Sonntag, 9. Oktober 2011

Vossmann 2


American Flag (Shredded Icons) Collage auf Holz Acryl 40 x 40 cm 2006


Nach dem Geld kamen die Briefmarken. Und zwar so: Vorbereitungsphase des Irakkriegs (2003). Burchard, Kriegsgegner wie wir alle, will was tun. Idee: Den US-Präsidenten G. W. Bush schreddern. Auf eBay sucht er nach Material, Poster oder so, er findet nichts in ausreichend großer Menge, findet dann aber beim Recherchieren auf eBay heraus, dass man große Mengen von Briefmarken mit US-Präsidenten drauf erwerben kann. Tut das, schreddert nun, da es von G. W. Bush noch keine Briefmarken gibt, George Washington. – Aber doch nicht, weil du gegen den was hast? – Alle US-Präsidenten haben Blut an den Händen. – Schreddert die US-Flagge als Motiv auf Briefmarken. Ich bin kein Freund der USA, sagt Burchard. – Ich schon, sage ich. – Schweigen. – Queen-Elizabeth-Briefmarken werden auch geschreddert. Weil er das falsch findet, dass es jemanden wie die Queen of England immer noch gibt und dass Leute sich auch noch interessieren für den Klatsch über sie und ihre Familie. Was er aus dem geschredderten Material zusammenklebt, sieht dann aber immer sehr gefällig und manchmal sogar wunderschön aus. Siehe das anti-amerikanische Statement American Flag. Beautiful. Everything is beautiful. Und wer mit Pop und Warhol nichts anfangen kann oder aus anderen Gründen zu verspannt ist, der hält sich an die Erzählung von der kritischen Aktion des Briefmarken-Schredderns – des Dekonstruierens der US-Präsidenten, der US-Flagge, der Queen of England und demnächst des Schlosses Bellevue, abgebildet auf Briefmarken. Was hat Burchard gegen das Bellevue? Kann er den Wulff nicht leiden? Ich auch nicht.


Hommage to Bridget Riley (Shredded Icons) Collage auf Holz Acryl
50 x 50 cm  2011

Gegen das Bild von Bridget Riley auf der 26 Pence Sonderbriefmarke hat Burchard nichts. Die Briefmarke gefällt ihm. Trotzdem wird sie geschreddert, um verwertet werden zu können zu einem Shredart-Objekt. Und wie geht das? – Zunächst mal muss ausreichend Material vorhanden sein. Bei der 26 Pence Sondermarke hat er zu früh angefangen. Mit 410 Marken. Die reichten nicht, um die 50 x 50 cm große Trägerplatte zu füllen. Er musste nachbeschaffen. War nicht einfach. Aber am Ende hat er die 190 fehlenden Marken noch gekriegt. Wie immer über eBay; zu einem Spottpreis, die Versandkosten sind höher als der Preis fürs Material. 600 Briefmarken hat er also verwertet. Hat sie geschreddert auf Sicherheitsstufe drei (Sicherheitsstufe = Feinheitsgrad) und dann die feinen Papierstreifen geklebt auf die Finnische Pappe, die er als Trägermaterial verwendet für seine Objekte. Die Streifen geklebt entlang von vertikalen Linien, die er auf die Pappe gezeichnet hat, und beim Kleben darauf geachtet, dass es nicht zu Anhäufungen von Gleichartigem kommt. Das der einzige kompositorische Eingriff beim Kleben. – Es bleibt also dem Material überlassen, was es aus sich macht?Könnte man so sagen. Wobei ich natürlich mit der Materialauswahl und mit der Einstellung des Schredders festlege, in welche Richtung es geht. – So etwas wie böse Überraschungen hat er noch nie erlebt. Das Ergebnis hat noch stets nach etwas ausgesehen. Aber überrascht ist er trotzdem jedes Mal wieder, sagt er. Der Arbeit mit den geschredderten 26 Pence Briefmarken hat er den Titel Hommage to Bridget Riley gegeben. Wegen des Ausgangsmaterials und weil das daraus entstandene Muster erinnert an die Op-Art-Bilder der englischen Künstlerin und das sicher nicht zufällig: Bridget Riley ist neben Arman und Peter Roehr die dritte kunsthistorische Bezugsperson, die Burchard in den Gesprächen mit mir genannt hat.


Kitchen-Stripes  Collage auf Holz   100x100x5 cm   2009  (*)

Die Lust an Mustern. Als Junge habe ich unzählige Kladden vollgezeichnet mit Musterentwürfen. Mehr hat er über Muster nicht gesagt, obwohl die Musterhaftigkeit zentral ist in seinen Arbeiten. – Seine Leidenschaft für Alltagsmaterial, für Weggeworfenes. Die Fundstücke müssen Gebrauchsspuren aufweisen. Das ist bei den Briefmarken nicht so; aber die findet er auch nicht auf der Straße, die kauft er ein bei eBay. Und ein Fundstück muss so sein, dass es in die hintere Hosentasche passt. Pocket Universe, sagt er. - Seine Vorliebe für englische Bezeichnungen und Titel. Er erklärt sie damit, dass er sich bei seinen Recherchen und Beschaffungen in einer englischsprachigen Welt bewegt und mit seinen Arbeiten im Netz sich an ein internationales Publikum wendet. – Im Netz zeigt er nur Shredart. Weil er die früheren Arbeiten nur als Vorstufe zur Shredart betrachtet, die seine große Tat ist künstlerisch, und da geht es auch weiter für ihn lang? – Keineswegs. Demnächst wird er seinen Webauftritt überarbeiten, um dann auch seine Objekte aus den 80er und 90er Jahren zu zeigen. Und in der aktuellen Arbeit will er jetzt wieder sein ganzes Repertoire einsetzen: es wird also wieder Material-Akkumulationen geben und an Collagen mit nicht-geschreddertem Material ist er gerade dran. Monochrome Gitterstrukturen sind das, montiert aus Hochglanz-Magazin-Ausschnitten. Fingerbreite Streifen. Das verwertete Magazin: Die Lifestyle-Zeitschrift GQ. Teure Autos. Teure Uhren. Teure Klamotten. Teure Parfums. Teure Models. Alles teuer und luxuriös. Alles nicht seine Welt: ArmaniRolexHugoBossPorschePradaChopard … . Geste also wieder kritisch. Das Verfahren dekonstruktiv, dieses Mal mit der Schere. Das Gittermuster, zu dem er die Papierstreifen montiert, von einer sog-artigen Räumlichkeit und schön anzuschauen wie alle seine Arbeiten. Auch hier wieder der Sprung vom Banalen und vom Abgelehnten und Verachteten zum Wunderbaren. Wunder gibt es nicht. Etwas hat er, etwas macht er, das er nicht verrät. Es hat mit Mustern zu tun. Alles dreht sich um Muster bei Burchard. Aber darüber redet er nicht. Über das Material, das Alltagsmaterial, oder das Abgelehnte und Verachtete, darüber kann er stundenlang reden. Weil das jeder versteht? Aber was es mit den Mustern auf sich hat, das versteht er nicht mal selbst? Das kann er nicht erklären? Das kann er nur machen? Und wir können nur staunen und uns freuen über die Buntheit und die Einfachheit seiner Kunst. 

Sweeties # 1-3  Collage auf Holz  3tlg. à 50x50x6cm  1999 (**)

(*) Material: Vileda Küchentücher. Geschreddert? Bei unserem ersten Treffen hatte ich verstanden, nicht geschreddert, beim zweiten hieß es: geschreddert. 
(**) Material: Bonbonpapier. Nicht geschreddert.

Abbildungen: © Burchard Vossmann