Mittwoch, 7. Dezember 2011

Unbehagen

Ihr gegenüber kann ich Bemerkungen machen wie: Anfang 50 war es schon einmal schwer mit dem Älterwerden. Dann ging es eine Weile und jetzt ist es wieder schwer, aber auch endlich wieder interessant, weil ich mich jetzt noch einmal neu erfinden kann, als der ältere Mann, der ich jetzt bin. Oder ich kann sagen: Meine Stiefgroßmutter hieß auch Friederike und war auch Sternzeichen Steinbock. Sie war sehr gut zu mir. Von drei Jahren an ist sie regelmäßig mit mir ins Kindertheater gegangen. Das war allerdings purer Egoismus von ihr. Weil sie so einen Spaß daran hatte, mir zuzuschauen, wie ich mich aufgeführt habe in meiner Begeisterung.

Bei anderen würde es mir nicht einfallen, so etwas zu sagen, weil ich mir sicher wäre, damit befremdete Blicke oder Ungeduld auszulösen. Bei ihr weiß ich, dass sie mir mit dem gleichen Interesse zuhört wie ich ihr, wenn sie davon erzählt, wie ihr ein Friseur, nachdem sie Wein getrunken hatten, die Haare so weit abgeschnitten hat, dass sie nur noch kinnlang waren, oder dass am Abend ein starker Wind aufkam, als sie am vergangenen Wochenende im Schwarzwald war, und am nächsten Morgen hatte der Wind aufgehört und es war Schnee gefallen. Nicht dass mich das interessieren würde mit den Haaren, dem Wind und dem Schnee. Darum geht es gar nicht. Interessant finde ich, dass sie es erzählt. Und so stelle ich mir vor, geht es auch ihr, wenn ich ihr vom Alter oder dem Kindertheater erzähle.

Das vollkommene Glück dieses Dialogs ist nun bedroht, weil ihr halbgriechischer Ehemann nicht mehr länger bereit ist, sich das mit anzusehen. Was natürlich ein Witz ist. Es ist bedroht, weil ich gestern nur mal kurz bei ihr vorbeischauen wollte, dann kamen wir ins Reden (der Wein, der Friseur, ihr Geburtstag, das Alter, die neue Rolle, das Wetter im Schwarzwald, die Stiefgroßmutter), dann hat sie einen Anruf gekriegt und nachdem sie den Telefonhörer weggelegt hatte, da hat sie erklärt, dass es ihr lieber ist, wenn ich nicht mehr über sie schreibe. Nicht, weil sie mit etwas, das ich über sie geschrieben habe, nicht einverstanden gewesen wäre; es gefiele ihr sogar sehr, wie ich schreibe, aber dadurch im Internet vorzukommen namentlich, mit ihrer Person, das sei ihr nicht geheuer. Das einzige, was mich dabei überrascht hat, das war das Unvermittelte. Wie sie scheinbar zusammenhanglos damit angefangen hat, nachdem wir vorher über siehe oben gesprochen hatten und sie sich am Telefon mit einer anderen Frau für später verabredet hatte. Aber wahrscheinlich war es eben das: dass sie, während sie telefonierte, sich vorstellte, dass ich darüber schreiben könnte, wie sie telefoniert und sich verabredet, sicher wieder sehr schön darüber schreiben würde und so, dass nichts dagegen einzuwenden wäre, aber alleine die Vorstellung, so unter Beobachtung gestellt zu sein und dann steht das auch noch im Internet! – Diese Befürchtung war unbegründet, ich hätte mit keinem Wort den kurzen Besuch bei ihr erwähnt. Aber darum geht es nicht. Es geht um ein Unbehagen, das sie vor ein paar Wochen schon mal geäußert hat, als sie sagte: Es sei in Ordnung, dass ich über sie schreibe. Aber wenn sie angesprochen würde nicht mehr als sie, sondern als die Person, über die etwas im Internet steht geschrieben von mir, dann wolle sie das nicht. Dazu habe ich damals nichts gesagt, doch mir war da schon klar: wenn sie so denkt, dann mache ich noch das, was ich angekündigt habe in meinem Posting über sie im Sommer, aber was ich mir vorgestellt hatte, dass sie immer mal wieder auftritt im Blog und wir so beiläufig und unangestrengt eine (Alltags)Geschichte von ihr erzählen, das kann ich vergessen, wenn sie so denkt. Und das hatte ich auch bereits vergessen. Als ich ihr all das sagte, hat sie die Striktheit zurück genommen, mit der sie zuvor erklärt hatte, dass sie nicht mehr beschrieben werden will von mir.  Es schien dann so, dass wir nur mal darüber reden mussten. Doch hinterher habe ich mir gedacht, dass es dann eben nicht geht, wenn jemand in sich einen solchen Widerstand dagegen verspürt. Ich habe dann sogar gedacht, dass es überhaupt nicht geht: dass ich es ganz aufgeben sollte, auf meine persönliche Art über wirkliche ( = nicht-fiktive Personen) zu schreiben. Doch so darf ich nicht denken. Ich bin nicht der Erste und nicht der Einzige, der so schreibt, und trotzdem ist es neu und unerschlossen in dem, was geht und was auf keinen Fall. Klar ist nur, es geht nur mit Leuten, die es wollen und denen es nichts ausmacht, wenn sie darauf angesprochen werden, was andere über sie gelesen haben. Sie will das nicht erleben. Deshalb geht es mit ihr nicht.

Ohne den Blog, ohne die Absicht, sie vorzustellen im Blog, hätte ich sie nie angesprochen, hätte es nicht den Dialog mit ihr gegeben, der mir so gut gefällt. Wegen des Blogs wird der Dialog nun voraussichtlich enden. So eine Geschichte.