Dienstag, 3. Januar 2012

Signal 1

Gleich die nächste blöde Geschichte: Ich habe sie die Daten und Fakten abgefragt. Wir kommen langsam ins Gespräch. Es geht um ihren Beruf, um das, was sie macht, wenn sie nicht ihre Wohnungsgalerie macht. Ich frage sie, ob sie den Beruf gerne macht oder ob sie jeden Freitag Lotto spielt in der Hoffnung, einen so fetten Jackpot einzuheimsen, dass sie am Montag danach bei ihrem Job anrufen und ihn für immer absagen kann. – Nein, antwortet sie lachend. Ich spiele nicht Lotto und ich arbeite gerne in meinem Beruf. – Ich erzähle, was ich schon oft erzählt habe: dass ich als Student angefangen habe Lotto zu spielen, seither immer die gleichen Zahlen tippe und weiß, dass diese Zahlen kommen werden, wenn ich aufhöre, sie zu spielen. Und dann erzähle ich, was ich noch nie jemandem erzählt habe: dass in meinen letzten Jahren als Drehbuchautor das Lottospielen bei mir alles Spielerische verloren hat, weil ich mit einem solchen Ernst auf einen Hauptgewinn gewartet habe, dass ich irgendwann dachte: wenn du keine Drehbücher mehr schreiben willst, kannst du dir diesen Wunsch doch auch erfüllen, ohne einen 23 Millionen-Jackpot gewonnen zu haben. Und so kam es zu dem Entschluss zu verarmen und zu diesem Blog, will ich gerade sagen, da sagt sie: Drehbuch schreibe ich morgen. Und ich denke: starker Dialog. Sie schreibe das Drehbuch mit einer Freundin, erzählt sie. Wenn es fertig ist, wollen sie es an Steven Spielberg verkaufen und sie wollen das schaffen, bevor Dani Levy das schafft. – In meiner pedantischen Art stelle ich fest, dass Dani Levy nicht bestrebt ist, ein Drehbuch an Spielberg zu verkaufen, weil er sich selbst für einen Meisterregisseur hält und das in gewisser Weise auch ist, wenn man seine Erfolge bei der deutschen Filmförderung zugrundelegt. Worauf sie sagt: Alles auf Zucker. Und ich antworte: Für den Erfolg kann er nichts, da hat er einen richtig guten Co-Autor gehabt. Danach gebe ich zu, dass ich nur neidisch bin auf Dani, weil er es geschafft hat, mit einem so kleinen Talent eine so große Karriere zu machen, während ich nur eine große Klappe habe und nicht mal damit es zu etwas bringe. Ich bin eine gescheiterte Existenz, sage ich. Das interessiert sie nicht. Sie erzählt nun richtig guten Tratsch über Dani. Tratsch ist es für mich. Sie erzählt nur, was sie gerade mit ihm erlebt. In einer Angelegenheit, die nicht etwa eine Liebesangelegenheit ist, sondern mehr so ein Fall von Stuttgart 21 in der Wartburgstraße und je länger ich ihr zuhöre, desto besser kann ich mich in Dani einfühlen. Wenn es allerdings stimmen sollte, dass er mit dem Antisemitismusverdacht hantiert in dem Konflikt, dann sieht ihm das ähnlich, aber es kann natürlich auch sein, dass ihnen das nur so vorkommt, dass Dani mit dem Antisemitismusverdacht hantiert. Doch unabhängig davon glaube ich ihr, wenn sie sagt, dass er damit schief gewickelt wäre, wenn er ihr und ihrer Mitstreiterin antisemitische Ressentiments unterstellt. Das ist einfach nicht so, sagt sie. Und nachdem sie das alles erzählt hat, alle meine neugierigen Fragen beantwortet und glaubhaft festgestellt hat, dass sie keine Antisemitin ist, sagt sie, dass ich darüber auf keinen Fall schreiben darf. Das habe ich mir selbst schon gedacht, dass das nicht geht, wenn ich nicht irgendeinen hinterfotzigen Dreh dafür finde. Weil sie gerade dabei ist, sagt sie dann noch, dass ich ihren Beruf auch nicht erwähnen darf, wenn ich über sie schreibe. Darauf sage ich, dann können wir das Gespräch sofort beenden. Sage das nicht als Drohung, um sie umzustimmen. Sage das als Feststellung und auch mit einer gewissen Erleichterung. Denn es hätte viel Arbeit gemacht, ihre Geschichte interessant zu erzählen. Und dass sie Lehrerin ist, als Sonderschullehrerin in Klassen unterrichtet mit einem Migrantenanteil von 120 Prozent (Witz) und dass sie diese Arbeit gerne macht und höchst wahrscheinlich auch sehr gut, das ist nun einmal das Interessanteste an ihr. Denn Wohnungsgalerien hat es auch schon gegeben, bevor sie vor elf Jahren damit angefangen hat. Das sage ich ihr nicht so zugespitzt, weil ich ihr die Zicken nicht übel nehme, die sie macht (und es sind Zicken, ihr werdet es sehen). Ich bin gedanklich auch schon einen Schritt weiter. Dass ich es schon wieder mit jemandem zu tun habe, der sich so anstellt, nehme ich als ein Signal: Höre auf, auf diese Art zu schreiben! In dem Moment, da ich das denke, empfinde ich es auch schon als Befreiung. Ich werde keine Rücksichten mehr nehmen müssen, weil ich mich einem Interviewpartner verpflichtet fühle. Ich werde keine Interviewpartner wie sie mehr haben. Es wird keine vorbereiteten Porträts mehr geben. Das ist sowieso nicht bloggerecht. Ich werde wieder mit dem Blog durch mein Leben gehen wie am Anfang. Und wenn ich über jemanden schreiben will, dann mache ich etwas zusammen mit der Person, aber kein Interview, wo es dann heißt, dies darfst du nicht schreiben und das auch nicht. Ich entscheide, was ich schreibe und meine Interviews sollen überfallartig sein. Wenn einer merkt, dass er interviewt wird von mir, dann ist es schon zu spät, weil vorbei. Das ist ein Blog, in dem ich mein Leben veröffentliche. Das hier ist keine Zeitung. Auf was für einem schlechten Trip war ich denn? Kein Wunder, dass mich die Leute verarschen. Falsch. Kein Wunder, dass ich so der Zickigkeit der Leute ausgeliefert bin. Das ist es. Und so ist es auch bei ihr gewesen gestern Nachmittag, als ich meinen Kugelschreiber zur Seite legte, mein Notizheft zuklappte, mir verarscht vorkam, mich zugleich befreit fühlte und damit so beschäftigt war, dass mir eine naheliegende Frage erst später eingefallen ist, als ich schon zu Hause war. - Schluss morgen.