Dienstag, 21. Februar 2012

Vorübergehend

Um sechs Uhr drehe ich mich noch mal auf die Seite und sie sagt, die Texte, die ich über sie geschrieben habe, sind anders als die übrigen Texte. Sie sagt das als Vorwurf und sagt es immer wieder. Ich erwidere, dass ich das gerade gut finde: das Diskontinuierliche des Blogs, nenne ich es und behaupte schließlich, das Diskontinuierliche sei Absicht. In dem Keller sind Bauarbeiten im Gang. Ein Flachkran streckt seine Fühler durch das Kellerfenster; die Fühler haben die Form einer Stimmgabel. Es ist besser, wenn wir uns in den hinteren Teil des Kellers zurückziehen. Wir setzen uns auf eine Bank und küssen uns. Ihre Zunge fühlt sich so an, wie ich es mir vorgestellt habe. Eine Frau, die hinter mir sitzt und die ich aus Heidelberg kenne, bittet um Entschuldigung dafür, uns stören zu müssen. Als ich mich zu ihr umdrehe, sehe ich auf der Wanduhr, dass es schon zehn nach sieben ist. Viel zu spät, um es noch zum Frühschwimmen zu schaffen. Tatsächlich ist es aber erst halb sieben. Wenn ich sofort aufstehe, schaffe ich es noch so zeitig ins Hallenbad zu kommen, dass ich eine ganze Stunde schwimmen kann (zum Frühtarif). Etwa eine Stunde brauche ich für 2000 Meter und 2000 Meter müssen es sein, denn die anti-depressive Wirkung des Schwimmens stellt sich bei mir nur noch bei 2000 Metern ein. Als ich über den Parkplatz auf das Bad zugehe, ist die Schwimmhalle so schwach beleuchtet, wie ich es noch nie gesehen habe. Als ich den Haupteingang erreiche, ist da gar kein Licht. Nur mit Mühe kann ich lesen, was auf dem Zettel steht, der hinter der Glasscheibe klebt. Das Hallenbad ist vorübergehend geschlossen. Wir bitten um Verständnis. 6.55 Uhr. Was heißt vorübergehend? Heute nicht und morgen wieder?

Rückweg. Nachher Matthias Oloew anrufen, den mir bekannten Pressesprecher der Berliner Bäderbetriebe. Und im Blog heute darüber berichten? Besser, wenn es nichts zu berichten gibt und morgen ist wieder offen. Dann heute die Prozac-Nebenwirkungen-Anekdote bloggen oder über die Frau mit dem hellblauen Mantel, dem sonnengebräunten Teint und den braunen Schuhen oder über den Aufwachtraum von vorhin? Es ist klar, wer das war in dem Traum. In der Realität ist es nicht klar, wer die Frau aus dem Traum ist. Ich habe eine Tendenz zu schwierigen Frauen. Die letzte war so schwierig, dass ich sie nie kennengelernt habe. – Tendenz? – Trend? –Neigung? – Ich habe eine Neigung zu schwierigen Frauen. Meine letzte Frau war so schwierig, dass ich sie nie kennengelernt habe.

Als ich Matthias Oloew anrufe, weiß er nichts von einer Betriebsstörung im Stadtbad Schöneberg. Er fragt gleich mal nach, was da los ist. Halbe Stunde später ruft er zurück. Es waren nicht genug SchwimmmeisterInnen da für einen ordnungsgemäßen Badetrieb. Sie mussten vom Sachsendamm einen Schwimmmeister anfordern und das hat eine gute Stunde gedauert, bis der eintraf. – Wie viele Schwimmmeister müssen es sein im Stadtbad? – Drei? – Und kommt einer mal nicht, dann ist gleich das ganze Bad geschlossen? – Personaleinsparungen. Arme Stadt. Nicht zu ändern, sagt der Pressesprecher. Wir sind uns einig, dass wir beide das anders gemacht hätten heute Morgen: Bad geöffnet. Badebetrieb eingeschränkt auf das große Becken. Obwohl zu berücksichtigen ist, dass einige Frühschwimmer auch kommen wegen des Außenbeckens, gibt Matthias Oloew zu bedenken.  Doch über die kann ich mir jetzt nicht auch noch Gedanken machen. Ich will an meiner Februar-Geschichte weiter schreiben, von der ich bereits jetzt weiß, dass sie nichts geworden ist. Es geht darin um einen Kuss, der nicht gegeben wird. Nicht mir, einer Frau nicht gegeben wird. Von einem Mann nicht gegeben wird, der nicht ich bin, in den ich mich aber so gut hineinversetzen kann, dass ich die Geschichte schreibe, die immer kürzer wird und in der es längst nicht mehr ums Küssen geht, sondern um die surrealistische Überschreibung meiner Seifenoper-Phantasie, wenn es mir gelingt, wenn mir wenigstens das gelingt.