Donnerstag, 5. Juli 2012

Luft


Im kleinen Edeka-Markt ist die vietnamesische Familie heute so unfreundlich, dass es mir zu anstrengend sein könnte, da noch einmal hinzugehen, überlege ich beim Weggehen und suche nach dem Grund wie immer bei mir. Das ist ein vorbildliches Verhalten und zugleich ein Fehler. Denn es gibt unabhängig von meiner Demut die anderen und die Welt, und ein hervorstechendes ihnen gemeinsames Merkmal ist, dass ich ihnen gleichgültig bin, der Welt ebenso wie den anderen. So dass es gar nicht sein kann, dass das Verhalten der anderen mir gegenüber immer nur von mir abhängt und der Zustand der Welt schon gar nicht. Immer schön aufpassen, dass die Demut nicht zum Größenwahn wird, denke ich und weiß nun aber auch nicht, wann demütig sein und wann lieber nicht, um nicht ständig in mir selbst abzustürzen und dabei blöd und blind zu werden für die anderen und den Zustand der Welt.

Die Luft ist sehr feucht und sehr warm. Die Verkäuferin in der Konditorei begrüßt mich, als würde es sie freuen, mich zu sehen. Da kann es schon mal nicht an meiner Ausstrahlung gelegen haben im kleinen Edeka-Markt und an Spannungen zwischen mir und dem tapferen und stolzen vietnamesischen Volk ganz bestimmt auch nicht. Einige meiner besten Freunde sind Vietnamesen. Meine vietnamesischen Freunde heißen Hang, die Frau, und Tui, der Mann. Gute Idee: demnächst werde ich sie hier vorstellen. - Die Verkäuferin weist mich jetzt auf ein Angebot hin. Doch der kleine Himbeerkuchen ist mir zu viel. Sie sagt, ich könnte ihn mit jemandem teilen. Ich sage, ich bin alleine zu Hause. Das tut ihr leid und ich lenke ab und spreche über die Luft! Die Verkäuferin sagt, dass sie heute Morgen 70 Prozent Luftfeuchtigkeit gemessen hat in ihrer Wohnung. Der Mann hinter mir stöhnt, als er das hört. Ich verabschiede mich. Bis zum nächsten Mal, ruft mir die Verkäuferin hinterher. Das hat sie noch nie getan. Sie scheint mich neuerdings als Stammkunden zu betrachten. Oder fühlt sie sich einfach nur wohl in der feuchten warmen Luft? Mit mir oder etwas, für das ich verantwortlich bin, hat es jedenfalls nichts zu tun. Aber das ist mir gleichgültig und es freut mich trotzdem.