Dienstag, 5. Juni 2012

Wild Thing



Wild thing
You make my heart sing
You make everything, groovy
I said wild thing
The Troggs

Peter, der sich als Indianer gesehen hat, tatsächlich aber ein Pirat war, zumindest in den letzten Jahren, als er im 24-Stundenbetrieb seines Rechners Soundfiles bei einer Internet-Tauschbörse runterlud, die er erst auf einer, dann zwei, dann drei, am Ende vier externen Festplatten archivierte, und er hätte nicht gewusst, wo er anfangen soll mit Hören, wenn es ihm um die Musik gegangen wäre und nicht nur darum, sagen zu können: 127 000 Musiktitel, und zu Treffen mit Freunden immer zwei, drei gebrannte CDs mitzubringen, und jedes Mal bin ich wieder darauf reingefallen und habe mich gefreut, bis ich gesehen habe, dass es wieder nur Schrott war, was er mir mitgebracht hatte: The Troggs 1965 – 1968. Zwei CDs mit dem Gesamtwerk eines One-Hit-Wonder (Wild Thing). Zu Hause habe ich die CDs gleich weggeworfen, nur die Hülle behalten zur Wiederverwendung. Ich weiß genau, dass er sich das Troggs-Album auch nie angehört hat. Es ging ihm nur um das Runterladen und um das Haben, um die Anekdote mit den Zahlen und um das Verschenken, das ein für ihn charakteristisches Nerven war. Aber ihm das zu sagen, das habe nicht einmal ich mich getraut. 

Bei dem Kram, den er runterlud, brauchte er nicht zu fürchten, von der Anwaltsbüro-Truppe der Industrie aufgespürt zu werden. Erst, als er begann, Filme und dazu noch aktuelle Filme herunterzuladen, wurde er prompt erwischt und bekam eine Rechnung von über 1000 Euro für zwei Filme. Der eine Film war Slumdog Millionaire. Den hatte er seiner Freundin mitgebracht, um ihn mit ihr und ihrer Tochter anzusehen. Der zweite Film war ein Porno, in dem es um junge Frauen mit behaartem Genital ging. Er hat sich nie beschwert über das Anwaltsbüro und brav überwiesen, nachdem er Ratenzahlung ausgehandelt hatte. Geärgert hat er sich nur über sich selbst. Der war nicht mal gut, der Porno, meinte er zerknirscht. Bei Video World hätte er 1 Euro 70 für den ersten Tag und den gleichen Betrag für jeden weiteren Tag Ausleihe zahlen müssen. Und wenn ihm der Film beim zweiten oder dritten Ansehen doch noch gefallen hätte, weil er sich in eine der Darstellerinnen verliebt hätte und sich nicht mehr von ihr und dem Film hätte trennen wollen (das erleben sie bei Video World immer wieder mit Kunden), dann hätte er nach vier Wochen eine Mahnung geschickt gekriegt, nach weiteren vier Wochen eine zweite und nach weiteren vier Wochen die dritte Mahnung - und der Film mit der Frau, die im Unterschied zu seiner Freundin Schamhaare hatte und ihn nicht nur noch am Telefon beschimpfte, sonst aber nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, der Film mit der Frau, die ihm nun so viel bedeutete, der Film hätte bis an sein Lebensende ihm gehört. Denn Video World hätte die Sache nicht weiterverfolgt. Zu aufwendig. Nur dass er sich bei Video World dann keine Filme mehr hätte ausleihen können. Es sei denn, er wäre bereit gewesen, eine Pauschale von 50 Euro zu zahlen, dann hätten sie ihm einen neuen Ausweis ausgestellt. Auch so wäre der Film immer noch preiswerter gewesen als an der Internet-Tauschbörse. Doch es wäre ihm niemals eingefallen, sich bei Video World einen Film auszuleihen und schon gar nicht einen Porno. Für einen Porno gebe ich kein Geld aus, wird er sich gedacht haben. Umso mehr hat er sich über die monatlichen Zahlungen ans Anwaltsbüro geärgert. Er hat ihnen dann geschrieben, dass er zwangspensioniert ist, hoch verschuldet und außerdem todkrank. Darauf haben sie ihm einen geringen Teil ihrer Forderungen erlassen, um nicht hartherzig zu erscheinen. Dabei hätte ihm das alles so was von egal sein können, wenn er geahnt hätte, dass er ein paar Monate später tot sein wird. Aber das konnte er nicht ahnen, denn gestorben ist er nicht an seinem Krebs und auch nicht an seiner Leberzirrhose, gestorben ist er an einer Lungenentzündung, die er sich zugezogen hat in dem Krankenhaus, in das sein Sohn ihn hat einweisen lassen, weil er das Elend seines Vaters nicht mehr mit ansehen konnte. Als er starb, waren sein Sohn bei ihm, seine Ex-Freundin, ihre Tochter und viele andere. Nur ich war nicht da und die Frau aus dem Porno auch nicht.