schon wieder gut oder unverzeihlich? – Schon wieder gut ist es jedenfalls nicht.