Donnerstag, 29. November 2012

Scheitern


Passend zum Regentag das dreiseitige Interview mit Rainald Goetz in der Zeit. Und auf Zeit Online gibt es eine ungekürzte, also noch längere Fassung des Gesprächs, das Iljoma Mangold und Moritz von Uslar mit dem Autor führten. Das kriege ich aber heute Früh auf perlentaucher nicht mit, sondern erst, nachdem ich 4 Euro 20 zum Fenster rausgeworfen habe für den dicken Packen Papier der neuen Ausgabe der Zeit. Am Ende habe ich das Interview zweimal gelesen. Erst Wort für Wort auf Papier. Später noch mal auf die Schnelle in der Online-Version, um die gekürzten Passagen zu finden. Warum sie die nicht auch noch übernommen haben in die Printfassung, bei der es auf die zusätzliche Überlänge nun auch nicht mehr angekommen wäre?

Worum geht es? - Offenbar immer noch darum, dass der im Herbst erschienene Roman Johann Holtrop von der Literaturkritik der Feuilletons nicht so geschätzt wurde, wie Rainald Goetz es sonst gewohnt ist, dass seine Schriften geschätzt werden, und auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises hat er es auch nicht geschafft. Andererseits am nächsten Tag die Lesung in Wien, nächste Woche die Lesung in Hamburg. Er hat sein Publikum, das will ihn sehen, das will ihn vorlesen hören, das kauft auch sicher bei diesen Gelegenheiten das eine oder andere Exemplar des Holtrop-Buchs. Und heute in der Zeit dieses dreiseitige Interview mit den zwei ihm ergebenen Gesprächspartnern, einer (von Uslar) nebenbei selbst Romanautor! Also was hat er denn? Was will er denn noch? - Wenn ich es richtig verstanden habe: Verständnis und Lob für sein Scheitern. Anerkennung der Komplexität oder der Grandiosität seines Scheiterns. Das ist ihm verwehrt geblieben. Weil die Normalos, nennt er sie, in den Kulturredaktionen keinen Begriff vom Scheitern haben als die Angestelltenexistenzen, die sie sind und als solche stumpf und dumpf dem Gelingen verpflichtet.

Allein das Allersimpelste, Normale beim Schreiben: dass man Texte nicht hinkriegt, das ist im Journalismus nicht vorgesehen. Ratlosigkeit gibt es nicht im Journalismus.

Keine Kultur des Misslingens und der Ratlosigkeit und auch keine Würdigung des hohen Künstlereinsatzes von Rainald Goetz, der sich auch schon mal bei Gerhard Richter anlehnt, Video, das er gesehen hat auf dessen Homepage, wo Richter sagt: Die Gemälde sind klüger als ich. Das würde er auch gerne von seinem Roman sagen können (ich weiß ja fast nichts über den Kapitalismus). Aber wie soll etwas oder jemand klüger sein als Rainald Goetz? Was für ein Schicksal! Was für ein Gespreize in dem Interview! Aber nicht dort, wo er einfach nur erzählt. Zum Beispiel, dass er erst vor sechs, sieben Jahren angefangen hat, richtig zu lesen. Nachdem er aufgehört hatte fernzusehen, weil es nicht mehr wichtig war zu wissen, was geguckt wird von den vielen Leuten und eine Meinung dazu zu haben. Wie er von da an abends Romane gelesen hat. Zum ersten Mal in seinem Leben einen großen russischen Roman gelesen hat: Anna Karenina, in einer Neuübersetzung, die ihm Johanna Adorjan von der FAS empfohlen hat; augenblicklich liest er Madame Bovary in einer Neuübersetzung und zugleich noch im Original. Und da, es kann gar nicht anders sein, da, nicht gerade bei Tolstoi, aber lange vor Flaubert, da muss es ihn gepackt haben, selbst einen klassisch erzählten Roman schreiben zu wollen. Und da kann er erzählen, was er will, was er sich alles dabei gedacht hat, das war ein Fehler.